Abschied vom Olympiastadion:"Vier Mann sichern die Eckfahnen"

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Hausmeister Huber hat im Olympiastadion Fußballgeschichte erlebt - Muskelkater, Dachlawinen und diverse Meisterfeiern.

Interview: Volker Kreisl

Manfred Huber, 49, ist von Beruf eigentlich Landwirt. In den achtziger Jahren verpachtete er seinen Hof im Westen von München und begann in der Stadt zu arbeiten. Seit 19 Jahren ist er Hausmeister im Olympiapark, zuständig für das Stadion. Mit dem Auszug des Fußballs endet auch Hubers Serie von mehr als 500 Bundesliga-, Pokal- und Europacupspielen.

Schön war die Zeit: Es gab im Münchner Olympiastadion viele Siege zu bejubeln... (Foto: Foto: ddp)

SZ: Am Samstag findet das letzte Bundesligaspiel und zugleich die letzte Meisterfeier des FC Bayern im Olympiastadion statt. Wie beginnt Ihr Arbeitstag?

Huber: Wenn ich eingeteilt bin, wird es sein wie immer. Morgens wird aufgesperrt, das dauert bei so einem Stadion ungefähr eine halbe Stunde. Dann werden letzte Arbeiten erledigt, zum Beispiel die Trainerbänke auf die Tartanbahn gestellt. Als ich angefangen hatte, waren das noch ganz normale Bänke. Heute haben die neun auf zwei Meter und ein Dach oben drauf. Wir nehmen den Stapler.

SZ: Sie wirken sehr nüchtern angesichts dieses Datums.

Huber: Ein bisschen wehmütig ist einem schon zumute, aber wir wissen's ja schon lange, dass der Fußball auszieht. Was soll's, dann ist das Spiel vorbei und wir haben andere Aufgaben. Die Arbeit wird sicher nicht weniger.

SZ: Wie hat sich denn der Job eines Bundesliga-Hausmeisters verändert in all den Jahren?

Huber: Am krassesten ist es mit der Werbung. Ein Beispiel: Früher hatten wir über der Gegentribüne acht Fahnen. Heute musst du vor dem Spiel 50 Fahnen aufziehen, 47 von Sponsoren, eine vom FC Bayern, eine von der Stadt München, und eine vom Freistaat.

SZ: Hoffentlich ist es dann nicht windstill.

Huber: Keine Angst, da drüben ist es nicht windstill. Vor allem im Winter! Ziehen Sie da mal 50 Fahnen auf, und dann klemmen auch noch die Seile oder die Schienen sind eingefroren. Zwei Leut' brauchen zwei Stunden.

SZ: Wie weit ist der Fußball in Ihr Leben gedrungen?

Huber: Ich hab das nicht so an mich 'rangelassen. Ich bin Lokalpatriot, war nie für Bayern oder Sechzig speziell, sondern immer für München. Ich schau gerne zu, steigere mich aber nicht hinein.

SZ: Wir behaupten einfach mal, ein Großteil der Hausmeister wäre scharf darauf, seinen Job in der Nähe der besten Fußballprofis zu verrichten.

Huber: Man kommt nur sehr selten in Kontakt mit den Fußballern. Die kommen zum Spiel, dann gehen sie in ihre Kabine. Dann ist das Spiel vorbei, dann sind's froh, wenn's wieder weg sind. Manchmal wird man schon auch während der Pause in die Kabine gerufen, zum Beispiel, wenn der Heizkörper kalt ist. Da hocken's dann alle drin, aber da spricht man natürlich keinen an.

SZ: Hier schauen ja Tausende zu, da muss alles stimmen. Ist mal etwas besonders Schlimmes passiert?

Huber: Während dem Spiel nicht. Einmal hatten wir einen Wahnsinns-Muskelkater, weil es vor einem Spiel unglaublich geschneit hatte. Es waren insgesamt 50 Helfer. Du gehst in die Mitte vom Feld und räumst den Schnee nach außen runter. Wir hatten das fünf Mal gemacht, das Spiel hat stattgefunden. So viel ich weiß, musste nur einmal ein Spiel ausfallen - wegen Dachlawinen.

SZ: Sie haben Gespür für Schnee.

Huber: Man kennt sich irgendwann aus. Ist es zu feucht, nimmt das Gras die Farbe für die Linien nicht auf, dann kannst du danach von vorne anfangen. Oder die Rasenheizung. Das ist ja nicht eine Fußbodenheizung, die du einfach aufdrehst. Wenn es zu schnell schneit, bildet sich eine Luftschicht zwischen geheiztem Gras und Schnee. Die isoliert, da taut nichts mehr weg, deswegen gab es auch im Olympiastadion manchmal ein weißes Feld.

SZ: Es gab aber doch nicht nur Arbeit.

Huber: Das schönste Erlebnis, das war das Champions League-Finale 97. Überall Leute. Reporter, Kameras, Funktionäre, das Stadion war wohl nie so voll.

SZ: Wo waren Sie?

Huber: Dieses Spiel habe ich mir sogar zum Teil im Stadion angeschaut. Wir haben ein paar Extra-Plätze, dort, wo die Spieler rein- und rauskommen, aber das ist so weit unten, da sieht man wenig. Da ist es vorm Fernseher in unserer Werkstatt unter der Haupttribüne schöner.

SZ: Wie bitte? Sie sitzen ohne zu zahlen an der Quelle und dann gucken Sie am Fernseher?

Huber: Da ist es ja auch praktischer. Da kann ich gleich das richtige Werkzeug mitnehmen, wenn ich gerufen werde und muss nicht zweimal laufen. Denn dann muss es ja schnell gehen. Zur Regiekanzel sind es gut 250 Meter bergauf. Abwärts geht's ja.

SZ: Sie reden immer in der Gegenwart, als gäbe es gar keinen Abschied.

Huber: Das hat man halt so drin. Aber wir werden uns umstellen. Es ist ja auch interessant, wenn man mal was anderes macht. Wir haben hier ja auch Open-Air-Konzerte. Und das nächste Highlight, die Weinwelt, geht über mehrere Tage, das wird sicher auch für uns spannend. Ein paar Firmen- oder Privat-Fußballspiele finden bestimmt auch noch statt. Oder die kleineren Messen, neulich gab es schon "Eigentum und Wohnen".

SZ: Nichts gegen "Eigentum und Wohnen", aber hier zieht mit dem Fußball der Flair der großen weiten Welt aus. Was werden Sie am meisten vermissen?

Huber: Das Regelmäßige. Du hast feste Abläufe, sichere Kontakte und ein Netz von Helfern, alles passt.

SZ: Am Samstag brauchen Sie das alles noch mal. Das letzte Spiel wird eine Meisterfeier. Was erwartet den Hausmeister?

Huber: Es wird eine Schale überreicht, ein paar Musikgruppen werden spielen, Luftballons aufsteigen. In der Arena kann man nicht viel aufstellen, weil ja gleich die Sicht behindert wird.

SZ: Das klingt nach einem ganz normalen Fußballspiel.

Huber: Die Leut' wissen ja schon, dass die Bayern Meister sind. Schlimmer ist es, wenn's erst am Spieltag entschieden wird. Da sind die Fans viel euphorischer. Trotzdem kann natürlich auch am Samstag Stimmung sein. Da kraxeln sie über die Zäune, laufen aufs Feld und klettern auf die Tore.

SZ: Was tun Sie in so einem Fall?

Huber: Wir sprechen uns ab. Vier Mann sichern die Eckfahnen, zwei Mann schauen pro Trainerbank, dass nichts passiert. Bei den Toren kannst du nicht viel machen. Aber da können die Fans ja nur die Netze kaputt machen, und das hat der FC Bayern immer anstandslos ersetzt. Da gab's nie was.

SZ: Sind Sie auch sicher im Einsatz am Samstag?

Huber: Auf dem Dienstplan stehen bisher drei Arbeiter. Aber das ändert sich vielleicht noch. Wenn nicht, gehe ich privat ins Stadion. Auch wenn wir vom Fußball längst Abschied genommen haben - bei diesem Spiel will jeder arbeiten.

© SZ vom 11.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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