Abschaffung gefordert:Dissonanzen um die deutsche Hymne

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Gewerkschaft fordert Abschaffung - Vertreter von Sport und Politik halten davon wenig.

Martin Reim

Inbrünstiger als viele Nationalspieler der vergangenen Jahre stimmen Miroslav Klose, Per Mertesacker und Tim Borowski die Nationalhymne an - und haben prompt die aktuelle Patriotismus-Debatte um eine Facette bereichert.

Denn für Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), transportiert die Hymne die Stimmung des Nationalismus und der deutschen Leitkultur. Man wolle auch der Verwendung der dritten Strophe des Deutschlandlieds den Kampf ansagen, sagte Thöne der Frankfurter Rundschau.

Deshalb sollen alle Schulen in Hessen die GEW-Broschüre "Argumente gegen das Deutschlandlied- Geschichte und Gegenwart eines furchtbaren Lobliedes auf die deutsche Nation" erhalten.

Auch Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Walter Jens sprach sich gegen das Deutschlandlied aus. "Wenn ich an unserem Land etwas auszusetzen habe, dann ist es diese unsägliche Nationalhymne mit dem teilweise unverständlichen Text. Wer weiß denn schon, was ,des Glückes Unterpfand' ist", sagte Jens. Stattdessen sollte die Kinderhymne von Bertolt Brecht vertont werden.

Solche Kritik am Deutschlandlied ist für Theo Zwanziger, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, "skandalös". Es sei "völlig in Ordnung, wenn bei uns ,Einigkeit und Recht und Freiheit' gesungen wird", betonte Zwanziger und fügte mit Blick auf die GEW hinzu: "Wir freuen uns in ganz Deutschland über den Beginn der Normalität, nur diese Leute bekommen das nicht mit." Auch nach Ansicht des Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, gibt es bei der Hymne keine Anklänge an die Nazi-Zeit.

Während der Fußball-WM passiere etwas, "das ist nicht ,Deutschland, Deutschland über alles'", erklärte Cohn-Bendit. "Es ist ,Deutschland vor, noch ein Tor'."

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sagte, es sei ein Zeichen der Identifikation mit der Bundesrepublik Deutschland, wenn "das ganze Stadion die Nationalhymne mitsingt". Die heutige Jugend sei viel unbefangener als Mitglieder seiner eigenen Generation.

Ebenso unbefangen will sich das Verteidigungsministerium im Flaggen-Streit verhalten: Es wird nach eigener Mitteilung private Deutschland-Fahnen an Fahrzeugen während der WM dulden - anders als die Polizei. Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte Flaggen an Dienstfahrzeugen verboten. Auch in anderen Bundesländern gilt diese Regelung.

© SZ vom 16.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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