89. Tour de France:Der kleine Prinz muss warten

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Edelhelfer Robert Heras ist Lance Armstrongs beste Versicherung gegen Niederlagen

Andreas Burkert

(SZ vom 20./21.07.2002) - Man muss das einmal aus der Nähe gesehen haben, was für ein Durcheinander herrscht, wenn Lance Armstrong, 30, als Etappensieger der Tourde France ins Ziel kommt. Am Donnerstag in La Mongie haben sie ihn bereits fünf Meter hinter dem Pinselstrich abgefangen, zwei seiner Betreuer, aber auch die unerbittliche Horde der Kameraträger.

Roberto Heras schleppt seinen Kaptiän Lance Armstrong nach La Mongie (Foto: N/A)

Armstrongs Körper vibrierte, weil sein Sprint auf den letzten 300 Metern den Kreislauf in Schwung gebracht hatte, als habe ihn jemand an ein Hochdruckgerät angeschlossen. Armstrong bekommt dann rasch ein Handtuch um den Hals gelegt und eine Trinkflasche gereicht, und seine Männer schieben die aufdringliche Horde einige Meter nach hinten. Damit er sich für die Siegerehrung fein machen kann.

"Er war heute der eigentliche Etappensieger."

Roberto Heras ist weiter geradeaus gerollt, zum Wohnmobil. Ihn hielt niemand auf.

Armstrong hat hinterher nicht vergessen, seinem spanischen Teamkollegen zudanken für die Dienste, die ihm seinen Etappenerfolg und die Rückkehr ins Gelbe Trikot ermöglichten. Er tat das ausführlich und ohne abwertenden Unterton."Robertos Tempo war sehr schnell", sagte er, "er hat bewiesen, dass er einer der besten Radfahrer ist, für mich war er heute der eigentliche Etappensieger." Dafür hat US Postal ihn eingekauft: für die Tempoarbeit in den Bergen.

Geld statt Tour-Sieg

Der 28-jährige Kletterer hatte im Herbst 2000 im Trikot von Kelme- Costa Blanca die heimische Vuelta gewonnen und bei den Landsleuten die Hoffnung genährt, erkönne ihrem Idol aus Navarra nacheifern: Miguel Induraín, 1995 letzter Tour-Champion der Spanier. Doch Heras, in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, entschied sich für das Geld, mehr als eine halbe Million Euro soll ihm US Postal jährlich überweisen.

Dieselbe Summe war einmalig an Kelme zu überweisen, weil Heras dort nochgebunden war. "Wir zahlen keine Ablöse, aus ethischen Gründen", hatte Postal-Teamchef Johan Bruyneel gesagt, als Heras' Transfer hinter den Pyrenäenhitzig diskutiert wurde. Wenige Wochen später war der Deal perfekt.

Der Rhythmus eines Champions

Die Dollars sind gut angelegt, für Armstrong hat Heras den Wert einer Versicherung gegen Niederlagen. Auf dem Weg nach La Mongie sorgte Heras mit seinen Forcierungen dafür, dass ihnen bis auf Joseba Beloki niemand folgen konnte; das Leichtgewicht aus Bejar (59 kg) zog den blauen Postzug zum Gipfel, im Rhythmus eines Champions. Den "Schatten eines Giganten" erkannte L'Équipe in ihm, viele meinen, der Einzige, der Armstrong gefährden könne, fahre in seinem Team. Heras.

Mit seinem bis 2005 gültigen Vertrag hat Roberto Heras indes auch unterschrieben, Gedanken an eigene Siege zu unterdrücken. Wie am Donnerstag in La Mongie, als Armstrong sich auf dem letzten Kilometer ans Ende des Spitzentrios fallen ließ - und für Momente abwartete, ob sein Kompagnon die Entscheidung suchen werde.

Den Traum vom Sieg behalten

Heras suchte sie nicht, natürlich, "weil uns immer die Gesamtsituation wichtig ist", sagte er. "Und heute wollten wir Beloki keine Sekunden gewinnen lassen." Seinen Traum vom Tour-Sieg hat Heras trotzdem behalten: "Ich denke jeden Tag daran, dass ich sie gewinnen kann, doch zurzeit ist Lance der Patron." Der kleine Prinz muss warten.

Armstrong bedankt sich für die Bescheidenheit mit netten Worten, und wenn man Heras glauben darf, meint er sie ernst.

"Ich hatte vorher von einem autoritären Mann gehört", erzählte Heras, "aber ich lernte einen rücksichtsvollen, liebenswürdigen und hilfsbereiten Mann kennen, der dir Dinge gerne noch mal erklärt, wenn du etwas nicht verstanden hast."

Eine Doppelseite im Teammagazin

Er wird ihm wohl auch erklärt haben, weshalb er trotz vorheriger Absprachen nicht zur Vuelta 2001 gekommen ist, um dort seinen Freund Roberto zu unterstützen. Armstrong zog dem Sattel die Talkshowsessel vor, und Heras wurde nur Vierter. Trotzdem besitzt er bei Postal eine Sonderrolle, im Teammagazin wurde neben Armstrong nur ihm eine Doppelseite gewidmet.

Und Bruyneel wie der Boss haben ihm seine schwächere Tour 2001 verziehen, als Heras im Mannschaftszeitfahren stürzte und nur Platz 15 belegte. Dieses Jahr hat Bruyneel gesagt: "Wieso soll Roberto nicht mit Lance auf dem Podium stehen?"

Vielleicht schafft er es nicht, weil ihm das Zeitfahren nicht liegt, trotz Sonderschichten im Windkanal. In Lorient verlor er als 105. mehr als sechs Minuten. Doch im Hochgebirge können ihm die wenigsten folgen. Im Ziel hat ihn Lance Armstrong kurz umarmt, ehe sich Heras fortmachte. Er schmiss noch seine Trinkflasche hinter die Barrieren. Keiner hat sie aufgehoben.

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