400 Meter der Frauen:Vollentschleierung

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Früher im Hidschab, jetzt mit gefärbten Spitzen: Salwa Eid Naser. (Foto: Jewel Samad/AFP)

Das Finale endet kurios - zum Vorteil von Salwa Eid Naser, 19, geboren in Nigeria und startend für Bahrain. Sie ist nicht völlig neu in der Leichtathletik-Szene: Vor zwei Jahren gewann sie bei der Jugend-WM den Titel und trug dabei den Hidschab.

Von Joachim Mölter, London

Bloß noch 50 Meter, 40, 30 - das 400-Meter-Finale der Frauen näherte sich am Mittwochabend dem erwarteten Ende, mit Olympiasiegerin Shaunae Miller-Uibo (Bahamas) und Titelverteidigerin Allyson Felix (USA) an der Spitze im Duell um Gold. Doch 20 Meter vor der Ziellinie änderte sich plötzlich alles, es kam zu einer der bizarrsten Ankünfte in der jüngeren Leichtathletik-Geschichte.

Die Muskeln im rechten Bein von Miller-Uibo versagten ihren Dienst, sie hüpfte und hoppelte plötzlich, um einen Krampf abzuschütteln. Die Kraft in den Beinen von Allyson Felix schwand ebenfalls rapide, so als hätte man ihr den Stromstecker gezogen. Ihre Landsfrau Phyllis Francis nutzte die Schwächephasen der Spitzenläuferinnen und holte sich in persönlicher Bestzeit von 49,92 Sekunden den Titel, Salwa Eid Naser schnappte sich in 50,06 sogar noch Silber vor Felix (50,08) und Miller-Uibo (50,49), die komplett aus dem Rahmen der Medaillengewinnerin gestolpert war. "Das war nicht gerade so, wie ich es erhofft hatte", gab die 31 Jahre alte Felix zu, die mit ihrer insgesamt 14. WM-Plakette immerhin zur historischen Rekordhalterin Merlene Ottey (Jamaika) aufgeschlossen hat.

Die bemerkenswerteste Leistung an diesem Abend lieferte freilich die 19 Jahre alte Salwa Eid Naser, geboren in Nigeria und startend für Bahrain. "Allyson Felix ist mein Vorbild", erzählte sie später, "ich folge ihr auf Instagram." An diesem Abend folgte sie erst einmal nicht dem hohen Anfangstempo der auf der Bahn direkt vor ihr laufenden Amerikanerin, sondern teilte ihre Kräfte klüger ein. Im Endspurt hatte sie noch genug Reserven, um ihr Vorbild hinter sich zu lassen. Die 50,06 Sekunden sind persönliche Bestzeit für die Läuferin und auch Landesrekord für Bahrain.

Salwa Eid Naser ist nicht völlig neu in der Leichtathletik-Szene: Vor zwei Jahren gewann sie bei der Jugend-WM in Cali/ Kolumbien den Titel über die Stadionrunde, damals lief sie 51,50 Sekunden im Hidschab, der Vollverschleierung muslimischer Frauen. In London trat sie nun in den gewohnten Shorts an, präsentierte ihre gefärbten Haare und sprach davon, dass die vergangenen drei Jahre "ein großartiger Übergang" gewesen seien: "Ich bin froh, dass das so gut geklappt hat." Damit meinte sie freilich nicht bloß ihre äußere Erscheinung, sondern vielmehr den Wechsel von Nigeria nach Bahrain, den sie vor drei Jahren gewagt hatte. Nigerias maroder und unorganisierter Leichtathletik-Verband hatte seinerzeit eine ganze Menge Talente in das arabische Land ziehen lassen, der Trainer John Obeya, ebenfalls ein gebürtiger Nigerianer, hatte die meisten angelockt, nachdem er in Bahrain angeheuert hatte. Auch Salwa Eid Naser trainiert mittlerweile bei ihm, sie sagt: "Der Verband in Bahrain unterstützt uns wirklich sehr." Vor der WM und dem bizarren Zieleinlauf war sogar ein Trainingslager in Aserbaidschan drin.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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