Fußball in Italien:Superpippos Bruder triumphiert

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In der Liga steht Lazio nur auf Rang acht, doch jeder, der wie Simone Inzaghi einen Pokal stemmen kann, genießt besonderes Interesse. (Foto: Alberto Lingria/Reuters)

Als Trainer ist Simone Inzaghi auffälliger als in der Spielerrolle: Der Pokalsieg mit Lazio Rom gegen Atalanta Bergamo bringt ihn in den Kreis der Kandidaten für Juventus Turin.

Von Birgit Schönau, Rom

Simone Inzaghi war sein Leben lang der kleine Bruder von Superpippo. Filippo Inzaghi, die Primaballerina der Abseitslinie, der Schrecken aller Torhüter und Linienrichter, Schwalbenkönig und Abstaub-Künstler, brachte es in seiner Karriere mit Großklubs wie Juventus Turin und dem AC Mailand auf fast 300 Tore, davon 72 im Europapokal. Er gewann zweimal die Champions League, Meister wurde er auch und Weltmeister noch dazu. Simone kickte derweil gemütlich in Rom bei Lazio. Wenn es da mal nicht so lief, wurde er in die Provinz ausgeliehen, kehrte aber immer wieder treu zurück. Es reichte immerhin für drei Einsätze in der Nationalmannschaft, für einen Meistertitel anno 2000, und dann für den Trainerschein. Bei Lazio. Insgesamt hat er dort zwei Jahrzehnte seines Lebens verbracht. Jetzt, mit 43, ist Simone Pokalsieger. 2:0 (0:0) gewann Lazio gegen Atalanta Bergamo. Und Superpippo, der als Trainer nie so richtig in Fahrt kam, ist nach Einsätzen bei Milan, Venedig und Bologna mit 45 Jahren arbeitslos.

Lazios Präsident geht mit seinen Profis ähnlich autoritär um wie mit seinen Putzkolonnen

Derart souverän bestritt Simone Inzaghis Mannschaft am Mittwoch das Außenseiter-Duell um den Italien-Pokal, dass der junge Coach prompt als Kandidat für alle möglichen tollen Posten gehandelt wird. Allen voran für den von Massimiliano Allegri in Turin. Man weiß, dass Allegri und sein Boss, der Juventus-Besitzer Andrea Agnelli, sich zum Essen trafen, während im römischen Olympiastadion um jenen Pokal gespielt wurde, den Allegri viermal in Serie geholt hatte, bevor er in dieser Saison im Viertelfinale von Atalanta rausgekegelt wurde. Vielleicht lief im Restaurant in Turin ein Fernseher, auf den Tisch kam jedenfalls die Perspektive des Trainers, der auch in diesem Jahr erneut den Meistertitel abgeliefert hat, seinem Präsidenten aber den fettesten Brocken, den Gewinn der Champions League, wieder nicht bringen konnte. Allegri bekommt rund 7,5 Millionen Euro netto im Jahr vom eleganten Fiat-Erben Agnelli. Inzaghi kriegt ein Siebtel von Lazio-Patron Claudio Lotito, einem rustikalen Reinigungsunternehmer.

Lotito pflegt mit seinem Fußballpersonal ähnlich autoritär und cholerisch umzuspringen wie mit seinen Putzkolonnen. Inzaghi hält das nicht nur seit zehn Jahren aus, es spornt ihn sogar zu Höchstleistungen an. Die Branche fragt sich schon lange, wie er das schafft. Immer knapp gehalten, nie gehätschelt, nie gelobt. Cheftrainer durfte er erst vor drei Jahren werden, nach langer Lehrzeit bei der Jugendmannschaft. Keine Frage, so einen wie Simone Inzaghi kriegt Lotito nie wieder. Und so einen wie Simone Inzaghi hätten andere Klubchefs sehr gern. Aber könnte er auch mit Cristiano Ronaldo, dem Juve-Halbgott?

In der Liga steht Lazio nur auf Platz acht, aber der Pokalsieg garantiert einen Platz in der nächsten Europa League. Atalanta, die Überraschung der Saison, muss Rang vier verteidigen, um in die Champions League zu ziehen. Das wäre dann die größte Überraschung für den Klub aus Bergamo, der heute einem seiner ehemaligen Profis gehört und vor 30 Jahren als Zweitligist mal am Wettbewerb der Pokalsieger teilgenommen hat - bis ins Halbfinale.

Den italienischen Pokal hat Atalanta zuletzt 1963 gewonnen, da war Simone Inzaghi noch nicht geboren, wohl aber Bergamos Trainer Gian Piero Gasperini. Der weißhaarige 61-Jährige gilt als letzter italienischer Fußballguru in einer Welt voller Pragmatiker. Stoisch hält Gasperini an seinem 3-4-3-System fest, mit dem Mittelfeld als Gravitätszentrum. Penibel lenkt er seine Spieler um den argentinischen Kapitän Alejandro "Papu" Gomez, 31. Es gibt keine Stars bei Atalanta, der amazonenhaften Jägerin aus der Welt der griechischen Götter. Es gibt nur die Mannschaft.

Bei Lazio ist das nicht viel anders unter dem Regime des leidenschaftlichen Sparers Lotito. Die große Nummer heißt Ciro Immobile - und damit wäre schon fast alles gesagt. Gegen Atalanta blieb Immobile, der in der Saison 2014/15 bei Borussia Dortmund fremdelte (24 Spiele, drei Tore), blass. Mit einigem Glück rettete sich Lazio ohne Gegentor der fröhlich angreifenden Bergamasker bis in die letzten zehn Minuten, ehe der eingewechselte Sergej Milinkovic das Führungstor erzielte. Das argentinische Talent Joaquin Correa setzte nach überragend gespielten 90 Minuten knapp vor dem Abpfiff noch eins drauf.

Ausgerechnet im Finale verließen Bergamos Trainer Gasperini Eingebung und Phantasie

Lazio hat sein drittes Finale seit dem Pokalsieg 2013 alles in allem verdient gewonnen, auch wenn der zutiefst enttäuschte Gasperini einen nicht gegebenen Foulelfmeter beklagte. Der Atalanta-Trainer nahm drei Auswechslungen in der 84. Minute vor (auf den Platz durfte auch der deutsch-niederländische Linksverteidiger Robin Gosens), ausgerechnet im Finale verließen ihn Eingebung und Fantasie. Am Ende seiner starken Saison scheint ihm ein Vertrag mit dem AS Rom zu winken - falls Gasperini nicht lieber die Champions League mit Atalanta bestreiten möchte.

Übrigens gab es vor der unterhaltsamen Partie im Olympiastadion die - man muss es leider so formulieren - üblichen "Fan"-Krawalle außerhalb. Und zum ersten Mal konnte man sie auf der Website der Gazzetta dello Sport und der Repubblica live verfolgen, als Schreckensspektakel vor der Fußballshow. Da sah man Krawallbrüder, die die Polizei mit Feuerwerkskörpern und Hunderten Flaschen bewarfen, auch mit Straßenschildern und dem Mobiliar einer Kaffeebar. Ein Polizeiauto wurde in Brand gesetzt, ein Polizist leicht verletzt. Fünf Gewalttäter, vorgebliche Lazio-"Fans", wurden festgenommen.

Es hätte schlimmer kommen können. Das Innenministerium hatte mit einer Ultras-Schlacht gerechnet, zwischen Atalanta- und Lazio-Anhängern. Dieses Szenario erfüllte sich nicht. Es blieb bei der gewohnten Schneise der Verwüstung.

© SZ vom 17.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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