1860 München:Stochastik nach dem Schock

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Blankes Entsetzen: Der Absturz auf Platz 16 war das Letzte, das die Löwen mit (v. l.) Kai Bülow, Maxi Wittek, Levent Aycicek, Marin Pongracic und Christian Gytkjaer am Sonntag erwartet hatten. (Foto: Renate Feil/MIS/imago)

"Man geht jedes Szenario durch, das passieren kann": Dem TSV 1860 München droht selbst bei einem Sieg im Saisonfinale in Heidenheim die erneute Teilnahme an der Abstiegs-Relegation.

Von Markus Schäflein

Die Zeitungen und Internetportale versuchten sich am Tag nach dem Schock mal wieder an den beliebten Szenario-Übersichten fürs Saisonfinale, die beim TSV 1860 München schon zur Gewohnheit geworden sind. Allerdings machten die Übersichten diesmal wenig Hoffnung, sie lasen sich gezwungenermaßen wie Doktorarbeiten in Stochastik. Am Sonntag tritt der TSV in Heidenheim an, und wie er dort spielen muss, um direkt in der zweiten Liga zu bleiben, ist so interessant wie kompliziert. Es waren Sätze zu lesen wie: "Der TSV 1860 schafft den sicheren Klassenerhalt, wenn die Löwen gegen Heidenheim gewinnen und Kaiserslautern verliert oder unentschieden spielt. Bei einem Unentschieden muss 1860 mit mindestens vier Toren gewinnen." Oder: "Wenn die Löwen gegen Heidenheim verlieren und Würzburg nicht gewinnt und Bielefeld sechs Tore höher verliert als 1860."

"Ich denke schon, dass wir mental stark sind. Das werden wir auch wieder zeigen", verspricht Aycicek

Um es kürzer zu machen: Der direkte Verbleib in der zweiten Liga ist nach diesem kuriosen 33. Spieltag, an dem Sechzig sein Heimspiel gegen die bereits geretteten Bochumer 1:2 verlor und die Konkurrenz bis auf Würzburg ausnahmslos punktete, selbst bei einem Sieg nicht mehr besonders wahrscheinlich. Der direkte Abstieg allerdings auch nicht - der droht nur, wenn die taumelnden Würzburger ihren ersten und einzigen Rückrundensieg ausgerechnet beim VfB Stuttgart holen, der die Meisterschaft feiern will. "Man geht jedes Szenario durch, das passieren kann", gab 1860-Torwart Stefan Ortega zu: "Es gibt keine Garantie, dass wir am Sonntag gewinnen und die anderen verlieren. Wir müssen für alles gewappnet sein."

Ob die Münchner von Anfang an für alles gewappnet waren, ist die Frage. Trainer Vitor Pereira verblüffte schon in der Wintervorbereitung damit, dass er nie vom Abstiegskampf redete. Und dem sichtlich geschockten neuen Geschäftsführer Ian Ayre war nach der Niederlage gegen Bochum kein Statement zu entlocken, er murmelte nur, es sei "unglaublich" gewesen, was sich gerade zugetragen hatte. Und es war ja wirklich unglaublich: dass der bisherige Vorletzte Bielefeld 6:0 gegen den Dritten Braunschweig gewann. Dass Düsseldorf in Nürnberg siegte und jetzt am letzten Spieltag gegen Aue eine Partie absolviert, in der beiden Beteiligten genau ein Punkt genügt. Und dass der Schiedsrichter in der Nachspielzeit einen denkbaren Handelfmeter verwehrte, der für die Löwen Platz 15 bedeutet hätte. Es scheint sich alles dermaßen gegen Sechzig verschworen zu haben, dass die Einschätzung einleuchtete, das Glück sei nach zwei Last-Minute-Klassenverbleiben jetzt einfach aufgebraucht.

Die andere These ist, dass Sechzig in dieser Spielzeit - erstmals unter Federführung von Investor Hasan Ismaik - schlicht noch mehr falsch gemacht hat als in den vergangenen. Spielerisch und taktisch hat sich die Mannschaft unter Pereira zwar verbessert, aber das reichte nicht, um genug Zweitliga-Spiele zu gewinnen. Gegen Bochum stand eine ratlose Mannschaft auf dem Platz, deren Spieler viel wollten, es aber nicht gemeinsam umsetzen konnten.

Von Pereiras Winterzugängen bleibt nach mittlerweile 16 Zweitliga-Spielen nur Abdoulaye Ba, der per Kopf das wuchtige 1:1 erzielte, als konstante Größe. Amilton spielte nicht einmal mehr von Beginn an, Lumor agierte so engagiert wie konfus, Christian Gytkjaer konnte sein Tor in Dresden nicht als Erweckungserlebnis nutzen. Dazu kommen, was Pereira nicht verantwortet, die teuren Ex-Erstliga-Akteure Ivica Olic und Stefan Aigner, die den Erwartungen weit hinterhinken, ein paar Spieler wie Maxi Wittek, der geliehene Levent Aycicek, Michael Liendl und der diesmal indisponierte Romuald Lacazette, deren Zukunft in Giesing völlig unklar ist, und rätselhafte Zugänge wie Ribamar und Franck Boya, die nie mitwirken.

Mit dem drittteuersten Kader der Liga droht nun der Abstieg, aber Aycicek versprach: "Ich denke schon, dass wir mental stark sind. Das werden wir auch wieder zeigen." Mindestens noch in Heidenheim wird es nötig sein, vielleicht auch noch gegen Regensburg oder Magdeburg.

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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