1860 München:Probleme mit Gott

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Missmutige Blicke: Geschäftsführer Ayre (links) und Investor Ismaik. (Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Passabel gespielt, kein Tor geschossen - beim 0:1 gegen Braunschweig zeigen die Löwen das gewohnte Muster und fragen sich, was sie jetzt noch ändern sollen.

Von Philipp Schneider

Natürlich kommt nun die Erinnerung an diese Bilder wieder hoch, zu weit klafft die Schere zwischen Traum und Realität. Vor fünf Monaten stand Peter Cassalette, der Präsident des TSV 1860 München, auf einem weihnachtlich geschmückten Balkon im Hacker-Pschorr Bräuhaus. Unter ihm jubelten 200 Fans, und Cassalette redete von "Momenten, in denen man wieder stolz sein kann, ein Löwe zu sein". Neben ihm stand der Anlass für den Löwenmoment: Vitor Pereira, ein Trainer mit Augen aus Feuer und Erinnerungen an Champions-League-Partien mit dem FC Porto. "Das ist der Mann, der uns wieder in die erste Liga führen wird", jubelte Cassalette. Applaus, "Vitor-Vitor"-Rufe. Und Pereira hob den Arm in Richtung Bräuhausdecke und sprach: "We go to the top!". Irre Geschichte eigentlich.

Und natürlich kommt die Erinnerung an diese Bilder wieder hoch, wenn es jetzt nahezu ungebremst in Richtung bottom geht. Wenn einer wie Stefan Aigner drei Spieltage vor Ende der Saison traurig vor die Presse tritt, ein Augenlid halb zugeschwollen vom großen, wenngleich ertraglosen Kampf, und Alarm schlägt. Einer wie Aigner, der schon ganz oben war und der die Bundesliga und Eintracht Frankfurt Anfang der Saison extra verlassen hat, um den Klub nach oben zu führen, von dem er ja Fan ist: den TSV 1860 München. "Wenn wir mitten in der Saison wären und Zehnter und würden so spielen, würde ich sagen: Wir haben gut gespielt, die Punkte kommen von alleine. Aber wir haben nur noch drei Spiele." Fakt sei: "Wir brauchen Tore." Manchmal ist es wirklich so simpel.

Der letzte Treffer, der nicht aus einem Standard resultierte, ist fast einen Monat her

Sollte diese Saison für Sechzig mit einem Abstieg enden, so wird man sich irgendwann mal erzählen: 1860, ja, gut: Die waren halt gedanklich schon in der Bundesliga, in der Champions League, und dabei haben sie ganz vergessen, dass im Abstiegskampf nicht Spielkultur gefragt ist, sondern Tore. Auch beim 0:1 gegen Eintracht Braunschweig am Sonntag waren die Münchner mal wieder feldüberlegen. "Vom Spielerischen, vom Läuferischen, von der Einstellung war es ein gutes Spiel", sagte Aigner. Allerdings gab es leider einen Grund für für die Niederlage, weswegen Aigner "die Verantwortung" auf sich nahm: "Wenn ich das Tor kurz vor der Pause mache, läuft dieses Spiel ganz anders. Aber ich köpfe aus zwei Metern den Torwart an, das ist ganz bitter."

Es war sogar so: Nach der Pause vergab Aigner eine weitere gute Gelegenheit, als er aus wenigen Metern Distanz das Tor mit dem Fuß verfehlte. Und kurz zuvor hatte Kai Bülow den Ball mit dem Kopf nur gegen das Kreuzeck gewuchtet. "Vielleicht habe ich derzeit ein Problem mit Gott", mutmaßte Pereira angesichts der nicht endenden Torflaute bei 1860. Der letzte Treffer, der nicht aus einem Standard resultierte, ist fast einen Monat her: Anfang April traf Romuald Lacazette gegen Stuttgart. Und dabei stand er auch noch im Abseits.

Ansonsten ist der Klub im Abstiegskampf auf die verzinkten Flanken von Michael Liendl angewiesen, in die dann wahlweise Aigner oder Bülow den Kopf hält. Gegen Braunschweig fehlte ihnen die Präzision. "Was sollen wir ändern?", fragte Liendl nach dem Spiel: "Wir haben ein gutes Spiel gemacht, es hätte nur mal einer reingehen sollen." Tja. Was nur sollen sie ändern?

Vor zwei Jahren, unter dem tapferen Übungsleiter Torsten Fröhling, gab es zur Erbauung der Spieler eine so genannte Klatschkette mit Geschäftsstellenmitarbeitern. In der Relegation gegen Kiel rettete Bülow in der Nachspielzeit. Vor einem Jahr gab es den Drei-Spiele-Nothelfer Daniel Bierofka, der nicht einmal eine Klatschkette nötig hatte, weil bei ihm, dem vorzeigbarsten aller Vorzeigelöwen, der Anblick genügte. Und jetzt? Gibt es den aufbrausenden Portugiesen Vitor Pereira und seinen Übersetzer Alex Allegro. Von ihnen wird sich Investor Hasan Ismaik, der gegen Braunschweig auf der Tribüne weilte und das Leid betrachtete, kaum trennen. Erstens ist Pereira sein persönlicher Wunschtrainer gewesen. Und zweitens ist er ja der Mann, der Sechzig in der kommenden Saison nach oben führen soll. To the top.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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