1860-München-Geschäftsführer:"Ich bin besser, wenn es scheppert"

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Thomas Eichin über die Vorzüge von Investoren im Sport, die Gründe für seinen Wechsel zum TSV 1860 München - und die Kunst, viel Geld mit Transfers zu erwirtschaften.

Interview von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Der ehemalige Fußballprofi Thomas Eichin, 49, war nach seiner aktiven Zeit von 1999 bis 2013 zunächst Marketingleiter, später Geschäftsführer beim Eishockey-Erstligisten Kölner Haie. Danach trat er beim Fußball-Bundesligisten Werder Bremen als Geschäftsführer Sport die Nachfolge von Klaus Allofs an - im Mai wurde er entlassen. Seit dem 1. August ist er Geschäftsführer beim TSV 1860 München. Der Zweitligist spielt zum Auftakt am Sonntag (13.30 Uhr) bei Greuther Fürth.

SZ: Herr Eichin, Ihr ehemaliger Klub Werder Bremen hat soeben 11,5 Millionen Euro aus China für Anthony Ujah eingenommen, den Sie noch dorthin geholt hatten, und neun Millionen Euro in Max Kruse investiert. Haben Sie das Gefühl, dass da gerade Ihr Geld ausgegeben wird?

Thomas Eichin: Das sind nicht meine Millionen. Aber schon in Bremen sah ich es als wichtige Aufgabe an, dass wir Marktwerte und Mehrwerte für den Klub schaffen. Als ich angefangen habe, hatten wir viele Spieler, die unheimlich viel gekostet haben, die aber keinen entsprechenden Marktwert mehr hatten. Es war meine Aufgabe auszumisten, Spieler zu holen, die nichts oder wenig kosten und die man später für mehr Geld verkaufen kann.

Auf solche Geschichten steht 1860-Investor Hasan Ismaik total.

Deshalb habe ich sie ihm erzählt.

Es herrscht Goldgräberstimmung im Fußball. Es gibt einerseits die Millionen aus England und dann noch die aberwitzigen Millionen aus China für Spieler, die hier nicht unbedingt gebraucht werden.

Die Chinesen sind schon auf der Suche nach Spielern, die noch auf einem gewissen Alterslevel sind. Und sie suchen Spieler, die auf das Gehalt noch richtig angewiesen sind. Assani Lukimya beispielsweise ging im Winter für zwei Millionen zu Liaoning FC. In der Bundesliga wäre dieser Preis nicht drin gewesen! Es ist gut, dass es diesen Markt gibt. Andererseits muss man auch die sportlichen Interessen des Klubs abwägen: Man hätte mit dem einen oder anderen schon im Winter Millionen erzielen können, aber sie wären im Abstiegskampf nicht zu ersetzen gewesen.

Aber Sie wollten anders als die Aufsichtsräte Trainer Viktor Skripnik wechseln. Dazu soll es ein Problem gewesen sein, dass Sie kein Bremer waren, nicht aus der Werder-Familie stammen sozusagen.

Das war ein bisschen konstruiert. Sachlich konnte man mir nichts vorwerfen, die Aufgaben habe ich alle erfüllt, finanzielle Konsolidierung, in der Liga bleiben, das ist alles gelungen. Trotzdem glaubte man, dass ich da nicht richtig hin passe, weil ich schon auch mal unbequem sein kann. Das ist eher die Wahrheit.

Aus Ihrer Zeit bei den Kölner Haien waren Sie die Zusammenarbeit mit Investoren gewohnt, in Bremen hatten Sie mit dem Aufsichtsrat eines e.V. zu tun. Täuscht es, oder fiel Ihnen Letzteres schwerer?

Mit einem Investor zu arbeiten, ist einfacher. Weil ein Investor ein klares Interesse hat. Investoren haben ein klares Ziel, sprechen es klar an, und du kannst die Dinge auch klar ansprechen. Das ist einfacher als ein Verein mit Gremien, wo jeder meint, er würde nicht entsprechend gewürdigt.

Vereinsmeierei?

Ja, genau. Aber hier bei Sechzig ist es doch perfekt: Hier gibt's ja beides (lacht). Ich finde das total spannend, denn du hast hier zwei ganz coole Gesellschafter: den Verein mit der ganzen Tradition, Historie, was dazu gehört, und eben auch einen Investor, der den Klub finanziell stabil zu halten versucht, und das ist schon Gold wert.

Sie haben sicher verfolgt, was hier in den vergangenen Jahren passiert ist: Rücktritt des ganzen Präsidiums, Investor poltert aus der Ferne - was haben Sie sich da gedacht? Kommunikationsprobleme?

"Ich bin vom Profil her eher ein guter Krisenmanager": Thomas Eichin (links). (Foto: imago/MIS)

Ja, genau das. Ich habe das nie so ganz verstanden, dass ein Verein, der kurz vor der Insolvenz stand und dann das Glück hat, dass einer kommt und hilft, es nicht schafft, eine gemeinsame Kommunikationsstrategie an den Tag zu legen, die ein bisschen das Chaos entschärft.

In Ihrer Kölner Zeit haben Sie zwischenzeitlich selbst einen Investor gesucht und gefunden, um die Haie vor der Insolvenz zu retten. Wie findet man den - und welche Kriterien legt man zugrunde?

Der vorherige Gesellschafter war auf einmal nicht mehr in der Lage weiterzumachen. In den 14 Jahren waren das zwei sehr harte Jahre, weil die Öffentlichkeit gar nicht verstanden hat, wie die großen Kölner Haie auf einmal kurz vor der Pleite standen. Wir haben dann entschieden, eine breite Aufmerksamkeit dafür zu erzielen, dass es uns wirklich schlecht geht. Ich habe dann Gott sei dank jemanden gefunden, der einfach mal einen Verein besitzen wollte und zeigen wollte, dass man den wieder hinbekommt. Das hat aber gedauert: Es gab Anfragen ohne Ende, wir sind überall hingefahren und immer wieder enttäuscht zurückgekommen, weil wir oft nur verrückte, wirre Geschichten zu hören bekamen. Und dann, ich weiß es noch wie heute, hat meine Dame an der Rezeption eines Tages angerufen und gesagt, da ist ein Dauerkartenbesitzer in der Leitung und der hätte den richtigen Investor, der würde uns retten. Ich habe ihr gesagt: Sag' ihm, der soll uns in Ruhe lassen. Ich dachte: was für eine Luftpumpe.

Alle Indizien sprachen sicher dafür.

Ich war jedenfalls genervt, ich glaube, wenn es kein Dauerkartenbesitzer gewesen wäre, hätte ich ihm gesagt, er soll sich schleichen. Aber ich habe das Gespräch angenommen, und der Herr war aus der Rechtsabteilung des Unternehmens, dessen Besitzer die Haie dann gerettet hat. Jetzt sind sie, immer noch mit dem gleichen Besitzer, wieder ein Titelaspirant.

Bei Sechzig war es 2011 ähnlich. Dann kam Hasan Ismaik, der aber lange nicht im großen Stil investierte. Fußballdeutschland stellt sich nun zwei Fragen: Erstens, warum macht Thomas Eichin das? Er hätte ja bestimmt in der Bundesliga bleiben können, geht aber eine Liga tiefer. Und zweitens: Warum investiert Ismaik erstmals seit fünf Jahren? Oder hängt beides miteinander zusammen?

Warum ich das mache, weiß ich selbst nicht so genau. Ich wollte in der Tat mal eine Pause haben und zwei, drei Monate mal nichts machen. Es gab Anfragen aus der zweiten Liga, die wären nicht mein Ding gewesen, aber Sechzig war was anderes, Sechzig kenne ich gut, ich hatte auch immer ein Faible dafür, schon als Jugendlicher in Freiburg. Sechzig war immer irgendwie ein Klub, den du gut findest.

Inwiefern?

Als ich das Franz-Beckenbauer-Buch gelesen habe, kamen da auch die Sechzger vor: dass er nicht hierhin gegangen ist, weil er von irgendwem eine Watschn gekriegt hat. Sechzig war immer Fußball pur. Ich fand es immer einen coolen Klub, irgendwie. Also habe ich nach kurzer Bedenkzeit gesagt, ich will doch. Weil ich einfach das Gefühl hatte, wenn ich's nicht mache, ärgere ich mich in drei, vier Monaten. Als ich mit den Verantwortlichen gesprochen habe, habe ich gemerkt, dass die schon erkannt haben, dass wir hier ein bisschen was anders machen müssen.

Allerdings erwartet Sie eine außerordentlich schwierige Aufgabe.

Ich bin vom Profil her eher ein guter Krisenmanager. Keiner, der zu einer Mannschaft kommt, die schon erfolgreich ist. In den 14 Jahren bei den Kölner Haien habe ich in den acht, neun erfolgreichen Jahren einen vernünftigen Job gemacht. Aber ich habe einen sehr guten Job gemacht in der Zeit, als die Kanonen richtig gedonnert haben. Ich bin besser, wenn es scheppert.

Und jetzt sind Sie bei einem Verein, in dem die Kanonen oft donnern.

1860 ist einfach ein sympathisch-chaotischer Verein. Das passt!

Und warum fließt nun Geld in den Kader?

Du musst einem Investor schon aufzeigen: Was brauchst du, um erfolgreich zu sein? Wenn du das Ziel hast, irgendwann mal aufzusteigen, musst du auch mal eine Vergleichsanalyse machen: Wer ist aufgestiegen, was brauchst du dafür, welches Budget musst du haben, wenn du mit Vereinen konkurrierst, die gerade aus der ersten Bundesliga kommen. Die haben meist ein Budget von 20 Millionen Euro.

Dass Ismaik Ihnen vertraut, hat sicher auch damit zu tun, dass Sie darauf verweisen konnten, dass Sie in Bremen Gewinn erwirtschaftet haben mit dem K ader und in Köln Sponsoren an Land gezogen haben. Das hat sich Ismaik ja schon immer gefragt: Warum gelingt das hier nicht, an einem solch attraktiven Standort?

Klar, darüber haben wir auch geredet. Ich versuche schon, mich da entsprechend einzubringen. Ich glaube schon daran, dass wir das hinbekommen. Auch wenn es am Anfang vielleicht ein bisschen holprig wird. Wenn du so schnell so viele Spieler holst, musst du schauen, dass die Stimmung in der Mannschaft passt.

Es gibt jetzt ein großes Gehaltsgefälle...

Das denke ich nicht. Es ist nicht so, dass die Gehälter so gewaltig auseinander driften. Das war in Bremen ganz anders. Aber klar: Wenn du einen Stefan Aigner zurückholst, wissen die anderen Jungs auch: das ist ein Bundesligaspieler. Warum sollte der in der zweiten Liga ein Zweitligagehalt bekommen? Wir sind froh, dass er hier ist! Unzufriedene Spieler hast du erst, wenn sie nicht spielen, obwohl sie es gewohnt sind zu spielen. Ich bin jemand, der gerne einen großen Kader hat. Das beste Beispiel sind die Torhüter: Drei Jungs auf diesem Niveau - top! Egal, ob dann einer motzt.

Also wird der motzende Stefan Ortega bleiben?

Es sei denn, ich hab im Gegenzug einen anderen und es passt finanziell. Ich gebe nicht ab und leg' drauf, damit der Spieler zufrieden ist. Alle müssen akzeptieren, dass jeder um seinen Platz kämpfen muss.

In Bremen haben Sie Publikumsliebling Claudio Pizarro geholt, bei Sechzig Aigner, der direkt zum Kapitän befördert wurde. Wie wichtig ist Ihnen die emotionale Komponente von Transfers?

Ich würde Aigner mit Olic vergleichen.

Aber Pizarro und Aigner sind beide Rückkehrer?

Olic und Aigner waren von Anfang an bei uns auf dem Zettel. Als Paket. Ich kenne Aigners Agenten sehr gut. Ich wollte Aigner schon nach Bremen holen. Er ist ein Spieler, den würden sechs, sieben Bundesligisten nehmen. Ich brauchte einen Spieler, der ein Signal sendet: Wow, die holen jetzt wirklich einen gestandenen Erstliga-Spieler. Und wenn Aigner dann auch noch so eine Rückkehrer-Vita hat, er ist ja Sechzger durch und durch. So extrem hatte ich das gar nicht wahrgenommen! Das merkt man überall, dass er mal hier war: Mit wem er alles quatscht? Phänomenal!

Pizarro quatscht auch gerne mit vielen...

Pizarro habe ich damals geholt, weil für mich wichtig war, einen Spieler zu haben, der schon alles gewonnen hat. Wir suchen unsere Spieler nicht nur auf dem Reißbrett. Du brauchst ein paar Local Heroes, du brauchst eine Legende und dann noch einen Typen, bei dem man sagt: Wow, der kommt zu uns? Und du brauchst auch ein paar wilde Kreative wie Andrade. Das ist so einer, den lässt du nicht 90 Minuten spielen, sondern den wirfst du erst in den letzten 20 Minuten rein. Dazu brauchst du ein paar gestandene Zweitligaprofis wie Fanol Perdedaj. Wir haben schon versucht, das so zusammenzustellen, dass es hoffentlich sehr schnell funktioniert.

Weil Olic gekommen ist, hat sich Aigner entschieden dazuzustoßen?

Jein. Er hat sich schon darauf verlassen, dass wir was machen. Wir haben ihm aber auch gesagt: Du, wir arbeiten rund um die Uhr. Es kann aber sein, dass wir uns erst im Winter so verstärken.

Nach unseren Informationen war der Brasilianer Ribamar nicht Ihre Idee. Hasan Ismaik hat Berater in seinem Umfeld. Haben Sie keine Angst, dass er anrufen könnte und sich einmischt: Lasst den Ribamar spiele n, der braucht Spielpraxis?

Das kann ich mir nicht vorstellen.

Er hatte aber zuvor noch nie einen Wunschspieler im Kader.

Hasan Ismaik ist ein Typ, der will die Spiele gewinnen. Wenn ich ihm sage, wir gewinnen das Spiel eher ohne einen bestimmten Spieler, dann verlässt er sich auf uns.

Kennen Sie alle seine Berater?

Ich kenne viele Agenten. Sicher auch die, die er kennt. Alle wollen, dass Sechzig erfolgreich ist, alle sehen in 1860 natürlich Potenzial. Es gibt diese große Fantasie, die viele haben: Wenn es irgendwann mal gelingt, 1860 in die Bundesliga zu führen, dann kann hier eine Bombe platzen. Es ist grundsätzlich so, dass wir hier viele Ideen von vielen Menschen bekommen.

Adel Taarabt von Benfica Lissabon, der einen kuriosen Kurzauftritt im Trainingslager hatte und dann nicht verpflichtet wurde, war so eine Idee?

Adel Taarabt ist eines der größten Talente gewesen im europäischen Fußball. Aber es hat einfach nicht gepasst. Solche Ideen gibt es immer wieder. Dann schaut man sich die Spieler an. Normalerweise mache ich das hinter verschlossenen Türen. Das war in dem Fall nicht möglich. Er ist ins Hotel gekommen, Journalisten saßen drumherum, er kam in einer goldenen Jacke.

Die Jacke war in der Tat außerordentlich golden!

Die wäre okay gewesen, wenn er richtig Bock gehabt hätte. Aber du hast auch gemerkt: Das passt einfach nicht. Und das war auch gut so. Für das Geld haben wir lieber den Aigner geholt.

Damals war Noor Basha, der ehemalige Geschäftsführer Sport, noch dabei. Wie gut kennen Sie ihn?

In den vier, fünf Wochen, in denen ich hier ehrenamtlich gearbeitet habe, in denen habe ich viel mit ihm gemacht. Weil er mein Ansprechpartner war.

Und er hat jetzt gar keine Funktion mehr?

Nicht dass ich wüsste.

Auch hart. Er hat sich jahrelang in den Verein reingekämpft, die Sprache gelernt.

Natürlich ist das hart. Das Fußballgeschäft ist hart.

Von Ismaiks neuem Beauftragten, Ihrem neuen Geschäftsführer-Kollegen Raed Gerges, hieß es in einer Pressemitteilung, er sei nur ehrenamtlich tätig.

Es ist so, dass wir hier zwei Geschäftsführer haben. Wir wollen hier mit dem Vier-Augen-Prinzip arbeiten. Ich kümmere mich in erster Linie um den Sport und die Struktur. Raed wird all die anderen Bereiche kommissarisch verantworten. Er ist Spezialist in vielen Bereichen.

Er war Head of Middle East bei Red Bull. In allererster Linie hat er Kontakte zu weiteren Investoren aus dem arabischen Raum, die frisches Geld bringen könnten.

Er kennt sich auch aus mit Marketing.

Gerges war schon bei der ersten Kontaktaufnahme zu Ihnen dabei.

Zu ihm habe ich die ganze Zeit Kontakt.

Zu dem Zeitpunkt war nicht nur Basha, sondern auch Ihr Vorgänger Oliver Kreuzer noch da.

Es ging am Anfang nicht darum, dass ich für Oli kommen soll. Es ging um die Frage, ob ich hier Verantwortung übernehmen möchte. Ich hatte mir hier jede Konstellation vorstellen können. Ich habe nicht gesagt: Ich komme nur, wenn Oli Kreuzer geht. Aber das jetzige Konstrukt macht sicher Sinn, allein wenn man an die Entscheidungsfindung bei einem Transfer denkt.

Und beim Aussuchen des Trainers?

Kosta und ich kennen uns sehr gut. Er war auch ein Kandidat, den ich für Werder Bremen ausgesucht hätte. Gott sei dank waren bei 1860 die Gespräche mit ihm schon so weit fortgeschritten. Ich hätte ihn auch geholt als Trainer.

Das ist dann wohl ein Riesenzufall: Dass bei 1860 schon ohne Ihre Mitsprache Ihr Wunschtrainer ausgewählt worden ist?

Es wäre zumindest blöd gewesen, wenn ein Trainer schon da gewesen wäre, den ich nicht gut gefunden hätte.

Ist 1860 jetzt Geheimfavorit?

Wir wollen das ganz gerne von uns weisen. Aber wer namhafte Spieler holt, und Olic und Aigner sind eben welche, der muss auch damit leben können, dass der Druck hier größer wird.

Was reizt Hasan Ismaik mehr: dass der Klub endlich mal kein Defizit mehr erwirtschaftet, oder ein Aufstieg?

Vielleicht ist es so, dass du als Investor irgendwann mal wissen willst: Wie fühlt sich das Produkt eigentlich an, wenn es endlich mal gut ist?

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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