1860 München:Ein gewisser Kick

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Oft am Boden: Victor Andrade zeigte sich ebenso fleißig wie eigensinnig und holte eine Reihe von Freistößen heraus. Zu einem Erfolg für 1860 reichte es aber auch mit dem Brasilianer nicht. (Foto: imago/MIS)

Was den Kampfgeist angeht, lässt sich der runderneuerten Mannschaft beim 1:2 in Stuttgart kein Vorwurf machen - überfordert wirkt sie dennoch. Der glückliche Ausgleichstreffer wird nicht anerkannt.

Selbst die gängigen Mechanismen des Fußballspiels greifen bei den Löwen derzeit nicht. Der TSV 1860 München hatte in der gesamten zweiten Hälfte beim Stand von 1:2 keine einzige Chance auf den Ausgleich gehabt, der VfB Stuttgart hingegen eine ganze Serie von großen Möglichkeiten zur Entscheidung. Da ist es eine banale Weisheit, dass in der Nachspielzeit bestimmt noch das 2:2 fällt. Doch bei Nico Kargers Treffer kurz vor Schluss entschied Schiedsrichter Arne Aarnink fälschlicherweise auf Abseitsposition des ebenfalls eingewechselten Stefan Mugosa. Verdient wäre der Treffer nicht gewesen, zählen hätte er müssen. "Das war ein korrektes Tor", sagte 1860-Geschäftsführer Thomas Eichin nach der vierten Niederlage hintereinander, "das gibt der Sache natürlich noch den gewissen Kick. Aber es ist müßig, darüber zu diskutieren. Wir haben uns wieder durch saudumme Fehler auf die Verliererstraße gebracht."

Auf sechs Positionen hat Trainer Runjaic das Team verändert - doch auch die Neuen patzen

Dabei hatte Trainer Kosta Runjaic doch die Spieler, die zuletzt die entscheidenden Fehler gemacht hatten, nicht mehr mit nach Stuttgart genommen; schließlich kämpft er längst darum, seinen Job behalten zu dürfen, und das tat er mit dem Mut der Verzweiflung. Schlechter als gegen Düsseldorf (1:3) könne es nicht mehr werden, hatte Runjaic gesagt - und seine Mannschaft dementsprechend noch stärker durcheinandergewirbelt als erwartet. Neben Michael Liendl, Kai Bülow, Marnon Busch und Karim Matmour (Knie), die nicht einmal mehr im Kader standen, fanden sich auch Daniel Adlung und Karger nicht mehr in der Startelf. Sechs Neue begannen: Rodnei in der Innenverteidigung, Daylon Claasen auf der rechten Abwehrseite, Sechser Romuald Lacazette, Victor Andrade, Levent Aycicek und Nachwuchsspieler Florian Neuhaus im völlig neu besetzten Mittelfeld.

Doch schon nach sechs Minuten musste Runjaic feststellen, dass nicht nur seine verbannten Verteidiger für Fehler gut sind, sondern auch die neuen. Nach einem Fehler von Claasen erzielte Berkay Özcan, an dem Rodnei vorbeirutschte, auf Zuspiel von Carlos Mané das frühe 1:0 für die Stuttgarter. Der VfB wirbelte vor über 55 000 Zuschauern Sechzig nun durcheinander, Takuma Asano traf das Außennetz (8.), Simon Terodde versprang der Ball in aussichtsreicher Strafraumposition (11.). Auf der Gegenseite mühte sich Andrade in seinem ersten Spiel von Beginn an um Offensivaktionen, die nicht aber nicht zu Torszenen führten. Den nächsten Treffer erzielte stattdessen wieder der VfB: Mané holte gegen Maxi Wittek einen Eckstoß heraus, nach diesem kam Christian Gentner ungedeckt zum Kopfball, 1860-Torwart Jan Zimmermann wehrte zunächst ab, aber Terodde traf im zweiten Nachschuss (18.). "Wir woll'n Euch kämpfen seh'n", sangen die 1860-Anhänger.

Am Engagement lag es nicht, dass der TSV nicht ins Spiel fand; "wir haben gefightet, gekratzt und gebissen, da kann ich der Mannschaft keinen Vorwurf machen", sagte Eichin. Aber mit der Aufgabe, angesichts des Rückstands Lösungen fürs eigene Offensivspiel zu finden, wirkte die Mannschaft schlicht überfordert. Andrade zog es daher immer wieder vor, mit Einzelaktionen Freistöße zu provozieren. Und eine Standardsituation brachte dann immerhin den Anschlusstreffer: Aycicek schlenzte den Ball aus 23 Metern über die Mauer, Stuttgarts Torhüter Mitchell Langerak kam nicht ganz ran (36.), die Löwen schöpften wieder Hoffnung. Und sie blieb erhalten, weil ein von Rodnei abgefälschter Schuss Gentners knapp am Pfosten vorbeistrich (41.).

Die zweite Hälfte begann mit einer Spielunterbrechung, weil aus dem Fanblock der Löwen pyrotechnische Gegenstände aufs Spielfeld geworfen wurden. Beim VfB kam in der 51. Minute Florian Klein als Rechtsverteidiger für Kevin Großkreutz, der mit Andrade enorme Probleme gehabt hatte - das durfte der 20-jährige Brasilianer als Kompliment für seine engagierte Vorstellung werten, die allerdings auch wieder von einem Übermaß an Eigensinn geprägt war.

Dann drückte Stuttgart auf die Entscheidung: Nach einem Eckball schoss Asano ungedeckt über das Tor (58.), dann strich ein Versuch von Terodde am entfernten Pfosten vorbei (70.). Die allergrößte Chance hatte der VfB eine Minute später nach einem Aussetzer von Jan Mauersberger - doch Mané brachte den Ball nicht im Tor unter. Kurz darauf entschied Aarnink bei einem Handspiel von Claasen im Strafraum nicht auf Elfmeter, dann ließ sich Aycicek den Ball abnehmen, Mané vergab die nächste Chance (73.). Längst konnte 1860 von Glück reden, dass die Partie nicht entschieden war. Dann traf Karger, und das Tor wurde nicht gegeben.

© SZ vom 22.10.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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