1860 München:Der demütige Held

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Kopfball, 2:1, Schluss: Kai Bülow (oben, neben Abdoulaye Ba) bei seinem Treffer in der 95. Minute. (Foto: Oryk Haist/Sven Simon)

Im wichtigen Spiel gegen den direkten Konkurrenten Karlsruhe sieht das neue System schon eine halbe Stunde lang ziemlich gut aus. Das Siegtor gelingt aber erst Kai Bülow in der Nachspielzeit.

Von Markus Schäflein

Es lief bereits die Nachspielzeit, Sechzig warf noch einmal alles nach vorne, ein Schuss traf den Pfosten, dann kam Kai Bülow und drosch den Ball ins Tor. 2:1, Sieg, für die 57 000 Anhänger des TSV 1860 München gab es kein Halten mehr. Das war im Mai 2015, als Bülow in allerletzter Sekunde gegen Kiel den Klassenverbleib in der zweiten Liga sicherte.

Diesmal, gegen den Karlsruher SC, lief die 95. Minute, als eine Flanke von Amilton herübersegelte und Kai Bülow den Kopf hinhielt. 2:1, Sieg in allerletzter Sekunde, und für die 18 100 Zuschauer gab es zumindest fast kein Halten mehr. "Insgesamt war der Druck heute ein bisschen geringer", meinte Bülow hinterher zu dem unvermeidlichen Vergleich mit Kiel. Aber groß war jener Druck vor der Partie gegen den direkten Konkurrenten um den Klassenverbleib trotzdem. Schließlich drohte nach der Niederlage in Bielefeld und dem Pokal-Aus in Lotte neben dem Absturz in der Tabelle auch ein veritabler Wutausbruch des besorgt angereisten Investors Hasan Ismaik.

Stattdessen schoben die Löwen fünf Punkte zwischen sich und den Abstiegs-Relegationsplatz. Am Ende durfte sich neben Bülow auch Trainer Vitor Pereira als Mann des Tages fühlen, hatte er doch einige sehr erfolgreiche Personalentscheidungen getroffen. Zum Beispiel hatte er in der 56. Minute Ivica Olic eingewechselt, als Mittelstürmer anstelle von Christian Gytkjaer, und mit seiner ersten Ballberührung hatte Olic zum Ausgleich getroffen, per Kopf nach einer Ecke. Und die spannende Frage, ob er im zentralen Mittelfeld auf Michael Liendl oder Daniel Adlung setzen würde, hatte Pereira beantwortet mit: Bülow.

Ob Bülow nun Kapitän bleibt? "Ich weiß ja nicht einmal, wann ich das nächste Mal spiele."

Das war eine Überraschung, schließlich hatte der 30-Jährige seit dem Trainerwechsel überhaupt keine Rolle mehr bei Sechzig gespielt. Nun trug Bülow sogar die Kapitänsbinde. Stefan Aigner zurückgetreten, Jan Mauersberger verletzt, Daniel Adlung nicht im Kader - so nominierte Pereira seinen vierten Kapitän im vierten Spiel. Dem mochte er nicht große Bedeutung beimessen: "Kapitän sind wir alle, ich bin auch Kapitän. Wir sind elf Kapitäne auf dem Platz, und es können immer drei Kapitäne reinkommen." Das gibt's auf keinem Schiff, aber bei Pereiras neuem Sechzig. Bülow, der seit 2010 in Giesing unter Vertrag steht und erst zum zweiten Mal Kapitän war, empfand den Job dennoch als "große Ehre nach so langer Zeit im Verein". Ob er das Amt behalten wird? "Ich weiß ja nicht einmal, wann ich das nächste Mal spiele."

Da klang diese gewisse Demut mit, die Bülow stets an den Tag legt und die wohl dazu geführt hat, dass er gefühlt hundert Kaderumbrüche überlebt hat - und auch den hundertersten unter Pereira. Er ist nicht so schnell wie Amilton, nicht so glamourös wie Gytkjaer, nicht ganz so ein echter Löwe wie Stefan Aigner und nicht so teuer wie Ribamar. Aber er weiß das alles, und deswegen ist er eben Kai Bülow.

Pereiras 3-4-3 mit vier neuen Spielern klappte auch dank Bülows Präsenz vor der Dreierkette besser. "Insgesamt waren die Abstände zwischen den Ketten heute besser als zuletzt", stellte er fest, "so haben wir mehr Druck auf die Ballführenden bekommen." In der Tat hatte es zumindest in der ersten halben Stunde schon ziemlich gut ausgesehen, was die Sechziger zeigten. Und sie kamen zu Chancen: Levent Aycicek verstolperte den Ball nach einem Zuspiel von Christian Gytkjaer (9.), Felix Uduokhai traf nach einer Ecke den Pfosten (10.), und als Gytkjaer nach Steilpass von Amilton alleine aufs KSC-Tor zulief, entschied Schiedsrichter Martin Thomsen irrtümlicherweise auf Abseits (21.). Das erste Tor erzielten kurz nach dem Seitenwechsel dann aber die Karlsruher. Abdoulaye Ba klärte einen Schuss von Enrico Valentini, doch den Abpraller drückte Jordi Figueras ins Tor (47.). Vom Spielfluss der ersten halben Stunde war bei Sechzig in der Folge nur noch wenig zu sehen. Immerhin gelang Olic der Ausgleich, und in der Schlussphase überschlugen sich dann die Ereignisse.

"Durch diesen Break und den Platzverweis sind wir noch mal zurückgekommen", meint Olic

Eine Verletzungsunterbrechung, weil Karlsruhes Moritz Stoppelkamp am Boden lag, führte zu der langen Nachspielzeit. In dieser handelte sich sein Kollege Grischa Prömel eine gelb-rote Karte ein. "Durch diesen Break und den Platzverweis sind wir noch mal zurückgekommen", sagte Olic, "es war unglaublich." Und unglaublich wichtig: "Wir sind noch nicht eingespielt, wir brauchen Zeit, und die haben wir nicht", meinte der Stürmer. "Wir brauchen Punkte. Und heute haben wir drei mitgenommen, mit Glück." Und mit Bülow.

© SZ vom 13.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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