1860:Die Böcke der Löwen

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Zwei Aussetzer in der Abwehr, zwei Gegentore: Trotz vieler Chancen und einer Überzahl nach einem unberechtigten Platzverweis verliert der TSV 1860 ein kurioses Spiel gegen Union Berlin 1:2.

Von Markus Schäflein

Als Hasan Ismaik in der Arena erschien, lag sein TSV 1860 München 1:2 zurück und befand sich in Überzahl. Der jordanische Investor kam erst nach mehr als einer Stunde Spielzeit an, die Wetterverhältnisse in London hatten dafür gesorgt, dass sein Flugzeug verspätet gestartet war. Ismaik sah dann noch knapp 30 Minuten, in denen die Löwen gegen Union Berlin anrannten, aber eine Chance nach der anderen vergaben und am Ende 1:2 verloren. "Da muss normalerweise mal einer reinflutschen", sagte 1860-Geschäftsführer Thomas Eichin.

Normal war allerdings recht wenig an diesem regnerischen Freitagabend in Fröttmaning. Was Ismaik versäumt hatte, waren in erster Linie zwei haarsträubende Aussetzer von 1860-Defensivspielern, die Union Berlin die beiden Treffer ermöglichten. Erst sah der erneut als Rechtsverteidiger eingesetzte Fanol Perdedaj gegen Kenny Prince Redondo schlecht aus, 1860-Torwart Jan Zimmermann konnte den Schuss zwar noch ablenken, aber Steven Skrzybski musste den Ball nur noch über die Linie drücken; da waren gerade einmal fünf Minuten gespielt. Und fünf Minuten vor der Pause spielte Milos Degenek einen sorglosen Rückpass auf Zimmermann, Redondo erlief den Ball und schob zum 1:2 ein. Trainer Kosta Runjaic suchte die Schuld freilich auch beim Kollektiv, das sich in der Phase vor der Pause seiner Meinung nach zu ungestüm verhalten hatte: "Wir haben nicht wahrgenommen, dass wir mal einen Rhythmuswechsel machen, mal Tempo rausnehmen müssen", fand er, "aber wir sind eben noch in einer Lernphase."

Eine Vorlage und einen Treffer hatten die Sechziger dem gebürtigen Münchner und langjährigen Unterhachinger Redondo, 22, also ermöglicht. "Wir haben zwei gute Halbzeiten gespielt", meinte 1860-Mittelfeldspieler Michael Liendl, der mit einem souverän verwandelten Handelfmeter den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich erzielt hatte, "aber wir haben uns mit zwei Böcken selbst geschlagen."

Die Szene, die zu Liendls Handelfmeter geführt hatte (25.), hätte das Potenzial gehabt, an diesem verrückten Abend ebenfalls für Gesprächsstoff zu sorgen. Auf der Anzeigetafel wurde Toni Leistner als der Gelbsünder genannt, in Wahrheit hatte Collin Quaner das Handspiel begangen, der Schiedsrichter wiederum verwarnte Fabian Schönheim. Und jener Schönheim musste dann in der 56. Minute nach einem Zweikampf mit Sascha Mölders mit Gelb-rot vom Platz. "Er begeht als Innenverteidiger sein erstes Foul im Spiel und fliegt", klagte Union-Trainer Jens Keller: "Wenn wir nicht gewonnen hätten, hätte ich mich natürlich maßlos darüber geärgert, und dann hätte es sicher Diskussionen gegeben." Zumindest hatten die Berliner bereits in der Halbzeitpause erfahren, dass Schiedsrichter Florian Heft den Falschen verwarnt hatte, Schönheim spielte also im Bewusstsein seiner Vorstrafe.

"Wir haben gute Kombinations-Passagen gesehen", sagt Runjaic, "kein Vorwurf ans Team."

Es war das dritte Spiel in Serie, in dem die Sechziger eine längere Phase in Überzahl bestreiten durften; wie schon in Karlsruhe (0:0) konnten sie diesen Umstand nicht nutzen. Der Unterschied lag allerdings darin, dass sie sich diesmal eine Reihe von Möglichkeiten herausspielten. "Wir haben alles versucht, gute Kombinationspassagen gesehen und eine Reihe von Schüssen aufs Tor gebracht", sagte Runjaic, "kein Vorwurf ans Team." Ein Schuss von Liendl strich knapp über die Querlatte (56.); Linksverteidiger Maximilian Wittek traf den rechten Pfosten (60.), den Nachschuss setzte erneut Liendl vorbei; der für den blassen Daylon Claasen eingewechselte Levent Aycicek traf das Außennetz (73.); Karim Matmour scheiterte an Union-Torwart Jakob Butz (74.).

In der 78. Minute hätte dann plötzlich die Entscheidung auf der anderen Seite fallen können. Nach Missverständnissen in der 1860-Defensive lief Quaner alleine aufs Tor zu, vergab aber die große Chance. Also drückte Sechzig weiter, aber Mölders schoss am rechten Pfosten vorbei (80.), und nachdem erneut Quaner eine Konterchance vergeben hatte, köpfelte der eingewechselte Stefan Mugosa den Ball in die Arme von Busk (90.).

Den nach dem 2:1-Sieg in Nürnberg erhofften Aufschwung hatten die Sechziger mit zwei groben Patzern und mangelhafter Chancenverwertung also selbst gebremst. Eichin fand das nicht einmal überraschend: "Ich habe gesagt, dass nichts ein Selbstläufer wird und wir jetzt nicht alles gewinnen werden."

Der Geschäftsführer sieht sich ja selbst als Moderator; zu seinen Aufgaben gehörte es auch, diese Sichtweise Ismaik zu erklären, der im Stadionheft den Aufstieg binnen zwei Jahren angekündigt hatte. So gesehen hatte Thomas Eichin Glück, dass der Investor die erste Stunde gar nicht gesehen hatte.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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