17. Etappe:Der König der Hölle

Lesezeit: 2 min

(Foto: Stuart Franklin/Reuters)

Der Kolumbianer Miguel Angel Lopez gewinnt die extrem steile Alpenetappe, Primoz Roglic baut Gesamtführung aus.

Von AUM, Méribel/Frankfurt

Der Chef der Tour de France war wohl etwas unpräzise geblieben. "Das wird höllisch", hatte Christian Prudhomme vor dem Start der Königsetappe am Mittwoch angekündigt. Aber er hatte leider nicht ausgeführt, wie höllisch das werden würde, und wenn es stimmt, was Dante schreibt und die Hölle neun Kreise hat, dann schienen die Fahrer auf den finalen Kilometern des Tages dem letzten und tiefsten Höllenkreis sehr nahe zu sein. Das sah man schon daran, in welcher Formation sie die letzten Rampen dieses Col de la Loze heraufkrochen. Keinerlei Grüppchen gab es mehr, die Favoritenschar war völlig zersprengt, jeder fuhr und litt für sich allein, noch eine 20-prozentige Rampe und noch eine, neben sich Geröll oder Fans, die kaum Platz für die Durchfahrt ließen - bis sie sich irgendwie ins Ziel schleppten.

Als Erstes schaffte das am Ende der Kolumbianer Miguel Angel Lopez. Ein paar Sekunden dahinter der Gesamtführende Primoz Roglic (Slowenien), der so seine Führung im Kampf ums Gelbe Trikot ausbaute. Dann sein junger Landsmann Tadej Pogacar, der mit nun 57 Sekunden Rückstand Roglics erster Verfolger bleibt, und danach allein und abgekämpft einer nach dem anderen. "Ich bin richtig zufrieden. Ich habe zwar nicht gewonnen, aber Sekunden herausgeholt. Alles läuft gut", sagte Roglic

Erstmals war dieser Col de la Loze bei einer Tour im Programm, bewusst als Scharfrichter, dessen höllischen Charakter alleine die statistischen Daten zeigen: 2304 Meter hoch, 21,5 Kilometer lang, durchschnittlich 7,8 Prozent steil, auf den letzten Kilometern gar durchschnittlich zehn und mit Passagen von bis zu 24 Prozent. Sehr unrhythmisch ist der Weg hinauf, kaum Serpentinen, viel geht gerade aus. Es ist einer der Anstiege, bei denen sich die Frage aufdrängt, ob es so etwas Spektakelheischendes wirklich braucht in einer Branche, die dauernd gegen Skepsis ankämpfen muss.

Einer, der bis vor ein paar Tagen als Kandidat galt, hier ganz vorne zu landen, nahm den Berg erst gar nicht mehr in Angriff: Vorjahreschampion Egan Bernal (Ineos) stieg vor der Etappe aus, er war im Klassement ohnehin schon weit zurückgefallen. Dafür war dann sein Teamkollege Richard Carapaz aus Ecuador der letzte Verbliebene einer fünfköpfigen Ausreißergruppe, zu der auch Vortagessieger Lennard Kämna zählte - aber mitten im finalen Berg war Schluss für ihn. Denn hinten in der Gruppe der Favoriten machte etwas unerwartet das Team Bahrain-McLaren das Tempo, um einen Angriff seines Spitzenmannes Mikel Landa vorzubereiten. Doch als alle Vorarbeit getan war, konnte der leider nicht mehr und fiel zurück. Dafür leistete sich das Team Jumbo von Gelb-Träger Primoz Roglic eine bemerkenswerte Szene: Edelhelfer Sepp Kuss fuhr den Höllenberg so schnell hoch, dass Roglic für einen Moment nicht mehr folgen konnte - und der Kolumbianer Lopez dies für die entscheidende Attacke für den Tagessieg nutzte.

Aber Roglic war stark genug, den zweiten Tagesplatz zu behaupten und im Gesamtwertungsduell mit Pogacar den Vorsprung auszubauen. Jetzt gibt es nur noch zwei Tage, die er fürchten muss. Das Bergzeitfahren am Samstag - und eine Alpenetappe am Donnerstag. Die hat zwar keinen solchen Anstieg wie den Col de la Loze im Programm, aber ist dennoch immens schwierig. Fünf Anstiege gibt es auf dem Weg nach La Roche-sur-Foron, darunter einen der höchsten Kategorie, auf dem es am Schluss über eine Schotterpiste geht. Der neunte Kreis wird das vielleicht nicht, aber auch wieder höllisch.

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: