1. FC Nürnberg:Meister der ernsten Witze

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Auf der Höhe des Erfolgs widersetzt sich Nürnbergs Trainer Meyer allen Klischees - auch dem des Königs.

Volker Kreisl

Zurzeit, da kommen sie wieder alle. Die Alten, die Kinder und auch die ehemaligen Profis mit ihrem Gefolge, und sie reden aufgeregt durcheinander, wie Grüppchen, die sich abends vor der Disko versammeln. Sasa Ciric zum Beispiel ist da, der Torjäger der späten Neunziger. Oder Martin Driller, der schrille Stürmer, er erscheint wie eh und je mit Modefrisur und steht mitten in seiner Clique. Mit Driller hat auch noch Marc Öchler gespielt, genannt der "Ö". Der Ö lehnt zusammen mit zwei Herren am Balken und schaut auf den Trainingsplatz, die drei fachsimpeln, aber dann fachsimpeln sie zu lange, denn das Training ist vorbei, und der Ö schaut auf und sagt plötzlich: "He! Wenn ihr ihn noch kriegen wollt, dann würd' ich mich beeilen."

Hans Meyer will mit seiner Mannschaft Stuttgarts Double verhindern. (Foto: Foto: dpa)

Die beiden fangen nun an zu rennen. Einer hat einen riesigen Glaspokal aus einer Tüte gezogen, auf dem der Name Hans Meyer eingraviert ist. Sie laufen so schnell sie können, zwischendurch müssen sie verschnaufen, aber ihr Ziel muss zum Glück auch anhalten und Autogramme schreiben, und so holen sie es doch noch ein. Aus der Ferne sieht man, wie sie dem Trainer Hans Meyer ihren Pokal überreichen, ein Geschenk für seine Verdienste um ihren Club, sie nicken ihm zu, und der gut 1,90 Meter große Meyer überragt auch diesmal alle und lächelt.

Es hieß zwischendurch, diese späte Trainerstation beim 1. FC Nürnberg müsse für Meyer, 64, wie eine Verjüngungskur wirken. Zunächst einmal ist es aber umgekehrt: Je näher das Finale um den DFB-Pokal rückt, in dem der Club erstmals seit 25 Jahren wieder steht, desto mehr sind es die Clubfans, die wie Kinder wirken. Es muss wohl so sein, wenn ein so genannter Traditionsverein aus der Versenkung auftaucht und auch noch im Uefa-Cup mitspielen darf. Nun umringen die Nürnberger Grundschüler Meyer wie einen beliebten Lehrer, sie verstehen den ganzen Zusammenhang dieser Renaissance noch nicht. Sie wollen ein Autogramm. Die alten Nürnberger aber haben noch die letzte Meisterschaft 1968 erlebt und die Abstiege und Demütigungen danach. Sie wollen einen König.

Was kann dem Club mit dem alten Fuchs Meyer schon passieren?

Aber Idole kennt man nicht wirklich, Anhänger erleben immer nur einen Teil von ihnen. Die eckige Lesebrille baumelt von Meyers Hals, und er trägt noch so einen Scheitel, der scharf gezogen ist und zwar seit Jahrzehnten an derselben Stelle. Das weckt Vertrauen, erst recht, wenn man bedenkt, was Meyer schon alles war. Als gerade 29-jähriger Trainer DDR-Pokalsieger und 1981 Uefa-Cup-Zweiter mit Carl Zeiss Jena, erfolgreicher Trainer in Gladbach und Berlin und außerdem Großvater von acht Enkeln. Sein taktisches Geschick wird gelobt, irgendwas wird er sich schon auch zum Pokalffinale einfallen lassen, in dem er auf die slowakischen Offensivspieler Vratislav Gresko und wohl auch Robert Vittek verzichten muss. Seine Art, Fragen mit Humor zu kontern, wirkte schon immer überlegen. Auch in Nürnberg setzt er zielsicher Pointen - was also kann dem Club mit so einem alten Fuchs schon passieren?

Am 28. Oktober 2006 hatte der 1. FC Nürnberg 1:1 gegen Dortmund gespielt, das Gegentor war in der 86. Minute gefallen. Wie üblich wurde in der Pressekonferenz gefragt, wie es dazu kommen konnte, und Meyer, der das Spiel immer als komplexes Ganzes begreift, das man nicht vereinfachen darf, flachste: ,"Wir werden zu Hause noch mal analysieren, wie das Ergebnis zustande kommen konnte, werden denjenigen, wenn wir ihn denn finden, erschießen - und dann geht's weiter." Herzlich wurde gelacht, aber dann begann eine Episode, die beispielhaft ist für den Albtraum des Hans Meyer. Denn am Montag geißelten Agenturen, Teile der Boulevardpresse und des Internets Meyers "menschenverachtende" Worte, Stern.de fragte gar: "Hans Meyer will Spieler erschießen - wer legt dem Mann das Handwerk?"

Nürnbergs Manager Martin Bader musste danach erklären, dass das Stilmittel der Ironie nicht gerechtfertigt werden muss. Boulevardmedien ignoriert Meyer, doch es ist, als würde er die, die er nur links liegen lassen will, einfach nicht los, unzählige Beispiele fürs Torpedieren seiner Arbeit durch die Presse, fürs "bösartige Verdrehen von Worten" kennt er. Bei Borussia Mönchengladbach war er zum gemeinsamen Essen einmal etwas zu spät gekommen, aber er hatte sofort gesehen, dass etwas nicht stimmte. Keiner hatte was auf dem Teller, alle warteten auf Meyer. "Ich hab mich schon gewundert, aber dann habe ich in den Topf geguckt, und da lagen wunderbare Eisbeine drin, aber solche Dinger", und jetzt deutet Meyer mit seinen Händen mächtige Schweinshaxen an. "Ich hab' dann gefragt: Wer mag Eisbein? Zwei haben sich zögerlich gemeldet, dann hab ich selber die Hand gehoben - gegessen haben alle." Das Bild ist harmonisch, 25 hungrige Fußballer, die normalerweise nicht verdächtig sind, Vegetarier zu sein, versagen sich dem Eisbein, und stürzen sich dann doch alle drauf. Nur, am nächsten Tag, erzählt Meyer, "da titelte Bild: Meyer verordnet Eisbein", und in den folgenden Tagen besprachen dort die Ernährungswissenschaftler die rückständige Meyersche Fußballkost.

So geht es im Grunde ständig. Meyer will differenzieren, aber Fußballmedien wollen Schlagworte; zum Beispiel "Opa-Fußball". Damit wurde in Gladbach seine Taktik bezeichnet, weil Meyer im Abstiegskampf ausnahmsweise mal den Libero wieder aufleben ließ. Aber Meyer will seine Arbeit nicht auf Grundbegriffe reduzieren lassen, und erst recht nicht seine Persönlichkeit. Der Staatssicherheitsdienst der DDR hatte ihn lange als Mitarbeiter geführt, und es gibt eine Akte mit seinen "zuverlässigen und objektiven Informationen" über Kollegen, doch Meyer lässt sich sogar da nicht in die gängigen Kategorien Täter, Opfer, Unbeteiligter einordnen. Er hat sich nie schriftlich verpflichtet, aber er erklärt, mit der Stasi zu tun gehabt zu haben, jedoch nicht konspirativ: "Die kamen vor dem Spiel, und jeder hat's gesehen." Verdächtige Spieler durften nicht mit ins Ausland, aber Meyer weigert sich, dies als unzulässigen Eingriff zu empfinden. "Manche durften eben aus politischen Gründen nicht mitreisen", sagt er.

Diese Verteidigung, etwas zuzugeben, aber in einen harmlosen Zusammenhang zu stellen, könnte ein listiger Coup sein, ein Meyerscher Coup wie die Einwechslung des erfolgshungrigen Ersatztorwarts Klewer, der zum Elfmeterhelden im Pokal-Viertelfinale wurde. Meyer wirkt aber glaubwürdig, denn er bekennt sich dazu, nicht nur kooperiert zu haben, sondern auch kritiklos gewesen zu sein: "Machen Sie mich bloß nicht zum Kämpfer gegen das System!" Er hat gut verdient in diesem System und Anerkennung gewonnen - darüber nun zu schimpfen, das wäre ihm zu einfach. Stattdessen fragt er: "Gibt es im Westen unendliche Freiheit?" Herausfordernd späht er über den Tisch und erwähnt die Unfreiheit, arbeitslos zu sein, und jetzt bekämpft er nicht ungeschickt das Klischee über den Osten mit dem Klischee über den Westen.

Autogramme für Erwachsene

Manche Bild-Reporter entsprechen überhaupt nicht dem Klischee der Schlagwortejäger. Sie klagen, Meyer behandle sie wie die Letzten, obwohl sie ihm nichts Schlimmes getan hätten, obwohl die Reichweite des Boulevards doch auch seinen Marktwert stütze - aber in diesen Kategorien denkt Meyer nicht. Sein Einfluss entstand nicht aus dem Arrangement mit der Macht, sondern, weil er jederzeit sagen konnte: Ich hab's nicht mehr nötig. Wenn er also erklären soll, weshalb er nicht mit Bild kooperiere wie viele andere Profitrainer, dann beugt er sich über die Tischplatte, und er regt sich dabei so auf, dass sich seine Augen weiten: "Nennen Sie mir einen Grund, warum ich kooperieren soll? Hat es je einem Trainer geholfen, so einen Reporter gekannt zu haben? Nein, hat es nicht, vielleicht werden Sie als Trainer drei Wochen später entlassen, aber entlassen werden Sie, und glauben Sie mir, jeder Trainer würde liebend gerne auf die letzten 14 Tage verzichten."

Manchmal sind seine Witze in Wirklichkeit todernst. Sie sind eine Waffe, aber das Vereinfachen wird er mit der Waffe des Absurden nicht besiegen, weil der Fußball an sich absurd ist: erwartungsbeladen - aber von Zufällen abhängig; hoch kompliziert - aber für den Stammtisch zugänglich. Meyer mahnt in jeder zweiten Pressekonferenz vor der Vergänglichkeit dieses Erfolgs, er sagt immer, wahre Klasse beweise sich erst, wenn es zu einer Krise komme. Hören will das niemand, stattdessen bitten ihn immer mehr Erwachsene um ein Autogramm, und Meyer sagt, "ich lasse niemanden im Regen stehen, ich unterschreibe, was ich kann". Aber er fragt sich dabei, was ein erwachsener Mensch von so einem Schriftzug hat: "Was bitte hat ein Fußballtrainer Meyer geleistet?"

Es scheint, als sei ihm die Niederlagenserie Ende der Saison ganz gelegen gekommen, weil sie dokumentierte, dass auch unter Meyer nicht alles aufwärts geht. Was im März von seinem Privatleben zu erfahren war, bezeugt dies. Er hatte sich von seiner Frau nach 39 Jahren getrennt, er ist nach Nürnberg gezogen, aber nach einer Trennung ist auch ein König erst mal auf der Suche nach einer neuen Heimat. Die Nürnberger Autogrammjäger in ihrem großen Glück dürften davon überrascht sein, dass Meyer sagt: "Ich bin eher ein ernsthafter Mensch." Kürzlich hatte Club-Präsident Michael A. Roth im Überschwang vereinfacht: "Hans Meyer hat in Nürnberg seine glücklichsten Tage verbracht." - "Wie", fragt Hans Meyer nun, "will ein Fremder das beurteilen?"

© SZ vom 25.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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