1. FC Nürnberg:Geist Lothar überm Valznerweiher

Lesezeit: 3 min

Im Kampf gegen die Dynamik des Misserfolgs hat Nürnbergs Trainer Wolfgang Wolf bald alle Mittel aufgebraucht - die Fans diskutieren den Namen Matthäus.

Volker Kreisl

Man muss sich vorstellen, wie der aufstrebende Stürmer Chhunly Pagenburg, den keiner kennt, morgens eine Boulevardzeitung aufschlägt und erstmals sein Bild sieht. Oder wie der frustrierte Stürmer Markus Daun einen Verriss seiner Bilanz (vier Spiele, null Tore) liest, dazu vielleicht einen Vergleich mit dem vermissten Torjäger Mintal.

Der Club will mit Wolf weiterarbeiten, will aber auch nicht realitätsfremd sein. (Foto: Foto: AP)

Und egal, ob der Fußballprofi an der Tankstelle steht oder beim Frühstück sitzt oder den Sportteil an der Ampel überfliegt - normalerweise, sagt Martin Bader, Manager beim 1. FC Nürnberg, "ist er dabei allein". Und dann entstehen aus den Geschichten im Fußballerkopf Gedanken und aus den Gedanken entstehen Gespenster.

Auch deshalb trainierten die Spieler des 1. FC Nürnberg diese Woche 100 Kilometer weit weg von zu Hause, in Bad Gögging, und wenn sie Zeitung gelesen haben, dann gemeinsam.

Dynamik des Misserfolgs

So akut sind die Probleme des 1. FC Nürnberg bereits, dass die Klubleitung von ihren ursprünglichen Planungen abweichen musste. Drei Punkte hat die Mannschaft von Trainer Wolfgang Wolf erst geholt, und damit sind alle Treueschwüre und Nachhaltigkeitparolen vorerst vergessen.

Der Club steckt im Abstiegskampf und ist ein Beispiel für die Dynamik des Misserfolgs, mit den Zweifeln, die in den Köpfen stören, und den Eskalationsstufen, auf denen gegen sie gekämpft wird. Martin Bader spricht von "Patronen", die der Club noch im "Revolver" habe.

Der erste böse Geist, gegen den Wolf zu kämpfen hatte, war ein gewisses Selbstmitleid, nach den ersten unglücklichen Niederlagen. Seine Mannschaft ist beachtlich verstärkt in die Punkterunde gegangen, und Spieler wie Jan Polak oder Iwan Saenko deuteten an, dass sie die Erwartungen erfüllen können. Aber aus einzelnen Rückschlägen wie Ballacks Abseitstor oder Dauns nicht gegebenem Treffer in Duisburg entstand der irrige Glaube, man stehe nur da hinten drin, weil man Pech habe. In der zweiten Halbzeit gegen Duisburg erstarrten die Nürnberger, sie erspielten sich keine Torchancen mehr, und das wog schwerer als etwas Pech.

Wolf reagierte mit der ersten üblichen Maßnahme, er versammelte diese Woche seine Mannschaft in Klausur, dort, wo keine Fans das Training kommentieren. Gegen den 1. FC Köln muss ein Sieg gelingen, und weil das so dringend ist, griff Wolf gleich zur nächsten Waffe, die ein Trainer mit dem Rücken zur Wand hat: die Erneuerung mit Nachwuchsspielern.

Er verkündete das Ende lässiger Spielweise, das Ende von "Hacke, Spitze, eins zwei drei". Man fragt sich zwar, wann in Nürnberg je mit Hacke oder Spitze gespielt wurde, aber es war ja nur im übertragenen Sinne gemeint.

Mit der Mannschaftsführung lotete Wolf aus, welche seiner Profis es noch als Privileg empfinden, in der Bundesliga und beim Club zu spielen. Bader sagt, "zu 90 Prozent haben sich die Meinungen gedeckt". Robert Vittek, Iwan Saenko, Adel Chedli, Maik Wagefeld und Samuel Slowak wurden aus dem Kader gestrichen.

Sie durften nicht mal mit nach Bad Gögging fahren, dafür Chhunly Pagenburg, 18, Verteidiger Michael Kammermeyer, 19, und Mittelfeldspieler Sebastian Szikal, 18.

Bader erklärt: "Es geht nicht mehr darum, Einzelnen gerecht zu werden, es geht nur noch darum, dem Verein gerecht zu werden." Solche Worte hört man sonst von bedrängten Politikern, die die Themen nicht mehr selber setzen können.

Auch in Nürnberg ist längst der nächste lästige Gedanke im Umlauf, und vor diesem kann sich die Klubleitung nicht in Bad Gögging verschanzen. Bader sagt dazu einen Satz, den man eigentlich ein paar Sekunden lang wirken lassen sollte: "Wir führen hier keine Trainerdiskussion, aber wir stellen uns ihr."

Das ist keineswegs schizophren, der Club will eben mit Wolf weiterarbeiten, er will aber auch nicht realitätsfremd sein. Der Trainer hat ein gutes Scoutingsystem aufgebaut, jemanden wie den U-21-Stürmer Stefan Kießling zum Profi gemacht und der Mannschaft die Fähigkeit zur Spielgestaltung vermittelt.

Ständig im Gespräch

In Nürnberg wollen alle, dass Wolf weiter führt, was er aufgebaut hat, dass es für ihn anders läuft als damals in Wolfsburg. Aber gegen Niederlagen hilft im Fußball nichts, und daher huscht längst das nächste Gespenst über den Valznerweiher, und dieses Gespenst hat einen Namen: Lothar Matthäus.

Beim 1. FC Nürnberg diskutieren in den Pizzakneipen, in Reporterkreisen und Lotto-Stellen viele Experten aus der guten alten Zeit, und sie sortieren schon mal Nachfolgernamen: Dass Peter Neururer darunter ist, war klar, dass Matthäus dazuzählt, eigentlich auch.

Der Mann hat vermutlich Qualitäten, aber er ist auch ständig irgendwo im Gespräch, zuletzt in Israel und Griechenland, und damit ist er ein sehr flüchtiger Geist.

Dennoch, wenn es am Samstag keinen Sieg gibt, dann wäre die letzte Phase der Eskalation erreicht, und dann lässt sich auch der Geist Lothar nicht mehr kontrollieren. Wolf gibt sich noch gelassen und sagt, er konzentriere sich auf seinen Job.

Auf Gruppengespräche und Einzelgespräche und auf die Frage, wer für die verletzten Andreas Wolf, Javier Pinola und Benjamin Lense in der Abwehr spielen soll. Die Mannschaft kommt kurz vor dem Anpfiff aus Bad Gögging an, ohne Umweg.

© SZ vom 1. Oktober 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: