1.FC Köln:Im Wald verstreut

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Der Verein aus der Domstadt ringt vor dem Spiel gegen die Bayern um Ordnung - und trägt schwer an der Krise seines Nationalstürmers Lukas Podolski.

Christoph Biermann

Wenn Uwe Rapolder die Jalousien vor dem Fenster seines Trainerzimmers ein wenig auseinander schiebt und nach draußen lugt, sieht es aus, als würde er durch Schießscharten spähen. "Da stehen schon wieder Kameras", sagt er und beginnt zu lachen. Manchmal hat der Trainer des 1.FC Köln selbst in diesen Tagen noch Heiterkeitsausbrüche, auch wenn sie eher Ausdruck von schwarzem Humor sind. So spricht er mit Blick auf die Fernsehreporter vor dem Fenster vom "Belagerungszustand" und lacht dunkel. Oder Rapolder erzählt von der 3:6-Niederlage in Frankfurt und dass ihn dort eine Sportzeitung verkabelte, um seinen Herzschlag zu vermessen: "Beim sechsten Gegentor habe ich auf meine Pulsuhr geschaut und gedacht: Puls 96, Mensch bist du gut drauf!"

Der Sarkasmus wirkt befreiend, aber Uwe Rapolder ist alles andere als gut drauf. Vor dem Gastspiel des FC Bayern ist das beim 1.FC Köln niemand. Die letzten fünf Partien in der Bundesliga gingen verloren, in den beiden vergangenen kassierte der Aufsteiger zehn Gegentore. Die Tendenz ist alarmierend, und entsprechend jaulen in Köln die Sirenen. "Es ist gut, dass ich der Prügelknabe bin und die Mannschaft relativ glimpflich davonkommt", sagt der Trainer, dessen Team mit guten Nerven nicht gerade gesegnet ist. Doch selbst wenn Rapolder zugleich grollt, er sei nun "das Experimentierfeld für tiefenpsychologische Ausdeutungen", ist zumindest sein Job weniger gefährdet als man annehmen könnte.

Das vom Kölner Stadt-Anzeiger konstatierte "Nicht-Ultimatum" der Vereinsführung für den Coach hat einen Grund. Bei einer Trainerentlassung würde nicht nur Manager Andreas Rettig zur Disposition stehen, sondern auch Präsident Wolfgang Overath und dessen Entourage. Schon wird auf den Leserbriefseiten der Lokalzeitungen geklagt, dass es mit dem Altinternationalen Overath auch nicht besser wäre als dereinst mit Uwe Seeler in Hamburg. Rapolder ist auch Overaths Wahl gewesen, dessen Spannmann Jürgen Glowacz hat sich mit dem Trainer angefreundet, und der von Overath zum Chefscout gemachte Stephan Engels nimmt als Assistent bei Rapolder derzeit Nachhilfe in Systemfußball.

Obwohl es den im Moment im Grunde nicht gibt. "Ich bin nicht stur und stelle daher so auf, wie es die Stärken der einzelnen Spieler trägt", sagt Rapolder. Das in Bielefeld gesetzte 4-2-3-1-System ist in Köln nur eine von mehreren taktischen Grundformationen, mit denen der Coach in dieser Saison ins Spiel gegangen ist. Bereits 24 Spieler hat er auf der Suche nach einem Team eingesetzt, es aber noch nicht gefunden. "Wir haben immer anders gespielt", sagt Rapolder, "aber wenn keine Methode dahinter steckt, ist es schwierig, Leistungen zu stabilisieren." Immer noch machen die Profis Fehler selbst bei den Grundbegriffen von Rapolders Fußballs; etwa, wann man aus der Abwehr herausrückt und wann nicht. Der Trainer erklärt es damit, dass immer wieder wichtige Spieler verletzt gewesen seien. Daher hätte man nicht konsequent methodisch arbeiten können, und so hätte sich auch noch keine interne Struktur im Team ergeben.

Podolski durchschreitet weiter ein tiefes Tal

Über Lukas Podolski will er in diesem Zusammenhang nicht sprechen, niemand beim FC will das ernsthaft. "Wir sind alle aufgerufen, ihm jetzt zu helfen", sagt Manager Rettig unverbindlich. Allerdings sind die Hilfslieferungen bislang nicht angekommen, denn Podolski durchschreitet weiter ein tiefes Tal. Beispielhaft dafür war seine Leistung in Frankfurt, wo er mit nur 36 Ballkontakten in 90 Minuten und nur jedem fünften gewonnenen Zweikampf statistisch gesehen der schwächste Spieler war. Vielleicht war die Leistung ein stummer Protest des Nationalspielers gegen die Aufstellung in der ungeliebten Position der vordersten Spitze, aber auch mit Stürmern an seiner Seite sah er in dieser Saison kaum besser aus.

Lukas Sinkiewicz, Kölns zweiter Spieler bei Klinsmann, ist zwar in einem ähnlichen Loch, doch leidet der Verteidiger eher still. Die Probleme des unumstrittenen Stars Podolski, auf den sich der ganze Klub ausgerichtet hat, strahlen jedoch aufs Team ab. Rapolder hat früher angemerkt, "er schaltet zwischendurch ab und arbeitet nicht genug nach hinten", doch wurde das wie eine Majestätsbeleidigung von Prinz Poldi behandelt. Inzwischen tut Rapolder selbst Podolskis öffentliche Kritik, der Trainer habe sich nicht genug um ihn gekümmert, als "Missverständnis" und "jugendlichen Leichtsinn" ab. Auch Management und Vorstand hätscheln den vom Gezerre um ihn frustrierten Nationalspieler, weil sie ihre Position in den anstehenden Vertragsverhandlungen nicht gefährden wollen.

So verdichtet sich das Gefühl, dass beim FC in dieser Saison zu viele Kompromisse gemacht wurden, die sich nun als faul erweisen. Sei es bei den Transfers, der Suche nach einem Spielsystem oder beim Umgang mit dem Star. Gegen die Bayern hofft der Mann hinter den Jalousien auf einen "Solidarisierungseffekt" beim Publikum und zieht einen historischen Vergleich heran. "Es ist wie vor 2000 Jahren bei den Germanen, die eine Schlacht verloren haben und erst bei Kälte und Regen verstreut im Wald herumgelaufen sind", sagt Rapolder, "aber inzwischen haben wir uns gesammelt, unsere Wunden gepflegt, und jetzt geht es gegen die übermächtigen Römer." Dann lacht er, der Vergleich macht ihm Spaß. Doch dereinst siegten die Germanen unter Arminius nur im Teutoburger Wald bei Bielefeld - in Colonia setzten sich die Römer durch.

© SZ vom 29.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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