1:1 im Verfolgerduell:Im Bann der Technik

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Mönchengladbach und Schalke liefern sich einen rassigen Kampf - aber für die brisantesten Szenen sorgt wieder der Video-Beweis.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

In der Halbzeit wurde über den Schiedsrichter diskutiert, und nach dem Spiel wurde auch wieder über den Schiedsrichter diskutiert. Und wenn nicht über den Schiedsrichter diskutiert wurde, dann diskutierte man über seinen großen Bruder in Köln-Deutz. Auch das Spitzenspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Schalke 04 stand also wieder mal im Bann der neuen Technik, denn die brisanteste Szene der Partie brachte zwar kein Tor, bildete aber den neuralgischen Moment im Spielverlauf. Die Borussen wähnten sich nach dem Elfmeterpfiff von Sascha Stegemann schon auf dem schnurgeraden Weg zum 2:0-Führungstreffer, doch das Eingreifen des Videoassistenten machte ihre Hoffnungen zunichte.

Niemand weiß, wie der Abend geendet wäre, wenn sich die Revisionsinstanz nicht eingeschaltet und den Elfmeter einkassiert hätte - ob unbefugt oder mit Recht bleibt diskutabel -, fest steht bloß folgendes: Mönchengladbach und Schalke wurde jeweils ein Tor zugesprochen, die Klubs erhalten dafür in der Tabelle jeweils einen Punkt. Für beide Seiten war das 1:1 (1:0) ein gerechter Lohn aus zwei unterschiedlichen Halbzeiten. Die Schalker durften froh sein, dass sie zur Pause nicht höher zurücklagen, die Borussen mussten sich glücklich schätzen, dass sie am Ende nicht noch verloren hatten.

Hecking hat "keinen Bock mehr" auf Diskussionen über den Video-Beweis

In der vorigen Woche hatte sich Schalkes Trainer Domenico Tedesco noch über die Intervention des Videoschiedsrichters beklagt, als dieser dem 1. FC Köln einen (umstrittenen) Hand-Elfmeter bescherte, diesmal kam ihm der Fernsehmann zur Hilfe, als er den Schiedsrichter in der 31. Minute auf ein folgenschweres Versäumnis hinwies: Stegemann hatte nach Naldos Foul an Lars Stindl bereits auf Strafstoß entschieden, als ihn sein Aufpasser in Köln auf eine Szene hinwies, die dem Geschehen im Strafraum vorausgegangen war. Da hatte der Gladbacher Oscar Wendt seinen Gegenspieler Daniel Caligiuri gerempelt. Dieser fiel zu Boden, Stegemann zeigte in aller Deutlichkeit an: gesunde Härte, weiterspielen. Im Fortgang seiner nächsten Entscheidung kam die Szene jedoch auf Anregung der Kölner Korrekturstelle zur Wiedervorlage. Und diesmal befand Stegemann, dass Wendt ein Foul begangen hätte. Also Freistoß für Schalke und kein Elfmeter für Gladbach.

Damit waren die heimischen Zuschauer natürlich nicht einverstanden, zumal viele nicht verstanden, was vorgefallen war. Aber es blieb nicht beim temporären Unmut. Die grün-weiße Kurve stimmte einen Chor an, der das Grundsätzliche ansprach, und dem sich die blau-weiße Kurve sofort anschloss. Und so sangen Gladbacher und Schalker vereint: "Ihr macht unseren Sport kaputt", adressiert an die Sportbehörden DFB und DFL. Borussia-Trainer Dieter Hecking hingegen verweigerte nachdrücklich den Kommentar zum strittigen Vorgang und verbat sich in der Pressekonferenz Fragen der Reporter: "Ich bin weiterhin ein klarer Befürworter. Ihr wartet doch nur darauf, dass einer von uns beiden (Trainern) sagt: Abschaffen! Darauf habe ich keinen Bock, ich habe keinen Bock mehr, darüber zu reden. Begreift es endlich."

Gladbachs feine Füßchen machen sogar Naldo unruhig

So nebensächlich war das Spiel allerdings nicht, dass es nur um die Schiedsrichterreform gehen musste. Hecking fand, er habe "ein gutes Spiel von zwei guten Mannschaften gesehen", recht hatte er. Die Borussen begannen mit mehr Zielstrebigkeit und bereiteten den Schalkern regelmäßig Pulsrasen, wenn sie sich auf engem Raum in die Spitze kombinierten. Stindl, Raffael, Hazard und Grifo setzten die Schalker Deckung um den diesmal ausnahmsweise etwas unruhigen Naldo schwer unter Druck. "Gefühlt", sagte Tedesco, habe da bei jedem Angriff ein Gegentor gedroht, doch es dauerte bis zur 21. Minute, bis das 1:0 fiel - in einer Szene, die weitaus weniger gefährlich war als so manche Attacke zuvor: Nach einem Eckstoß kam Ginter mit dem Kopf an den Ball, und am zweiten Pfosten tauchte Christopher Kramer auf, um die Kugel ins Netz zu befördern. Breel Embolo, der zuständige Schalker, ließ es geschehen, indem er auf dem Fleck verharrte.

Anschließend vollzogen die Gladbacher den klassischen Programmwechsel. Sie zogen sich in die Deckung zurück und überließen Schalke den Ball, um im geeigneten Moment zu kontern. Das gelang jedoch selten. Stattdessen war Kehrer dem Ausgleichstreffer nahe, doch Ginter lenkte den Ball mit einer spektakulären Kopfballparade über die Latte. Ein wenig Glück hatten die Schalker hingegen, als Stindl ein Tor erzielte, das aufgrund einer hauchzarten Abseitsposition nicht zählte.

Zur Pause musste Tedesco folgendes feststellen: Das Angriffsduo mit di Santo und Embolo funktionierte nicht, und der junge Regisseur Harit hatte auch nicht seinen besten Tag. Es dauerte aber bis zur 60. Minute, bis der Trainer reagierte und an Embolos Stelle Burgstaller in die Spitze schickte. Das machte sich bezahlt. Nicht nur, weil zwei Minuten darauf der Ausgleich fiel, als Vestergaard eine Hereingabe des starken Caligiuri ins eigene Tor lenkte. Sondern weil Schalke nun einen gefährlichen Mann im Strafraum hatte, der sich durch sein Positionsspiel Chancen verschaffte. Gegen eine deutlich verunsicherte und verzagte Borussia hatte der Österreicher drei erstklassige Gelegenheiten, die beste bei einem Konter in der Schlussphase, als er allein vor Sommer stand - den Gladbacher Keeper aber anschoss. "Am Ende hätten wir sogar das 2:1 schießen können, aber das 1:1 ist trotzdem das gerechte Resultat", sagte Tedesco, "wir fahren mit einem guten Gefühl nach Gelsenkirchen zurück." Ein Remis beim Angstgegner Mönchengladbach, das ist für die nun seit neun Spielen unbesiegten Schalker reiche Beute.

© SZ vom 10.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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