1:0 für Mainz:Ende der Fastenzeit

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Wille, Glaube und Überzeugung sind zurück: Mainz sendet mit dem Sieg gegen Hertha ein Lebenszeichen - auch dank eines jungen Glücksbringers. Der darf sich nun Hoffnungen auf weitere Einsätze machen.

Von Frank Hellmann, Mainz

Dass der FSV Mainz 05 im Abstiegskampf inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt hat, war schon vor Anpfiff offensichtlich. Es ist ja noch nicht vorgekommen, dass sich Anhänger an großen Tischen drängeln, um knallrote Gratis-T-Shirts mit dem Aufdruck "#Mainzbleibt1" zu ergattern oder Kinder Fahnen schwenkend über den Vorplatz ziehen und eben diesen Slogan schmettern. Hinterher nach dem 1:0 (1:0) gegen Hertha BSC hat Kapitän Stefan Bell dazu eine treffende Aussage getätigt: "Die letzten Jahre haben wir den Klassenerhalt zu locker geschafft. Jetzt haben wir eine Situation, in der sich alle wieder auf ein gemeinsames Ziel einschwören."

Und in dieser Situation hat der zuletzt in eine tiefe Sinnkrise geratene Mittelstandsverein am 29. Spieltag ein deutliches Lebenszeichen ausgesendet. Der Heimsieg gegen den Hauptstadtvertreter war der Mutmacher, den zuvorderst Trainer Martin Schmidt so dringend herbeigesehnt hatte. "Wir haben so lange gefastet auf Punkte. Da ist gut, wenn die Fastenzeit vorbei ist", frohlockte der Schweizer. Und der seit vergangenen Mittwoch 50 Jahre alte Fußballlehrer wählte einen fast philosophisch anmutenden Ansatz, um nach fünf Niederlagen das Ende der Negativserie zu beschreiben: "Das Alte ist besiegt, etwas Neues entsteht."

Aber war es wirklich so neu, wie sich die Nullfünfer präsentierten, die beim Siegtor davon profitierten, dass Hertha-Verteidiger John Anthony Books einen Schuss von Danny Latza mit dem Kopf ins eigene Tor lenkte (45 +1.)? Im Grunde führte Schmidts Mannschaft die bewährten Stilmittel auf, um einer harm- wie hilflosen Hertha den Spaß am Spiel zu rauben: frühes Stören, aggressive Balleroberung, konsequentes Verteidigen.

Der junge Jannik Huth ersetzt Lössl im Tor - nun auch langfristig?

"Wir haben die alten Tugenden ausgepackt", urteilte auch Schmidt. Die Giftigkeit und Galligkeit offenbarte jeder einzelne Spieler, und das Treubekenntnis für den Trainer, dem Sportdirektor Rouven Schröder vor einer Woche eine Jobgarantie gab, habe dabei immens geholfen, erläuterte Bell: "Das Team hat kein Alibi mehr im Hinterkopf. Wir haben es endlich geschafft, als Einheit aufzutreten, in der alle zu 100 Prozent bei der Arbeit den Plan des Trainers umgesetzt haben. Wir sind zurück zu dem, was uns früher stark gemacht hat." Mainz war wieder Mainz. Dass auch die Stimmung in der Arena am Europakreisel an leutselige Zeiten der Vergangenheit erinnerte, in der oft genug ja eine Schunkelstimmung wie beim Karneval herrschte, verstand sich fast von selbst.

Sportchef Schröder sprach von "riesengroßer Erleichterung nach einem absolut verdienten Sieg". Der gebürtige Sauerländer strich "unbändigen Einsatz und unglaubliche Stimmung" heraus. Dem 41-Jährige schien vor allem wichtig, dass der ganze Standort gezeigt habe, "dass alle aufgewacht sind, denn unsere Konkurrenz schläft nicht." Nebenbei haben die Rheinhessen nicht nur in die Erfolgsspur, sondern vielleicht gleich noch eine neue Nummer eins gefunden: Jannik Huth, der beim Bundesligadebüt beim SC Freiburg (0:1) beim Gegentor nicht gut ausgesehen hatte, erhielt den Vorzug vor Jonas Lössl, weil der dänische Schlussmann nach einer Schleimbeutelquetschung nur das Abschlusstraining bestritten hatte. Das war Schmidt zu wenig als Empfehlung.

Huth erledigte seinen Job beim Heimdebüt nicht nur auf der Linie, sondern auch beim Mitspielen so souverän, dass er nach der Ehrenrunde vor die Fankurve gebeten wurde, um die "Humba"-Hymne anzustimmen - das Eigengewächs feierte schließlich auch seinen 23. Geburtstag. "Natürlich will ich jetzt die nächsten Spiele machen", sagte der selbstbewusste Bad Kreuznacher, dessen Auftritt der Trainer als "kleinen Glücksbringer" wertete. Für ihn sei es jetzt eine "Denksportaufgabe", welcher der beiden Keeper nächsten Samstag beim FC Bayern das Vertrauen erhalte.

Berlin verliert auswärts zum achten Mal nacheinander

Bei aller Freude sollten die Mainzer nur nicht vergessen, welch willfährige Aufbauhilfe aus Berlin ihnen zupass kam. Hertha-Trainer Pal Dardai rechnete schonungslos mit einer kaum bundesligareifen ersten Halbzeit ab, die folgerichtig in die achte Auswärtsniederlage in Folge mündete: "Wir waren das nicht anwesend; bei den Zweikämpfen, beim Mut, bei der taktischen Disziplin. Wir haben immer einen Schritt nach hinten gemacht."

Mainz sei insgesamt "gieriger, schneller und zweikampfstärker" gewesen. Kollege Schmidt ist derweil nicht mal für das Auswärtsspiel am nächsten Samstag bange. "In der vergangenen vier, fünf Jahren ist einmal in der Saison immer etwas gegen die Bayern gegangen. Wir waren da nie chancenlos. Wir werden gut verteidigen, alles raushauen. Der Glaube ist zurück und macht alles wahr." Jetzt, wo auch in Mainz die Zeichen der Zeit für den Abstiegskampf erkannt worden sind.

© SZ vom 16.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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