0:0 in Stuttgart:Stuttgarts neue Sachlichkeit

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Das ereignisarme Unentschieden gegen Augsburg legt Stuttgarts Schwächen schonungslos offen: Der Aufsteiger, im Vorjahr das torgefährlichste Team der zweiten Liga, erspielt sich zu wenig Chancen.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Einen Schritt zu spät: Augsburgs Torwart Marwin Hitz ist schneller am Ball als Daniel Ginczek. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Fritzle schaute sich immer wieder selber ins Gesicht. Überall war am Samstagnachmittag in der Stuttgarter Arena sein Konterfei zu sehen, an der Videowand widmeten sie ihm sogar ein eigenes Filmchen. Und selbst die Spieler des VfB Stuttgart trugen das Krokodilgesicht auf ihrem Trikot - unterhalb des roten Brustrings. Der ist beim VfB Stuttgart nicht verhandelbar, nicht einmal, wenn Fritzle, das grüne Maskottchen des Klubs, seinen 25-jährigen Geburtstag feiert. Nach dem Spiel schlich er mit hängendem Maul allein durch den Strafraum. An seinem Ehrentag hatte sich Fritzle wohl etwas mehr gewünscht als ein 0:0 gegen den FC Augsburg.

Später klatschte er noch mit Stuttgarts Trainer Hannes Wolf ab, der betont gut gelaunt war. "Gerecht" fand Wolf das Ergebnis. Er lobte auf der Pressekonferenz die defensive Stabilität seiner Mannschaft, die Bereitschaft sich "voll reinzuhängen". Wolf sprach dann noch eine Weile und merkte irgendwann selbst, dass ein Sieg ganz schön gewesen wäre: "Aber dafür hätten wir ein Tor gebraucht."

Hier beginnen die Probleme des VfB in dieser Spielzeit. Der Aufsteiger ist mit sieben Punkten in sechs Spielen ganz ordentlich in die Saison gestartet. Die neue Sachlichkeit in der Defensive nach einer Zweitligasaison mit Sturm und Drang hat dem VfB zwei Heimsiege und nun ein Unentschieden gegen die überraschend starken Augsburger beschert. Ohne Gegentor wohlgemerkt. Aber nach vorne tun sich die Stuttgarter schwer, die die zweite Liga noch mit den meisten Toren beendet hatten. Drei Treffer in sechs Spielen sind nicht viel. Gegen Augsburg waren es zwei, drei Halbchancen - an viel mehr konnte sich auch Wolf nicht erinnern. Er wollte sich aber die neue Stilform nicht schlecht reden lassen: "Wir geben so viele Spieler offensiv frei wie in der zweiten Liga." Stattdessen sprach der 36-Jährige viel lieber über die Kunst des Verteidigens. Er verschwieg dabei, dass der VfB auswärts schon sieben Tore hinnehmen musste: "Wir können stolz sein auf die defensive Stabilität, weil ich nicht weiß, ob das so zu erwarten gewesen war."

Beide Mannschaften verteidigen stabil, bringen offensiv aber wenig zustande

Doch auch Augsburg verteidigte clever. Vorbildlich war zum Beispiel, wie die beiden Mannschaften die Dreierkette verschoben oder nach Balleroberung versuchten, schnell und schnörkellos nach vorne zu spielen. "Der VfB hat unsere Konter gut verhindert", lobte Augsburgs Trainer Manuel Baum. Überzeugend war vor allem das Stellungsspiel von Holger Badstuber, den die Physiotherapeuten rechtzeig gesund gepflegt hatten. Der frühere Nationalspieler stand immer richtig. Da sich die Spieler kaum Platz zur Entfaltung ließen, kam ein unspektakuläres Spiel heraus.

Hoch das Bein: So umkämpft wie dieser Zweikampf zwischen Augsburgs Marcel Heller (links) und Stuttgarts Dennis Aogo verlief das gesamte Spiel. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Weder die Stuttgarter noch die Augsburger tauchten oft im gegnerischen Strafraum auf. Chancen waren deshalb in den ersten 45 Minuten so rar wie Mineralwasserbestellungen in den Festzelten des Volksfests, das am Samstag neben dem Stadion eröffnet worden ist. Die beste hatte noch Simon Terodde nach einer flachen Hereingabe von Dennis Aogo, doch der Stürmer verfehlte mit dem Schienbein aus kurzer Distanz das Tor (7.). Und Augsburg? Hatte auch eine Torgelegenheit von bester Qualität. Rani Khedira, sozialisiert und ausgebildet in fast allen VfB-Jugendmannschaften, scheiterte in der Nachspielzeit am rechten Fuß von VfB-Torhüter Ron-Robert Zieler.

Nach dem Seitenwechsel wurde das Spiel des VfB etwas munterer, lebendiger, aber nicht anarchisch. Die beste Gelegenheit hatte noch Daniel Ginczek, der kurz zuvor erstmals in dieser Saison nach seinen Knieproblemen eingewechselt worden war. Doch ihm versprang im Fünfmeterraum der Ball. "Wir hätten Tore schießen können", sagte Wolf danach, "uns fehlt nur ein Quäntchen, keine Welten." Seit einem Jahr trainiert er nun den VfB, auf den Tag genau sogar. Er hat das schnell zur Aufgeregtheit neigende Umfeld in Stuttgart kennen gelernt, aber auch die Leidenschaft der Menschen nach dem Aufstieg. Mit seinem zurückhaltenden Naturell passt Wolf wunderbar in die Region, mit seiner Schaffermentalität. "Intensiv" will er nun an der Abschlussschwäche arbeiten, kündigte er am Samstag an. "Wir müssen flüssiger spielen, damit wir aus Halbchancen klare Chancen entwickeln können", sagte der VfB-Trainer noch.

Was Fritzle zum 0:0 oder über Wolf denkt, hätte man gerne gewusst. Aber Fritzle schwätzt nicht, mit niemandem. Heißt es beim VfB. Oder haben sie ihrem Krokodil womöglich einen Maulkorb verpasst?

© SZ vom 24.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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