3:3 in Berlin:Beim großen Wurf verheddert

Lesezeit: 3 min

Enges Duell: Herthas Matthew Leckie kann sich im Kopfballduell gerade so gegen die Hoffenheimer Verteidigung durchsetzen. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Hoffenheim sieht lange wie der sichere Sieger aus bei der Hertha, doch kurz vor Schluss klaffen zu große Lücken im Team von Julian Nagelsmann. Vor dem Champions-League-Spiel am Dienstag hat er noch viel zu tun.

Von Max Ferstl, Berlin

Ganz am Ende nimmt Nico Schulz noch einmal Anlauf, ein Einwurf, Strafraumhöhe. Der Hoffenheimer Verteidiger dreht den Ball, prüft den Griff. In der Mitte lauern die Stürmer, Joelinton und der eingewechselte Reiss Nelson. Es ist wohl die letzte Chance, um ein Spiel zu retten, das schon gewonnen schien, man sich aber entreißen ließ. Schulz beschleunigt, nimmt drei schnelle Schritte, führt die Arme weit nach hinten und - stolpert, kurz vor der Ballabgabe. Der Ball flutscht ihm aus den Händen, als wäre dieser mit Seife überzogen. Wenige Augenblicke später sitzt Schulz auf dem Rasen, den Kopf zwischen die Hände gelegt. Dann legt er sich hin.

Die Hoffenheimer haben in Berlin zum großen Wurf angesetzt, aber sich irgendwie verheddert. Mit einem Sieg, der der fünfte in Folge gewesen wäre, hätten sie sich in die vorderen Regionen der Tabelle schieben können, vorbei sogar an den Bayern. Es sah auch lange danach aus, als würde das gelingen. Die TSG hatte zwar nicht überzeugend gespielt, aber zwischenzeitlich mit 2:0 und 3:1 geführt. Es reichte aber nur zu einem 3:3. "Aufgrund des Spielverlaufs ist es vielleicht ein verdienter Punkt", fand Trainer Julian Nagelsmann. Aber wenn man mal ganz ehrlich sein wolle: vielleicht nicht mal das.

Vor der Partie hatte Nagelsmann viel über die Bedeutung der Vorbereitung gesprochen. Er klang ein bisschen wie ein Schachspieler: Hertha habe in dieser Saison quasi alles gespielt, sei deshalb unberechenbar, kaum zu analysieren. In seiner Eröffnung verzichtete Nagelsmann auf überraschende Finten und vertraute stattdessen einer bekannten Variante, die ihm zuletzt so viel Erfolg eingebracht hatte. Nur auf einer Position wurde die Startelf verändert, Kevin Akpoguma rückte in die Verteidigung. Es brauchte auch gar keine Überraschung, um die Berliner zu überrumpeln.

Schon früh steht es 2:0, Berlins Fans verstummen

Es dauerte nur wenige Sekunden, da bekamen die Hoffenheimer den ersten Vorteil, ohne viel dafür zu tun: Herthas Marko Grujic verlor den Ball am eigenen Strafraum und nach drei schnellen Zugkombinationen schoss Kerem Demirbay unbedrängt ins Tor (1. Minute). Es dauerte nur neun weitere Minuten, da schien Hoffenheim schon klar auf Gewinn zu stehen, wenn auch mit etwas Glück: Eigentlich wollte Torhüter Oliver Baumann den Ball nach einer unsauberen Annahme nur wegschlagen. So sah es jedenfalls aus. Doch anstatt eine Stelle im Nirgendwo des Spielfeldes oder den Bierbecher eines Zuschauers auf den oberen Rängen zu treffen, landete der Ball mit chirurgischer Präzision direkt hinter den Berliner Verteidigern, und direkt vor Andrej Kramaric: 2:0.

Es schien sich zu bestätigen, wovon vorher die Rede gewesen war: Hoffenheim habe einen Lauf. Und wer einen Lauf hat, macht selbst dann alles richtig, wenn er eigentlich Fehler macht.

Die Berliner Fans in der Ostkurve verstummten. Nicht aus politischen Gründen wie beim Heimspiel zuvor gegen Leipzig, weil sie unzufrieden waren mit der Reaktion der Vereinsführung auf die Zwischenfälle in Dortmund, wo Berliner Fans Polizisten mit Fahnenstangen attackiert hatten. Sondern aus Frust. Trainer Pal Dardai hatte vor dem Spiel nicht wie ein Schachspieler geredet. Er redete wie ein Trainer, der bei seiner Mannschaft eher traditionelle Fußballtugenden vermisst. In erster Linie: das Laufen. Doch gegen Hoffenheim liefen seine Spieler, gerade nach dem Rückstand. Vedad Ibisevic drückte einen Abpraller von Ondrej Duda über die Linie, da schien es immerhin nicht mehr aussichtslos (12. Minute), die Ostkurve sang wieder.

"Die Haltung ist gut, wenn wir den Ball haben", findet Nagelsmann

Es entwickelte sich eine Partie, in der beide Mannschaften defensive Vorgaben eher lästig fanden. Zumindest waren sie nicht mehr besonders deutlich zu erkennen. Umso größer war das Spektakel, umso klarer die Chancen, die sich durch die gegenseitige Offenheit ergaben. Eine keineswegs vollständige Liste, 23. Minute: Salomon Kalou scheiterte freistehend vor Baumann. 24. Minute: Joelinton rutschte knapp an einer Hereingabe vorbei. 31. Minute: Andrej Kramaric lupfte ebenso frei über das Tor. 32. Minute: Mathew Leckie zielte links am Tor vorbei. "Die Haltung ist gut, wenn wir den Ball haben", fand Nagelsmann. Das belegte auch der Kopfballtreffer von Ermin Bicakcic, der einen Freistoß über die Linie drückte (55.).

Das Problem aus Hoffenheimer Sicht: Die Haltung ist ziemlich schlecht, wenn sie den Ball nicht haben. Die Mannschaftsteile bildeten keine stabile Einheit, immer wieder klafften große Lücken, vor dem Champions-League-Heimspiel am Dienstag gegen Donezk muss Nagelsmann das Verteidigen noch üben. "Die Berliner konnten sich das Ding zurechtlegen, gemütlich vorbereiten - das darf auf keinen Fall sein", klagte Bicakcic. Diese unbeabsichtigte Vorzugsbehandlung nutzte erst Davie Selke, als er sich über die rechte Seite in den Strafraum dribbelte. Die Flanke lenkte Leckie dann ins Tor (71.).

Und kurz vor dem Ende profitierte dann auch Valentino Lazaro, dem ein Hoffenheimer Spieler nach einem Freistoß den Ball passgenau servierte. Allerdings bewies der Österreicher jede Menge Technik und Können, als er den Ball stramm und per Dropkick ins Tor schickte (87.). "Wäre schöner gewesen, wenn es der Siegtreffer gewesen wäre", sagte Lazaro. Er war wesentlich besser gelaunt als der Hoffenheimer Trainer, klang bei einem Thema aber schließlich ganz ähnlich: "Wenn das Spiel 2:3 ausgeht, wäre es sehr ungerecht gewesen."

© SZ vom 25.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: