Zeitgenössische Kunst:Im grünen Bereich

Lesezeit: 4 min

Die Kleinstadt Rovereto ist ein Reiseziel für Kulturinteressierte. Besonders das Museum für zeitgemäße Kunst Mart sorgt für Aufmerksamkeit. Sein Direktor will nun noch weiter hinaus.

Von Evelyn Vogel

Wenn Gianfranco Maraniello von seinen Zukunftsplänen erzählt, beschleunigt er seine Worte ebenso wie seine Schritte. "Ich muss Ihnen das zeigen, das ist unglaublich, das müssen Sie sehen." Und schon eilt der Direktor des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst in Rovereto, kurz Mart, voraus. Hinaus aus dem Museum durch den markant überdachten Lichthof, mit dem der Architekt Mario Botta das Ensemble zusammenschloss; entlang dem breiten Corso Bettini. Diese Straße ist dem Direktor ein Dorn im Auge, denn sie verläuft zwischen dem Museumskomplex mit Stadtbibliothek, Archiv und dem Auditorium Melotti auf der einen und Universität und Stadttheater auf der anderen Seite. Obwohl nicht allzu viel Verkehr über den Corso rollt, wirkt er durch seine Breite wie eine Schneise. Und das möchte Maraniello schnell ändern.

Vorbei am prachtvoll restaurierten Palazzo Alberti Poja, der neben einer Sammlung des Stadtmuseums auch zeitgenössische Sonderausstellungen des Mart zeigt (derzeit herrlich fragile Objekte von Fausto Melotti), eilt er die Straße entlang und durch ein anderes Gebäude wieder ins Freie. Dort liegt die versteckte Schönheit, die den Museumsdirektor so entzückt: der Garten Fedrigotti. Hinter dem gleichnamigen Palazzo ist er lang gestreckt in den Hang hineinterrassiert. Die alten, mit Efeu bewachsenen Mauern sind schief und krumm, die Bäume vermoost, die Rasenflächen verwildert. Hier und da trotzt eine Skulptur dem Zahn der Zeit. Rundum hat man einen Blick auf die Berge. Auch das ist Maraniello wichtig. "Diese Landschaft ist ein bedeutsamer Teil Roveretos. Wir müssen sie immer mitdenken."

Diesen Garten will er also haben, als Erweiterung des Skulpturengartens auf der anderen Seite des Museums, aber auch als Erweiterung des Mart in die Stadt hinein. Denn der 47 Jahre alte gebürtige Neapolitaner und studierte Philosoph, der seit 2015 das Mart leitet, denkt in stadtplanerischen Dimensionen. Auch wenn die Wege in Rovereto allesamt nicht weit sind und man vom Bahnhof aus zu Fuß nur etwa 15 Minuten benötigt, wäre das Museum mit Hilfe des Gartens besser an die Stadt angebunden. Dafür will er einen Durchgang schaffen. "Gleich hinter der Mauer, die wir durchbrechen werden, ist mein Büro. Da können die Besucher dem Direktor beim Reinkommen gleich Hallo sagen", scherzt Maraniello.

Das Vorhaben ist kein Hirngespinst. Mario Botta, der Architekt des Mart, hat sich von der Idee anstecken lassen und gleich nach seinem ersten Besuch Pläne gezeichnet. Mit der Universität und der Stadt gibt es bereits Verträge. Und auch Geld ist vorhanden. Einzig die Bürokratie wird noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen. Aber 2020 wird es so weit sein. Davon ist Maraniello fest überzeugt. Und dann will er auch seine Pläne für jenseits der Straße verwirklicht haben. Der Corso Bettini soll zur Fußgängerzone werden, sich zur Piazza weiten. Universität und Theater jenseits sollen mit dem Mart und all den anderen Instituten diesseits zu einem Gesamtensemble verschmelzen. Was ja auch der Idee des Architekten Botta entspricht, der mit seiner großen Kuppel aus Glas und Stahl über dem Eingangsplatz des Museums dem Pantheon in Rom nacheiferte.

In der Zwischenzeit lässt Maraniello das Café umkrempeln. Bis spätestens Ende des Jahres soll es ausschließlich mit Designklassikern möbliert und nach seiner Wiedereröffnung eine Art nutzbare Designausstellung sein. Und auch das Museum selbst hat er gleich nach Amtsantritt umstrukturiert. Die ständige Sammlung besteht aus etwa 20 000 Werken moderner und zeitgenössischer Kunst - überwiegend, aber nicht ausschließlich italienischer. Statt sie horizontal zu verteilen, hat Maraniello sie vertikal strukturiert und auf einer Seite des Gebäudes untergebracht: Im ersten Stock präsentiert er Arbeiten unter dem Motto "Die Erfindung des Modernen" mit Landschafts- und Porträtmalerei, aber auch figurativer und abstrakter Kunst bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Im zweiten Stock wird unter dem Titel "Das Eindringen des Zeitgenössischen" Kunst von den Fünfzigerjahren bis heute thematisiert. Sonderausstellungen sind auf der anderen Seite untergebracht, sodass das Haus immer nur in kleinen Bereichen unzugänglich ist, wenn Neueinrichtungen anstehen. In der Mitte der Eingangshalle hat Maraniello mit der Bronze-Skulptur des Arte-Povera-Künstlers Giuseppe Penone zudem sein Plädoyer für die Einbindung der Natur unterstrichen.

Zum Mart gehört auch die Casa d'Arte Futurista Depero, die zentral in der Altstadt gelegen ist. Das Museum, das mehr als 3000 Objekte besitzt und das Fortunato Depero selbst eingerichtet hat, ist in Teilen ein futuristisches Gesamtkunstwerk mit großartigen architektonischen Durchblicken. Die Dauerausstellung zeigt einen Spartenmix: Malerei, Grafik, Plakatkunst, Bücher, Reklamezettel, Skulpturen, Möbel, Intarsienarbeiten, Puppen. Nicht zuletzt Fortunatos wandteppichgroße, wertvolle Stoff-Intarsien, in denen er die Welt oft spielerisch-heiter, aber mit dem typisch futuristisch-technoidem Furor zerlegte. Außerdem sind in einer wunderbaren Installation am Eingang klassische Campari-Soda-Fläschchen aufgereiht - auch die hat Fortunato Depero einst entworfen.

Während das Mart in Rovereto schon seit 2002 von kunstinteressierten Reisenden beachtet wird, zieht das Muse in Trient seit nunmehr fünf Jahren naturwissenschaftlich interessierte Besucher an. Das vom Architekten Renzo Piano entworfene Gebäude in Form einer Pyramide ist als interaktiv konzipiertes Museum vor allem bei Familien mit Kindern ein Renner. Neben der Dauerausstellung zur erdgeschichtlichen Entwicklung gibt es derzeit eine Sonderschau zum menschlichen Genom und eine kleine Gletscherausstellung. Letztere ist eher spröde, es gibt viele Tafeln mit Texten und Zahlen. Aber angesichts des Klimawandels und der Gletscherschmelze ist sie hoch aktuell. Die Genom-Ausstellung hingegen ist deutlich sinnlicher und interaktiver aufgezogen. So kann man an verschiedenen Stationen virtuell Gensequenzen ausschneiden und verschieben oder ausprobieren, wie es wäre, einen Gentest im Internet zu kaufen. Und die Künstlerin Claud Hesse hat ein Stück DNA visualisiert, mit dem man auch kommunizieren kann. Hier hat die Zukunft auf jeden Fall schon begonnen.

Mart: Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst, Sonderausstellung: Gianfranco Baruchello (bis 16.9.), ab 6.10: Nathalie Djurberg & Hans Berg; Palazzo Alberti Poja : Sonderausstellung zu Fausto Melotti (bis 31.12.); Casa d'Arte Futurista Depero : Dauerausstellung zum Werk des Futuristen Depero, Sonderausstellung: Manu propria. Das kalligraphische Zeichen als Kunstwerk (bis 30.9.), alle in Rovereto, alle Infos über www.mart.trento.it Muse in Trient: Naturkundemuseum, derzeit zwei Sonderausstellungen: Das menschliche Genom (bis 6.1.), Gletscher (bis 23.3.), www.muse.it

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: