Wiener Wirtshäuser:Der Ort des Lallens

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"Bei mir brauchst Dich nicht verstellen": Das Beisl bietet Schutz vor den Unbilden des Alltags.

Helmut Schödel

Bevor wir vor unseren Fernsehern zu Chipsfressern verfetteten oder uns in Chatrooms qua Netz den Kontakt zum Nachbarn ersparten, traf man sich mit real existierenden Lebewesen, vom Würdenträger bis zur ortsbekannten Rauschkugel, je nach Gegend zum Wein oder Bier in öffentlichen, von Wirten organisierten Räumen, um zu tarockieren, zu intrigieren oder einfach zu einem artgerechten Stammtischdiskurs.

Österreich
:Geschichte der Wiener Geselligkeit

Hier traf man sich und trifft sich wieder - im Wiener Beisl. Nur für den Wirt kann es anstrengend werden.

Das alles gibt es immer noch, gehört aber als spezieller Termin in der Regel nicht mehr zum Alltag.

In England oder Irland traf man sich in Pubs, in Deutschland in Wirtshäusern und Kneipen, in Österreich beim Heurigen und in Beisln. Das Wort stammt aus dem Jiddischen, wo "bajs" so viel wie "Haus" bedeutet, ein urwienerischer Ausdruck für ein kleines Gasthaus, das es früher an jeder Ecke gab.

Bevor das Fernsehen kam, war das Beisl ein Ort der Unterhaltung. Heute würde man sagen, es war ein Ort der Kommunikation, und damit hat man das Beisl schon vollkommen missverstanden. Im Beisl wird schwadroniert, monologisiert oder herumgelallt.

Man trinkt Bier und Schnaps, und die Speisekarte beschränkt sich auf die Grundversorgung des Wieners: Gulasch, Beuschel, Würstl mit Saft oder auch mal Innereien à la "Hirn mit Ei". Das Beisl lebt von Stammgästen aus der Nachbarschaft, und Fremde bleiben fremd. So war das in alten Beisl-Zeiten.

Inzwischen habe man es mit einem erweiterten Beisl-Begriff zu tun, sagen die Forscher, zu denen der kundige Wiener Restaurantkritiker Christoph Wagner gehört, dem man ansieht, dass man bei der Einarbeitung in die Materie zu einer imposanten Persönlichkeit anschwillt. Man verstehe unter "Beisl" heute bald jedes einfache Gasthaus, wobei es diese spezielle Note der "A-Gulasch-und-a- Seidl-Bier"-Romantik nur in größeren Städten gebe, also vor allem in Wien und dann vielleicht noch in Graz und Linz.

Jenseits davon beginnt die Welt bäuerlicher Landgasthäuser, wie wir sie aus Josef Haders und Alfred Dorfers "Indien" kennen, der Lebenstragödie eines Schnitzeltesters. Ob ein Gasthaus ein Beisl ist, darüber entscheiden auch Stimmung und Interieur.

Ganz wichtig ist die Wandverkleidung, eine halbhohe dunkle Bretterwand. Wie ein Gemütlichkeit und Geborgenheit ausstrahlender Zaun: drinnen alles roger und draußen der böse Feind. Natürlich muss es einen Holzboden geben und auch Tischplatten aus massivem Holz, die früher mit Schmierseife und Wurzelbürste gereinigt wurden.

Wenn überhaupt Tischtücher, dann karierte und darauf das "Würzensemble" (Suppenwürze, Salz, Pfeffer und Zahnstocher), und die Tagesmenüs werden auf einer schwarzen Tafel annonciert.

Ein Stammtisch gehört zum Beisl, der "Sparverein" mit nummerierten Sparbüchsen der Stammgäste an der Wand und eine alte Schank. Am wichtigsten ist selbstverständlich der Wirt, der am besten das Zeug zu einem Original haben sollte. Das wäre der Idealfall.

Aber da kam natürlich oft einiges dazwischen.

Bei den Holztischen die Resopalzeit, bei den Gästen gehobenere Ansprüche, die sich bloß mit der alten Gemütlichkeit allein nicht mehr befriedigen lassen. Manchmal schlug auch das Schicksal zu.

Da kann es schon passieren, dass man glaubt, eine alte Gulaschstation zu betreten, und dann sagt der Wirt, mit Bierbauch, Glatze und Goldkettchen, dass den alten Koch ein Schlagerl gerissen hat und es aus ist mit der Speisekarte.

Untergänge gehören zum Wiener Beisl dazu, auch bei den zu Selbstdarstellern begabten Stammgästen: "Frauen hob i ghabt! Tarzan hams gsagt zu mir. Und: schöner Mann meiner Träume. Oba jetzt ..." Reportagen zum Thema sind voller Untergehermonologe und Wiener Schmäh, auch zwischen Stammgästen und Kellnern, besonders wenn es ans Zahlen geht: "Kollege, i hob nur a Achterl trunken und ned die Hüttn kauft."

Das Beisl ist auch eine Bühne und wurde seit jeher mythisiert.

Die Beisln selber gehen aber keineswegs unter. Es gibt sogar einen neuen Beisl-Boom. Einerseits will man das Original erhalten und es andererseits unterschiedlichen Interessen anverwandeln, bis hin zum "Szene-Beisl".

Als das erste überhaupt, früheste Erwähnung 1447, gilt das "Griechenbeisl" am Fleischmarkt. Hier verkehrten Nestroy, Beethoven, Wagner, Mark Twain und viele andere Künstler, Gelehrte und Politiker.

Der liebe Augustin soll hier "Alles ist hin" gesungen haben, und so ist das "Griechenbeisl" die schlechthinnige Touristenattraktion.

Im "Dom Beisl" gleich beim Stephansplatz gibt es das vielleicht beste Fiakergulasch, in unmittelbarer Nähe des Fiakerstandplatzes am Dom. Eines der schönsten Innenstadt-Beisl ist das Gasthaus "Zu den 3 Hacken" in der Singerstraße, mit dunkler Holztäfelung, Dielenboden, Schank und einer ambitionieren Speisekarte.

Mittags kehren hier die Beamten ein, abends Seilschaften der Kultur. Das "Immer voll" in der Weihburggasse, neben einem der schönsten Plätze Wiens, ist tatsächlich immer voll, ein modernes, gut ausgeleuchtetes Beisl von heute, wo man auch internationale Gerichte anbietet.

Das "Szene-Beisl" gehört zur heutigen Wiener Gasthauskultur. Die unterschiedlichen "Szenen" der Stadt ersetzen die Plätze von gestern, und das Beisl als Männerwelt bezechter Nestflüchter gehört damit auch der Vergangenheit an.

Die rein nachbarschaftliche Stammgastbesetzung von damals hatte auch mit einer fehlenden Infrastruktur zu tun. Von einem Bezirk zum anderen war es ein weiter Weg. Auch das Wienerisch, das in Ottakring gesprochen wurde, unterschied sich wesentlich von dem in der Josefstadt, genauso wie der Döblinger Akzent von dem in Favoriten. Man blieb unter sich.

Bleibt man auch heute.

Nur dass das Unterscheidende nicht mehr so sehr die Bezirke, sondern die Interessenlagen sind. Das Gasthaus "Ubl" in der Preßgasse auf der Wieden, nicht weit vom Naschmarkt, steht für gehobene Beisl-Atmosphäre, und das "Oswald&Kalb" in der Bäckerstraße gilt als Hauptattraktion unter den Wiener Szene-Beisln. Für jeden, der länger in Wien gelebt hat, ist es ein Museum der Erinnerungen.

Mit welchen Dichtern hat man hier nicht schon getrunken und gegessen, mit Wolfgang Bauer zum Beispiel und Klaus Händl!

Wer die Wiener Beisl-Szene wirklich erkunden will, muss sich hinauswagen in die Außenbezirke. Bis zum "Gasthaus zum Friedhof der Namenlosen" in Simmering mit schönem Gastgarten. Oder ins Strandgasthaus "Birner" an der Alten Donau in Floridsdorf, gleich beim Angelibad, mit einem der schönsten Gastgärten Wiens. Ein kleiner Gastgarten, Schanigarten genannt, gehörte von Anfang an zu den Beisln.

Es gibt sie überall, und die eigentlichen liegen ganz versteckt und sind auch in den hervorragenden Führern des Wiener Falter-Verlags - "Beisln und Alt-Wiener Gaststätten" oder "Wien, wie es isst ..." - nicht vermerkt. Sie warten darauf, von Reisenden entdeckt zu werden, die nicht ihre Szene, sondern den Wiener Alltag erkunden wollen.

Dazu gehört das "Café Berger" am Brunnenmarkt, heute "Bei Kerschi" in Ottakring, wo der Dramatiker Werner Schwab verkehrte, im Grunde ein traumhaftes Resopal-Beisl mit hausgemachten Speisen.

Schon in der Früh trinken Markttandler und Anrainer ihr erstes Achterl oder Seidl. Wenn man mal dazustößt und sagt "Na, dann trink ich halt auch mal ein Bier", tönt es von der Schank her: "Bei mir brauchst dich nicht verstellen!"

In solchen Grobheiten zeigt sich eine Freundlichkeit, die im sonstigen, von falscher Schmierigkeit entstellten Stadtleben selten vorkommt. Im Kern ist Wien eben doch ehrlich, und eine Tour durch seine Gaststätten ist eine Reise ins Innere der Stadt, Wiens Innereien.

Im "Wien Museum Karlsplatz" gibt es eine wunderbar liebevolle Ausstellung zu besichtigen: "Im Wirtshaus. Eine Geschichte der Wiener Geselligkeit", bis zum 23. September 2007 immer dienstags bis sonntags von 9 bis 18 Uhr.

© SZ vom 30.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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