Weltmarktführer:Der Siegeszug der leeren Flaschen

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Erste Experimente fanden in der Waschküche statt. Heute ist die Familienfirma Alpla führend bei Kunststoff-Verpackungen.

Von Juliane von Wedemeyer

Den Geruch von schmelzendem Kunststoff empfinden die meisten Menschen als unangenehm. Günther Lehner nicht. Wenn der Alpla-Chef warmes, weiches Plastik riecht, fühlt er sich zu Hause. Es begleitet ihn schon sein ganzes Leben. Auch in der Waschküche seiner Großeltern in Hard am Bodensee roch es danach - so ähnlich, als hätte jemand eine Kunststoffflasche zu nah an eine heiße Pfanne gestellt.

Ob Cola, Zahnpasta, Wasch- oder Spülmittel, Handseifen oder Kaugummis - in ziemlich vielen Fällen stammt die Verpackung aus einem Alpla-Werk. Menschen weltweit benutzen ihre Flaschen, Dosen und Tuben - fast jeder so gut wie täglich. Meist unbemerkt. Nur ein kleines geprägtes "a" auf dem Flaschenboden verrät die Herkunft. Allerdings sieht der Buchstabe eher wie eine Sechs aus.

Alpla spielt auf dem Weltmarkt ganz vorne mit. Ein Marktführer, der Marktführer beliefert. Dabei hatte die Ära der Plastikflaschen, als Lehner geboren wurde, noch gar nicht richtig begonnen. Milch, Limonade oder Bier kauften und transportierten die Menschen in Glasflaschen oder direkt in den eigenen Kannen und Krügen. Sehr umweltfreundlich, aber eben auch sehr schwer und unbequem.

Aber damals machte sich über Plastikmüll ohnehin so gut wie niemand Gedanken - es gab ja kaum welchen. 1953 hatte der deutsche Chemiker Hermann Staudinger die modernen Polymerwissenschaften begründet und dafür den Nobelpreis erhalten. Seine Arbeit ermöglichte die rasante Entwicklung der Kunststoffe. Zwei Jahre später stellten Lehners damals 23-jähriger Vater Alwin, ein Maschinenbauer, und dessen Bruder im beschaulichen Hard am Bodensee ihre erste kleine Kunststoff-Spritzgussmaschine in der elterlichen Waschküche auf. "Die beiden dachten sich: Das könnte ein neues Feld sein", erzählt Sohn Günther Lehner am Telefon. Er und seine Cousins führen das Unternehmen heute.

Ihre Firma nannten die beiden Gründer "Alpla" wie "Alpenplastik". Ihren ersten Kunden fanden sie im Nachbarort: die Lustenauer Senffabrik, eine Lokalgröße. Bald belieferten sie auch eine Käsefabrik aus der Region mit Kunststoffschachteln. Flaschen stellten sie noch nicht her. Heute hat der Konzern 900 Mitarbeiter in Vorarlberg. Insgesamt beschäftigt er 16 500 Menschen an 159 Standorten in 40 Ländern. 2015 machte Alpla mehr als drei Milliarden Euro Umsatz.

Erfolgreich sind viele Unternehmer in Vorarlberg. 54 Großbetriebe, also Firmen mit mehr als 250 Angestellten, haben dort ihren Sitz. Für ein Gebiet mit nicht einmal 400 000 Einwohnern gibt es dort auffallend viele Global Player: die Firma Blum, die Möbelbeschläge herstellt; den Leuchten-Hersteller Zumtobel; den Kranbauer Liebherr Nenzing; den Lift- und Seilbahnbauer Doppelmayr; den Logistik-Konzern Weiss; den Strumpfproduzenten Wolford und den Lebensmittelhändler Spar. Allein 2014 flossen durch den Export fast 8,9 Milliarden Euro nach Vorarlberg.

Die meisten dieser Firmen sind noch in Familienhand. Sie verbinden Heimattreue mit hoher Innovationsfreude. Hans-Peter Metzler, Aufsichtsratsmitglied der Zumtobel Group, Gründer mehrerer Technologiefirmen und Präsident der Bregenzer Festspiele hat dafür eine simple Erklärung: "Wir Vorarlberger waren arm. Und Not macht erfinderisch." Günther Lehner sieht das ähnlich: "Da ist absolut etwas dran", sagt er und erzählt von den Gründerjahren: "Eine Pionierzeit: Der Bedarf an Plastikflaschen war da, aber am Markt gab es noch gar keine Maschinen dafür." Für eine weitere, modernere Maschine hätten die Brüder Lehner sowieso kein Geld gehabt. Also entwickelten sie eine: den "Alplamat", der Kunststoff zu Hohlkörpern aufblasen konnte.

Tatsächlich bauten sie in der Waschküche die alte Spritzgussmaschine einfach um. Tagsüber zeichneten sie während des normalen Betriebs Konstruktionspläne und nachts probierten sie sie aus. Immer wieder. Bis der Alplamat so funktionierte, wie er sollte, verging über ein Jahr. Ein starker Antrieb für die Vorarlberger Unternehmen ist sicher auch die besondere Lage im Rheintal, in dem neben Österreich gleich drei weitere Länder um die besten Ideen und Mitarbeiter konkurrieren: die Schweiz, Deutschland und Liechtenstein. Aus diesem Grund sorgt sich Lehner auch um den Führungskräftenachwuchs.

1985 führte das Unternehmen In-House-Produktionen ein - sogar im fernen Venezuela

Vorarlberg hat keine Universität - ein Problem für die ansässige Wirtschaft. Sie befürchtet, dass gut ausgebildete Vorarlberger nach dem Studium nicht zurückkehren und jungen Menschen aus dem Ausland der Ausbildungsmagnet fehlt. Gott sei Dank gibt es in der Nähe Hochschulen in St. Gallen, Konstanz und Friedrichshafen. Lehners Sohn Philipp hat in London und Harvard studiert. Vor ungefähr anderthalb Jahren hat er als Manager bei Alpla begonnen und kümmert sich nun um die USA-Geschäfte.

Wirklich schwierig ist für Firmen der begrenzte Grund in der bergigen Region. Es mangelt an Platz für neue Werke und Lager. Die Bodenpreise sind dementsprechend hoch. Doch damit hat Alpla kein Problem. 1985 führten die Lehners die In-House-Produktion ein und stellen seitdem Flaschen direkt an den Abfüllanlagen der Kunden her.

Deren logistische Nähe suchten sie schon früher. 1968 eröffnete Alpla sein erstes Werk in Übersee, in Venezuela. Dort belieferte das Unternehmen einen Speiseölhändler. "Wir dachten, man kann doch keine Luft transportieren!", erklärt Lehner. Die Anreise der leeren Flaschen und die Kosten dafür wollten sie sparen, aber in Venezuela gab es kein Know-how für Plastikverarbeitung. Also schickten sie Mitarbeiter aus Vorarlberg nach Übersee: "Bei uns sprach damals niemand Spanisch oder Englisch. Die Leute sind einfach hin."

Ihre "Leute" hört man die Lehners oft loben, etwa deren gute Ausbildung, Engagement und Treue. Für Lehner gilt letztere auch umgekehrt. Selbst in den Krisenjahren 2007 und 2008 hätten sie keinem ihrer Mitarbeiter gekündigt. "Als Familienbetrieb denken wir langfristiger als viele börsennotierte Unternehmen."

Alpla ist inzwischen auch im Recyclinggeschäft aktiv und experimentiert mit der Verarbeitung von Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen. Alwin Lehner ist jetzt 84 und verbringt seine Freizeit damit, Oldtimer-Traktoren zu sammeln. Vergangenes Jahr wurde er für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Die alte Waschküche ist schon vor Jahrzehnten abgebrannt.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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