Wellness:Der Kampf gegen die wilden Triebe

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Den bezauberndsten Gärten sieht man die ordnende Hand kaum an

Silvia Meixner

Ein gepflegter Garten mahnt den Menschen unermüdlich, sich nicht schon wieder mit einem Buch in die Sonne zu setzen, sondern besser endlich das Unkraut zu jäten. Dort hinten, die Rosen, die gehören auch dringend geschnitten. Und wenn wir damit fertig sind, fallen uns, als hätten wir nicht genug geschuftet, diese kleinen, höchst unregelmäßigen Triebe an den Hecken auf. Eine sehr beunruhigende Entdeckung. Die Triebe müssen natürlich weg, sie stören massiv den Ordnungssinn. Ein Garten spiegelt den Charakter seines Besitzers wider, es gibt jene Hobbygärtner, die schon morgens um sechs - begleitet vom verständnislosen Kopfschütteln der Nachbarn - die Hecke hegen, es gibt die Laissez-faire-Gärtner, die eine gewisse Ordnung halten, denen ein nicht perfekter Rasen aber nicht den Schlaf raubt und es gibt jene, die der Natur großzügig ihren Lauf lassen und für die eine Wiese erst dann perfekt ist, wenn sich Schmetterlinge darin tummeln - und das tun sie erst ab einer gewissen Grashalmlänge. Es ist, als herrschte eine unerbittliche Konkurrenz zwischen diesen Menschentypen, jeder glaubt, seine Philosophie wäre die einzig richtige und die, die sich und ihre Gärten als ordentlich bezeichnen würden, blicken gern auf die anderen herab.

(Foto: Foto: AP)

Einer, der es vortrefflich verstand, der grünen "Unordnung" der Natur eine unauffällige Ordnung zu geben, war Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871). Vielleicht war es auch umgekehrt, und er verordnete der Ordnung hier und dort ein Quäntchen wohldosierten Übermut. So, als wollte er die Pedanten herausfordern: Seht her, was ich aus einem Garten machen kann, und es ist mir völlig gleichgültig, wie ihr Spießer darüber denkt. Wie ein Maler, der verschwenderisch in den Farbtopf greift, schuf er seine Gartenanlagen. Ein besonderer Zauber geht von ihnen aus, wer durch Pücklers Gärten in Muskau, Branitz oder Potsdam-Babelsberg flaniert, fühlt sich auf wundersame Weise geborgen. Vielleicht vermisst man auf den ersten Schritten so etwas wie preußische Akkuratesse, Symmetrie und opulente Blumenbeete, doch wer seine Seele fallen lässt, den nehmen diese Gärten auf das Zauberhafteste gefangen. "Landschaftsgemälde" nannte der Fürst diese nach englischem Vorbild geschaffenen, riesigen Anlagen und machte sich mit ihnen nicht nur Freunde. In Branitz zum Beispiel mussten ganze Dörfer seinen Plänen weichen, die Lausitzer Neiße leitete er kurzerhand um. Als kleine Entschuldigung an die Natur legte der Fürst dann aber wieder Seen an, ließ Hügel und Berge aufschütten. 30 Jahre dauerte es, den Park zu vollenden, heute gehört er zum Unesco-Weltkulturerbe.

Zu jeder Epoche hatten Menschen ganz genaue Vorstellungen davon, wie ein Garten auszusehen hat. Der Renaissancegarten zum Beispiel hatte Treppen- und Terrassenanlagen, Kanäle, Fontänen, Brunnen und Wasserspiele. Mit einem Barockgarten zeigten Besitzer gern, wie viel Geld sie besaßen, ideal war, wie etwa in Versailles, ein Schloss als Mittelpunkt. Barockgärten wurden streng geometrisch angelegt, ausgeklügelte Sichtachsen unterstrichen den Ordnungssinn der Gartenarchitekten. Im Laufe der Jahrhunderte erdachten Menschen Bauern-, Apotheken-, Zier und Küchengärten. Ausgeprägten Ordnungssinns bedarf ein Irrgarten. Erfunden zum Zeitvertreib im Grünen, muss alles perfekt sein, um dieser Gartenform ihre Faszination zu erhalten. Austreibende, schief geschnittene Hecken darf der Gärtner sich hier nicht erlauben, nirgendwo sonst im Grünen unterliegt er so unerbittlichen Regeln. Einem Irrgarten-Architekten muss jemand wie Fürst Pückler wie eine grüne Furie erschienen sein.

Der Stil des englischen Landschaftsparks entstand im 18. Jahr-hundert, britische Gartenarchitekten machten als erste den geometrisch angelegten Blumenbeeten und beschnittenen Hecken den Garaus, sie nahmen den Grünanlagen ihre Strenge, ließen ihnen aber gleichzeitig eine gewisse Ordnung. Die grüne Quadratur des Kreises, sozusagen, der Versuch, Struktur in das "Chaos" der Natur zu bringen. Den Wegen nahm man ihre "Ordnung", ihre Geradlinigkeit. In englischen Parkanlagen sind sie geschwungen, scheinbar ohne Ziel. Pücklers Wege führen an einer schönen Eiche vorbei oder vielleicht an einem künstlich aufgeschütteten Hügel, der Weg mündet aber nicht dort, er geht weiter, erhält durch des Gartenarchitekten Hand "freien Lauf", Pücklers Wege sind wie Vögel, die keine gesetzlich vorgeschriebene Reiseflughöhe und keine Routen kennen.

Gärten heißen jeden Menschen willkommen, egal ob Bettler oder Millionär, Verliebten oder Mörder. (Dass der Mörder immer der Gärtner sein soll, weisen wir bei dieser Gelegenheit mit aller gebotenen Empörung zurück, Herr Mey.) Deutschland ist reich an schönen Gärten, in wirtschaftlich schlechten Zeiten erfahren sie eine Renaissance, Menschen wenden sich wieder der vielleicht lange geschmähten Grünanlage an der Ecke zu. Ja, wir waren in der Karibik und auf hohen Gipfeln, in diesem Sommer können wir uns die teure Urlaubsreise leider nicht leisten, und deshalb suchen wir Entspannung in der Nähe. Schade eigentlich, dass wir so lange nicht da waren, denn es ist richtig schön hier. Ein Besuch im Park ist wie eine Wellnesskur zum Nulltarif, die Seele wird sanft massiert, die Gedanken erfahren ein Lifting und das Knirschen der kleinen Kieselsteine ersetzt mühelos ein Fußpeeling.

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