Valsugana:Wasser zu Käse machen

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Das wohltuende Aqua Levico nützt Mensch und Vieh. Einige Bauern beteuern, das sei das Geheimnis ihres guten Ricottas und Tosellos.

Von Helmut Luther

Ungefähr so sieht wohl das Paradies für Stiere aus: Pippo bewohnt auf dem Hof von Elisabetta und Erwin Marchi eine geräumige Privatsuite, er wird fürstlich verpflegt, es fehlt ihm an nichts. Natürlich ist das nicht ganz uneigennützig von den Marchis. Denn von Pippos Wohl hängt die Zukunft des Hofes, der Malga Montagna Granda, ab. Grauschwarz und 800 Kilogramm schwer, ist der Deckbulle hier für etwa 70 Milchkühe zuständig. Kein ganz leichter Job. Vor zwei Wochen, erzählt Elisabetta, hätten ihr Mann und sie dem Bullen wie am laufenden Band Kühe zugeführt. Pippo könne riechen, wenn eine Kuh in seiner Nähe stierig sei und werde dann ziemlich nervös. "Sobald wir die Kühe brachten, hat er fast das Gitter niedergerannt. Als sich das Besamen jedoch in die Länge zog, ist sein Eifer merklich erlahmt."

Der Hof der Marchis liegt am Ortsrand von Levico Terme. Der 8000 Einwohner zählende Ort liegt in der Valsugana, einem Tal, das südöstlich von Trient in die Poebene führt. Bis vor sechs Jahren hatten die beiden Endvierziger keine Ahnung von Landwirtschaft. Erwin hat ein kleines Bauunternehmen, Elisabetta erledigt für ihn die Büroarbeit. Weil es an Aufträgen mangelte, kaufte das Ehepaar als zweites Standbein den renovierungsbedürftigen Bauernhof mit 40 Hektar Grund. Seitdem beginnt der Tag um fünf Uhr früh mit Melken. Anschließend widmet sich Erwin der Baufirma, Elisabetta verarbeitet die Milch zu Joghurt, Ricotta und Tosella-Almkäse, einem beliebten Weichkäse in der Provinz Belluno. Abends wird wieder gemolken, zwischendurch schreibt Elisabetta Rechnungen für ihren Mann, so geht das 365 Tage im Jahr. Reich werde man damit nicht, sagt die Bäuerin, aber das sei auch nicht ihr Ziel. "Für uns ist es eine Passion."

Bäder und Grand Hotels erinnern an die schillernde Vergangenheit des Kurorts

Elisabetta Marchi ist eine von 17 Bäuerinnen der Valsugana, die beim Projekt "Adoptiere eine Kuh" mitmachen. Für 60 Euro können sich Gäste einer Kuh annehmen. Sie erhalten dann eine "Identitätskarte" mit Foto, Namen und Hufabdruck des Tiers sowie der Adresse des Bauern, bei dem es im Stall steht. Kommt der Gast zu Besuch, werden ihm die 60 Euro in Naturalien zurückerstattet: Käse, Ricotta, Butter, Tosella, Milch. Nicht alle Kühe eigneten sich gleichermaßen zur Adoption, erklärt Elisabetta. "Manche lassen Fremde nicht so gerne an sich heran, auf anderen können Kinder problemlos reiten." Ihre beiden Töchter, neun und elf Jahre alt, träfen daher eine Auswahl, dann würden die "Adoptionspapiere" versandt. 71 Kühe hätten im vergangenen Jahr in der Valsugana auf diese Weise "Adoptiveltern" gefunden. "Obwohl die Saison gerade erst anfängt, wurden heuer bereits 65 Ausweise verschickt." Direkt vor Marchis Bauernhof führen Bahngleise vorbei - ein nerviges Hindernis. Theoretisch müsste die Familie jedes Mal einen Bahnmitarbeiter anrufen, wenn jemand auf den Hof kommen will. Aber praktisch hängt einfach ein Schlüssel am Kettenschloss, mit dem man die Bahnschranke selbst öffnet. Der Eisenbahn, die Trient mit Venedig verbindet, verdankt die Valsugana oder das Suganertal, wie es im Deutschen heißt, seinen wirtschaftlichen Aufstieg. Schon seit Jahrhunderten werden die Thermalquellen, die auf 1500 Metern am Monte Fronte entspringen, therapeutisch genutzt. Es waren die Österreicher, die in Levico, das Kaiser Franz Joseph 1894 zur Stadt erhob, den Kurbetrieb einführten. Im Grand Hotel Imperial logierten Adelige, Industrielle und Kaufleute. Der mit Säulen und Rundbogenfenstern geschmückte Bau thront inmitten von mächtigen Himalaya-Zedern und Mammutbäumen im Kurpark. Doch seine besten Zeiten hat das Haus wohl hinter sich. Ein Mann mit Hund berichtet vom drohenden Konkurs. "Kein Wunder, bei Übernachtungspreisen unter 40 Euro pro Person."

Westlich von Levico liegt der gleichnamige See zu Füßen des Hügels von Tenna. Die grüne Kuppe trennt den Levico- vom Caldonazzosee - der Valsugana-Radweg verbindet die beiden Seen. Der etwa 80 Kilometer lange, durchgehend asphaltierte Weg verbindet Pergine am oberen Taleingang mit Bassano del Grappa am Tor zur Poebene. Der Weg ist auch für weniger ambitionierte Radfahrer geeignet und ist auch im Frühjahr schon befahrbar. Mit kaum merklichem Gefälle schlängelt er sich an der Brenta entlang. Sie ist in Levico eher ein dünner, moosgrüner Faden. Vom Ort geht es flussaufwärts, um Maisfelder und Obstwiesen. Im Süden steigen bewaldete Hänge zur Hochebene von Vezzena empor, dahinter stehen schneebedeckte Gipfel. Im Norden klettern steile Weinterrassen den Tenna-Hügel hinauf. Campingplätze, Pizzerien und Fischrestaurants kündigen das Ufer des Caldonazzosees an. Auf der Seepromenade sind Spaziergänger und Jogger unterwegs, Rentner auf Holzbänken halten ihre Gesichter in die Sonne. Hölzerne Badestege führen ins Wasser hinaus, über dessen spiegelglatter Oberfläche Mücken im Gegenlicht tanzen.

In einer Stunde radelt man an der Brenta flussabwärts vom Caldonazzosee nach Roncegno. Wieder geht es durch Obstwiesen und Felder, hinter Hügeln spitzen altersgraue Kirchtürme hervor. Auch in Roncegno sprudeln Thermalquellen. Von der Blütezeit des Heiltourismus zeugen freskenbemalte Villen und verwunschene Parks. Die prächtigste Villa, die glyzinienumrankte Casa Raphael, ist noch heute ein Kurbetrieb mit klassischen sowie homöopathischen Heilmethoden.

Auch Tagesgäste kommen zum Kuren in die Casa Raphael. Einige quartieren sich im B & B Monte Tesobo bei Stefania und Bruno Dal Fior ein. Vor gut zehn Jahren hat das Ehepaar mit der Pension einen beruflichen Neustart gewagt. Während sich Bruno um die Instandhaltung der beiden Häuser kümmert, in denen die Dal Fiors Zimmer vermieten, baut Stefania Kräuter an. Nach einer schweren Operation habe sie einige Monate lang nicht arbeiten können, erzählt die Mittvierzigerin. "Der Garten war dann meine Therapie. Wenn ich einen Vogel zwitschern höre oder eine Smaragdeidechse im raschelnden Laub davonhuscht, halte ich manchmal inne, um mir bewusst zu machen, wie schön es hier ist."

Ihre Kräuter bietet Stefania Dal Fior auf Märkten in umliegenden Dörfern an. Genau wie Elisabetta Marchi ihre Milchprodukte. Wie die Kräuter- erklärt auch die Milchbäuerin, dass sie den Markttrubel zwar genieße, am Abend aber froh sei, der Stadt den Rücken kehren zu können. Warum ihr Almkäse so gut schmeckt, ist für Elisabetta Marchi klar: Ihre Milchkühe trinken das gleiche Wasser wie die Menschen - das für seine wohltuenden Eigenschaften gerühmte Aqua Levico aus einer Heilquelle, das auch in Restaurants auf den Tisch kommt.

Auskünfte zu "Adoptiere eine Kuh" und zur Alm Montagna Granda unter www.visitvalsugana.it/de

© SZ vom 04.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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