Urlaubs-Alternative:Zelten aus Leidenschaft

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Für die einen muss es das Fünf-Sterne-Hotel oder "all inclusive" sein, für viele andere reichen ein paar Stangen und ein Stück Nylon zum Urlaubsglück. Reisende wie Birgit Lutz-Temsch und Jochen Temsch: Ihre Erlebnisse beim Zelten in aller Welt haben sie in einem Buch aufgeschrieben. Als Kostprobe das Kapitel "John Wayne und wir".

Eine unfreundliche Stimme reißt uns aus unserem tiefen Schlaf. "Hallo, ist da wer?", herrscht jemand in unser Vorzelt, "kommen Sie sofort raus!"

(Foto: N/A)

Zwanzig nach sechs zeigt unsere Uhr, es ist noch kühl. Schlaftrunken stecke ich meinen Kopf aus dem Zelt und schaue direkt ins Maul eines Schäferhunds. Der Hund glotzt mich tumb an. Seine Leine führt zu einem Ranger. Mit Gewehr. Im Anschlag.

Es ist so weit: Wir erleben eine der berüchtigten Ranger-Kontrollen, von denen uns andere Camper schon erzählt haben. Denn unser Iglu steht auf einer der Inseln Hawaiis, im Kokee State Park auf Kauai. Die campgrounds dort funktionieren ganz anders als in Europa. Es gibt keine Rezeption, keine nummerierten Plätze, keinen Supermarkt, keine Umzäunung, und meistens ist ein Holzschild, auf dem "Camping" steht, der einzige Hinweis, dass Zelten erlaubt ist.

Campen nur mit Genehmigung

An wundervollen Orten liegen die meisten dieser Parks - an einsamen Sandstränden, an wilden Klippen, in Palmenwäldern. Und nie sind sie überfüllt - im Kokee State Park ist unser Iglu das einzige Zelt. Das gemauerte Toilettenhäuschen mit der auf Hawaii üblichen Freiluftdusche steht uns allein zur Verfügung.

Die naturnahe Anlage der Plätze darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass strenge Regeln herrschen: Gecampt werden darf ausschließlich in den dafür vorgesehenen Arealen, und das auch nur mit einer Genehmigung. Die gibt es bei einer zentralen Stelle auf jeder Insel. Zwischen zwei und fünf Dollar kosten solche permits pro Tag. Wer keine hat, zeltet wild, und das mögen die Ranger gar nicht. Deshalb machen sie Kontrollen auf den Campingplätzen.

Der Kokee State Park liegt im Innern Kauais auf etwa 1200 Metern Höhe, wo es ziemlich kühl und feucht ist. Vermutlich übernachtet deswegen fast niemand dort: Seit drei Tagen ist der Ordnungshüter der erste Mensch, der außer uns den Platz betritt. Was seinen Auftritt einigermaßen skurril wirken lässt.

(Foto: Foto: dtv)

"Was machen Sie hier?", blafft er uns an. Jochen kratzt sich am Kopf. "Wir zelten", sagt er, was sonst soll er schon sagen. "Das sehe ich auch", sagt der Ranger erbost. "Wildes Zelten ist auf allen hawaiischen Inseln streng verboten, wissen Sie das nicht?"

"Oh", sage ich erleichtert - jetzt weiß ich, was der verärgerte Parkwächter in seiner grünen Uniform will: Wir haben die Genehmigung nicht außen an unser Zelt gehängt, wie es Vorschrift ist. Mitten in der Einsamkeit der Natur erscheinen uns solche Auswüchse der Bürokratie ziemlich lächerlich. Also denken wir immer noch, dass uns der Möchtegern-Sheriff nur ein bisschen erschrecken will, dann aber sicher in Ruhe lassen wird.

"Das ist ein Missverständnis, wir haben eine Genehmigung", erkläre ich, und will schon ins Zelt kriechen und sie holen. Da befiehlt er tatsächlich, als sei er John Wayne und ich die Freundin Billy the Kids: "Keine Bewegung!"

Halb gebückt erstarre ich. Ungläubig schauen wir den Ranger an. "Was? Was ist denn?" fragt Jochen. Unmissverständlich macht uns der Ranger klar, dass unser Zelt hier an einem völlig verbotenen Platz steht. Die für Campen vorgesehene Zone sei nicht die Wiese, sondern das Feld jenseits des Klohäuschens. Wir haben unser Iglu also fatale 50 Meter zu weit bergab aufgebaut.

"Hier ist eine Picknickzone", fährt der Uniformierte in seinem militärischen Tonfall fort. "Sie haben das Gesetz verletzt. Ich konfisziere jetzt Ihre Ausrüstung, und Sie beide bekommen eine Strafe von jeweils 500 Dollar. Im November wird die Gerichtsverhandlung sein."

Ich beginne zu überlegen, ob das alles ein Traum ist, oder ob gleich Paola und Kurt Felix hinter einer Palme hervorhüpfen werden und sagen "Haha, verstehen Sie Spaß? Sie sind in unserer Feriensendung!". Weder noch. Wir sind wach und nicht im Fernsehen. Jochen geht einen Schritt auf den Ranger zu und macht eine beschwichtigende Armbewegung. "Stopp!", schreit der, "passen Sie auf den Hund auf!" Auf Englisch hört sich das noch viel beeindruckender an:

"Watch the dog!"

Der Schäferhund glotzt. Frisst Gras. Und sieht in etwa so gefährlich aus wie ein Zwerghase. Das Paola-und-Kurt-Felix-Gefühl verstärkt sich. Der Ranger will unsere Ausweise sehen. Zusammen mit den Pässen gibt ihm Jochen sämtliche Campgenehmigungen, die wir haben - für ausnahmslos jeden Tag unserer fünf Wochen in dem Archipel.

Verdrehte Schilderwelt

Wir müssen die Papiere auf den Picknicktisch legen. Von dort nimmt sie der Ordnungshüter, immer einen großen Abstand zu uns wahrend. Er benimmt sich, als seien wir zwei Turban- und Burka-Träger, und als würden auf dem Tisch nicht die Reste vom Abendessen, sondern detaillierte Terrorpläne für die zweite Bombardierung von Pearl Harbor liegen. Sein Gewehr hängt er sich aber wieder um. Blättert in unseren Pässen und notiert eifrig unsere Daten auf seinem Ranger-Strafzettel-Block.

"Hören Sie", sagt Jochen, "wir dachten wirklich, dass wir hier zelten dürfen. Das Schild dort oben zeigt doch auch in diese Richtung." Das Holzschild, klärt uns der Ranger auf, habe irgendjemand verdreht, und er macht kein Hehl daraus, dass er glaubt, wir seien das gewesen. Und nicht nur das. "Das Bier hier haben wohl auch nicht Sie getrunken, Sie Unschuldslämmer", sagt er höhnisch, und deutet auf den Picknicktisch, wo sich zwei Flaschen Budweiser - die sich eigentlich ohnehin nicht "Bier" nennen dürften - aneinanderlehnen. "Doooch", sage ich gedehnt.

"You violated the law", sagt er triumphierend, "Sie haben das Gesetz gebrochen. Sie trinken Alkohol, obwohl das hier verboten ist, dafür könnte ich Ihnen noch mal eine Strafe von 500 Dollar aufbrummen." Langsam wird das Ganze ziemlich teuer.

"Packen Sie jetzt endlich Ihr Zelt zusammen. JETZT!" Er meint es ernst. Diskutieren könnten wir mit dem Richter, sagt er. In Sekundenbruchteilen schießt durch meinen Kopf, was das für uns bedeutet: Wir sind den vierten Tag auf Hawaii, haben noch mehr als vier Wochen vor uns, unsere Ausrüstung ist nagelneu, der Dollar auf seinem Allzeithoch. Wenn wir kein Zelt mehr haben - vielleicht auch nirgendwo ein neues kaufen können - und vier Wochen in hawaiischen Hotels schlafen, müssen wir Konkurs anmelden.

"Ich bin nur das ausführende Organ hier. Und ich muss tun, was ich tun muss", sagt der Ranger in einem Ton, der weitere Gespräche überflüssig macht.

Die Augen des Schäferhunds scheinen zwischenzeitlich fast aus ihren Höhlen zu treten. Der Ranger-Wauwau hat so viel Gras gefressen, dass ihm jetzt schlecht wird. Wir schauen zu, wie er grüne Flusen auswürgt, direkt vor unsere Füße, und ich halte erneut Ausschau nach Paola und Kurt Felix. Als der Hund fertig ist und sich mit hängenden Ohren und glasigem Blick unter den Picknicktisch legt, sagt der Ranger, er würde jetzt die Polizei holen, da wir nicht kooperationsbereit seien.

Es ist kurz vor sieben Uhr morgens, wir sind müde, haben noch nichts gegessen, es ist kühl, vor unseren Zelteingang hat gerade ein Schäferhund gekotzt. Ich fange an zu weinen. Weil das alles so ungerecht ist. Weil der Urlaub so schön werden sollte. Weil wir es wirklich nicht besser wussten. "Das ist nicht fair", schluchze ich, "nicht fair! Sie machen unseren ganzen Urlaub kaputt. Und wir können gar nichts dafür."

Die Tränen laufen mir nur so über die Wangen. Der Schäferhund vergräbt seinen Kopf zwischen den Pfoten. Der Ranger schaut mich skeptisch an. Er kramt in unseren Genehmigungen herum. "Okay", sagt er nach einer Ewigkeit, "you look like decent people" - "Sie sehen aus wie anständige Leute. Vielleicht kann ich eine Ausnahme machen. Ich gehe jetzt und werde in einer halben Stunde wiederkommen. Dann will ich hier nichts mehr von Ihnen sehen."

Wir können es kaum glauben. Dann beugt er sich zu uns herüber und sagt in verschwörerischem Tonfall, wir dürften niemandem erzählen, dass er hier war und uns laufen gelassen habe.

"Haben Sie das verstanden?", bellt er zuletzt - und macht kehrt.

Das haben wir. John Wayne geht so breitbeinig, dass wir fast das Klirren der imaginären Sporen an seinen Fersen hören können, zu seinem Hengst, dem Pick-Up. Der Schäferhund trottet neben ihm her. Der Hüter des Gesetzes hebt seinen gefährlichen vierbeinigen Partner auf die Ladefläche, steigt ein, röhrt davon.

Wir stehen da, Jochen hält unsere Pässe in der Hand. Wir sind völlig verwirrt und können die Vorstellung, die der Ranger samt seiner altersschwachen Töle mitten in der Wildnis gegeben hat, nicht fassen. Jochen sagt: "Jetzt brauche ich erst mal einen Kaffee."

Nach dieser seltsamen Begegnung im Morgengrauen bauten wir das Zelt ab und stellten es wie befohlen oberhalb des Toilettenhäuschens wieder auf. Der neue Platz sah haargenau so aus wie der alte - aber nun campten wir gesetzestreu, ordnungsgemäß, keine Regeln verletzend. Wir verbrachten noch zwei weitere Tage im Kokee State Park. Und der Ranger blieb der einzige Mensch, den wir dort trafen.

Am Montag, den 27. Juni 2005, können Sie die Autoren in München bei einer Lesung persönlich erleben: Cafe in der Muffathalle, Einlass 19.30 Uhr, Beginn 20.00 Uhr. Bei schönem Wetter draußen!

"Zelten" ist in der Reihe "Kleine Philosophie der Passionen" bei dtv erschienen (Mai/05) und für € 7.50 im Buchhandel zu haben (ISBN 3-423-34194-7).

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