Unberührte Sumpflandschaft:Argentiniens Arche Noah

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Die Feuchtgebiete Esteros del Iberá im Nordosten des Landes sollen demnächst zum Welterbe der Unesco ernannt werden

Von Fabian von Poser

Sie nennen ihn schlicht Jimenez. Nicht, weil man in den Sümpfen so förmlich wäre, jemanden stets beim Nachnamen zu nennen, sondern aus Respekt. Tiefe Furchen durchziehen das sonnengegerbte Gesicht. Der dunkle Gaucho-Hut ist weit in die Stirn gezogen. Unter der Krempe funkeln die Augen im letzten Sonnenlicht: Aus ihnen spricht die Erfahrung eines entbehrungsreichen Lebens.

Mit dem Boot durch die Esteros del Iberiá. (Foto: Fotos: von Poser)

Geschickt steuert Jimenez das schmale Boot durch das flache Wasser. Trotzdem schwappt immer wieder eine Ladung der von Sedimenten braun gefärbten Brühe über die Bordwand. Die Füße der Insassen sind klitschnass. Nur Jimenez; Schuhe sind trocken. Er weiß, Haut trocknet schneller als Leder und so bewegt sich der Bootsführer wie alle Einheimischen barfuß fort.

"Das Wasser steht niedrig", brummt der 57-Jährige und drückt das Boot mit dem langen Stab durch den Morast. "Seit sechs Monaten hat es nicht mehr geregnet." Immer wieder bleibt die Barke zwischen den Wurzeln hängen. Mit vereinten Kräften schieben, drücken und pressen die Insassen das Boot vorwärts. Die Arbeit scheint vergebens: Bis zum Horizont ist nichts zu sehen als Blau und Grün. Himmel, Wasser, Schilf. Im Dickicht zirpt und quakt es, ab und an ist irgendwo ein Platschen zu hören. "Ein Carpincho", haucht Jimenez dann leise, ein Wasserschwein. Doch kaum wähnt man irgendwo ein Tier, ist es auch schon wieder verschwunden.

Die Arche Noah Argentiniens

Die Esteros del Iberá im Dreiländereck zwischen Argentinien, Brasilien und Paraguay sind die Arche Noah Argentiniens, ein endlos weites Sumpfgebiet, unberührt von Menschenhand. Mit ihren 13 000 Quadratkilometern sind die Sümpfe fünfmal so groß wie Luxemburg, ein Refugium für mehr als tausend Tier und Pflanzenarten. Wasserschweine und Kaimane sind hier zu Hause, Hirsche, Füchse, Wölfe, Dachse, Schildkröten, Gürteltiere und Brüllaffen. Dazu kommen mehr als 300 Vogelarten.

Schließlich treibt Jimenez das Boot wieder voran. Der Kanal ist tiefer geworden und auf voller Breite mit Seerosen übersät. "Nur noch ein paar Biegungen, dann sind wir in meiner alten Heimat", sagt der Alte. Tatsächlich trocknen die Freizeit-Abenteurer wenige Minuten später am Feuer ihre Schuhe. Rotwein fließt, auf dem Feuer brutzeln dicke Brocken argentinischen Rindfleischs. Die Flammen geben den Blick frei auf eine verfallene Schilfhütte.

"Vor vielen Jahren kam ich mit meiner Familie als Fischer hierher. In diesem Verschlag haben wir neun Jahre gelebt", erzählt Jimenez. Jeden Morgen brach er mit seinem Boot auf, um Nahrung zu beschaffen. Oft war er tagelang unterwegs, um Essbares zu finden. Einmal, erzählt Jimenez, habe er den Piloten eines Ultraleichtflugzeugs, der mit seinem Jet über den Sümpfen abgestürzt war, morgens um zwei Uhr lebend aus dem Wasser gezogen. Die Polizei hatte ihn bereits zwei Tage vergebens mit Hubschraubern und Scheinwerfern gesucht. "Irgendwann hatte dann meine Familie die Nase voll von der Einsamkeit, und wir sind weggegangen." Doch in diesen Jahren hat der 57-Jährige, der nun seit vielen Jahren Touristen durch die Sümpfe führt, das Labyrinth aus Wasserarmen kennen gelernt wie kein anderer.

In dem Sumpfgebiet mit dem Krokodil auf Tuchfühlung. (Foto: N/A)

Die Esteros del Iberá sind heute ein Naturidyll. Doch das war nicht immer so. In den achtziger und neunziger Jahren machten Jäger dem natürlichen Gleichgewicht schwer zu schaffen. "An manchen Tagen flogen uns regelrecht die Kugeln um die Ohren", erzählt Jimenez. "Oft sahen wir Laster mit 200 oder 300 Carpinchos davon brausen." Mittlerweile hat der argentinische Staat begriffen, welchen unsagbaren Wert dieses Stück Natur hat. Jagen ist in großen Teilen der Sümpfe verboten, Polizisten kontrollieren regelmäßig die Ein- und Ausfallwege. Seit Januar 2002 fallen die Sümpfe unter das internationale Ramsar-Abkommen, das Feuchtgebiete in der ganzen Welt unter Schutz stellt.

"Wohin die Inseln schwimmen, weiß nur der Wind."

Selbst die Unesco ist bereits aufmerksam geworden: Derzeit läuft die Bewerbung für eine Aufnahme ins Welterbe. Zu Recht, wie Forscher erst jüngst festgestellt haben, denn die Sümpfe zählen zu den wenigen großen Feuchtgebieten auf der Erde, die fast ausschließlich von Regenwasser gespeist werden. Auf der riesigen Oberfläche sammeln sich im Jahresdurchschnitt zwischen 1200 und 2300 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter, dies macht das riesige Ökosystem zu einem der wichtigsten Süßwasserspeicher der Erde.

Eine kühle Brise weht durch das Schilf. Langsam weichen die Farben der Natur. Die kleine Gruppe hat am nächsten Abend die Zelte auf einer Schilfinsel aufgeschlagen. Kaum zehn mal zehn Meter sind die Eilande groß, die zu Dutzenden durch die Lagunen treiben. Um sie ranken sich Legenden, weil sich selbst Ortskundige immer wieder verfahren. "Wohin die Inseln schwimmen, weiß nur der Wind", sagt Jimenez ehrfurchtsvoll, während er die Kalebasse mit warmem Mate, bitterem Tee, kreisen lässt. Am Himmel strahlt das Sternenzelt am Firmament. Grillen zirpen, Frösche quaken, sanft wippt die Insel im Wellentakt. Wie schön, dass der Wind sie heute Nacht genau hierher getragen hat.

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