Tourismus-Branche:Zurück in der Wirklichkeit

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Den Reisebüros kommen die Kunden abhanden. Denn die wollen nicht mehr bemuttert werden.

Meite Thiede

Wenn eine Image-Kampagne her muss, steht es meist schlimm um eine Branche. Die deutschen Reisebüros wollen viel Geld in die Imagepflege stecken und sich künftig "autorisierte Kümmerer" nennen.

Dass mancher damit "kümmerlich" und nicht "Geborgenheit" assoziiert, liegt nahe - dennoch trifft der Spruch den Kern: Er zeigt, dass den Reisebüros zunehmend die Kunden abhanden kommen, weil diese nicht mehr intensiv betreut werden wollen.

Das Brot-und-Butter-Geschäft der Reise-Vermittler ist die klassische Pauschalreise, bei der Flug, Hotel, Transfer, Reiseleitung und Beratung als Paket angeboten werden. Aber wer braucht noch Beratung, wenn er einen Trip ans Mittelmeer plant?

Und: Beim Buchen der Urlaubsreise wollen die Deutschen möglichst billig davonkommen; und die Schnäppchen-Kompetenz vermuten sie eher im Internet als im Reisebüro.

Schuld daran sind eigentlich Fluglinien wie Ryanair & Co: Die Billigflieger haben ihre Kunden darauf trainiert, die Tickets im Internet selbst zu kaufen. Wer aber erst einmal ein Billig-Ticket in der Hand hat, findet online auch ohne viel Mühe ein passendes Hotel.

Immer mehr Hotelketten reagieren auf diesen Trend und präsentieren sich mit viel Aufwand im Internet.

Heute teilt sich der Reisemarkt so auf: Knapp die Hälfte entfällt auf Pauschalreisen, 45 Prozent auf sogenannte Bausteinreisen, bei denen der Kunde Flug, Hotel und vielleicht einen Mietwagen einzeln bucht, und nur fünf Prozent kommen auf das komplett selbst organisierte Reisen.

Doch das dürfte bald Vergangenheit sein: Experten sind sicher, dass sich der Markt bis 2010 dritteln wird.

Die Branche hat schon in den vergangenen zehn Jahren einen grundlegenden Strukturwandel erlebt. Früher waren die Veranstalter TUI oder Neckermann mittelständische Händler. Sie kauften Hotelbetten und Flugplätze ein, bündelten das Ganze, packten es in bunte Kataloge und verkauften es als Pauschalreise.

Das Geschäft mit den "schönsten Wochen des Jahres" galt als so lukrativ, dass aus den Mittelständlern große Konzerne wurden. Marktführer TUI ist heute ein Dax-Konzern, Thomas Cook gehört je zur Hälfte Lufthansa und Karstadt-Quelle.

Die Idee, die vor allem TUI perfektionieren wollte, war das integrierte Touristik-Unternehmen, das nicht nur die eher bescheidene Händlermarge einstrich, sondern auf allen Stufen mitverdiente. Man kaufte Fluglinien und Hotels, Preise spielten dabei kaum noch eine Rolle.

So entstanden ziemlich hoch verschuldete Großkonzerne mit üppigen Verwaltungen und einer nur scheinbar rosigen Zukunft.

TUI reagiert auf die Krise mit Entlassungen; etwa tausend Mitarbeiter müssen gehen.

Als nämlich am 11. September 2001 in New York die Türme einstürzten, brach auch die Welt der Pauschalreise zusammen. Plötzlich wurde Urlaub für die Veranstalter zu einem hochriskanten Geschäft. Und das Fliegen war kein fester Bestandteil des Urlaubsvergnügens mehr, sondern ein notwendiges Übel, um in die Sonne zu kommen. Dieser Imageverlust beförderte den Vormarsch der Billigflieger.

Zum Nachteil der anderen: TUI zum Beispiel geriet schließlich so in Bedrängnis, dass der Konzern, der den Charterer Hapagfly besaß, sich selbst den Billigflieger HLX zulegte, der jetzt mit der Charter-Schwester Hapagfly verschmolzen wird und von nun an TUI-Fly heißen soll.

Pauschalreise bei Aldi

Derzeit ringen die Großen der Branche um neue Konzepte, um die drohende Umsatzlücke bei den Pauschalreisen zu füllen. Der Thomas-Cook-Konzern, zu dem auch Neckermann gehört, verstärkt den Internet-Vertrieb und will Hotels verkaufen.

Rewe mit den Marken DER, Tjaereborg oder ITS setzt auf Baustein-Reisen, um die abtrünnigen Pauschal-Touristen zurückzugewinnen. Marktführer TUI muss sich gesundschrumpfen und zittert um seine Dax-Mitgliedschaft.

Inzwischen sind die Pauschalreise bei den Discountern angekommen. Reisen aus dem Hause TUI gibt es künftig bei Aldi, und in den Lidl-Filialen finden sich Angebote von Thomas Cook. Billig geht, und Luxus geht auch.

Das ist in der Touristik nicht anders als in allen anderen Konsumsparten. Zyniker sagen, Pauschaltouristen hätten nur noch einen Vorteil: Bei einer Katastrophe am Urlaubsort organisiere die Reiseleitung für sie die Heimreise.

© SZ vom 15.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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