Straßenkunst:Welt aus Kreide

Lesezeit: 2 min

Julian Beever malt dreidimensionale Bilder aufs Straßenpflaster. Der Engländer, der mit dem etablierten Kunstbetrieb über Kreuz liegt, empfindet auf der Straße eine Freiheit, die er sonst vermisst.

Von Stefan Fischer

Julian Beever hat auf der Straße jongliert und er hat Puppentheater gespielt. Dabei beschreibt sich der Engländer selbst als scheu, der Kontakt zu fremden Menschen strengt ihn bei aller Neugier doch eher an. Aber da ist eine Freiheit auf der Straße, die er nirgends sonst findet; schon gar nicht in seinem eigentlichen Metier, der Malerei. Beever hat den Umweg über die Ein-Mann-Schaustellerei offensichtlich gebraucht, um sich zu getrauen, was er inzwischen mit großem Erfolg macht: Der Mittfünfziger malt dreidimensional wirkende Bilder auf Straßenpflaster.

Schon während seines Studiums in Leeds zu Beginn der Achtzigerjahre geriet er mit dem etablierten Kunstbetrieb über Kreuz: "Ich kehrte der Welt der Avantgarde, in der alles das Etikett Kunst trug, was man als solche anzupreisen verstand, den Rücken und fand, auf der Suche nach Bodenhaftung, meine Identität in der Tradition", schreibt Beever in seinem Buch "Street Art", das rund 80 seiner kurzlebigen 3-D-Gemälde zeigt. Die sind, bei aller konkreten Gegenständlichkeit der Motive, dann aber doch auch abstrakt. Denn nur von einem bestimmten Standpunkt aus lässt sich das menschliche Auge vorgaukeln, ein plastisches Bild wahrzunehmen. Da badet dann eine Frau in einem Pool, stürzt ein Mann eine Treppe hinunter, krabbelt ein monströses Insekt durchs Stadtzentrum, fischt Beever einen riesigen Krebs aus dem Hafenbecken. Auf den Fotografien seiner Bilder, die er mit Pastellkreide anfertigt, ist Julian Beever oft selbst zu sehen, als Teil des Gemäldes und zugleich als Teil der Realität drumherum. Denn darum geht es ihm häufig: Den tatsächlichen urbanen Raum neu zu gestalten, also in seine Kunst einzubeziehen.

In Brüssel hat Beever einmal einen Stapel Pflastersteine gemalt, und daneben das Loch, aus dem sie stammen. In San Antonio einen Trinkbrunnen, in Montreal ein freigelegtes antikes Mosaik. Wenn es ihm möglich ist, bindet er die umliegende Architektur mit ein, etwa in seinem Big-Ben-Gemälde, in dem die reale und die gezeichnete Welt ineinander übergehen. Spannend sind die Motive, bei denen man nicht in eine Grube hineinblickt, sondern aus einem Loch hinaus. Wenn also der Boden zur Decke wird und man durch eine Öffnung - senkt man den Blick nach unten - einen Ausschnitt des Himmels über einem sieht. Etwas Geheimnisvolles, sagt Beever, sei nicht an seinen Bildern. Man müsse nur die Gesetze der Perspektive beachten - und wissen, wie man das menschliche Gehirn täuschen kann.

Julian Beever : Street Art. Dreidimensionale Kreidekunstwerke. Aus dem Englischen von Ursula Bischoff. Terra Magica, München 2014. 96 Seiten, 20 Euro.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: