1. Station: Las Palmas/Gran Canaria:Der schaukelnde Palast

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Willkommen auf der MS Deutschland, dem Schiff, das Knabenmorgenblütenträume zu erfüllen vermag.

Klaus Podak

Von Las Palmas bis nach Venedig, von dem einen Wasser dort zum anderen Wasser da, kann es ganz schön weit sein: 47.155 Kilometer genau gesagt, 25.400 Seemeilen, anders gerechnet. Das dauert natürlich.

(Foto: Foto: Podak)

Hält man sich an den humanen Vorschlag für Wohngebiete, nicht schneller als mit 30 Sachen durch die Gegend zu fahren (und macht zwischendurch auch ein paar Pausen zur Erquickung), dann kommen gut und gern viereinhalb Monate zusammen.

Von Las Palmas nach Venedig. Man muss es richtig anfangen. Das ist dann nämlich eine Weltreise.

Die Erfüllung der Knabenmorgenblütenträume

Warum nicht? Wollten wir doch alle irgendwann mal machen, so eine Weltreise: Knabenmorgenblütenträume (das lange Wort hat Goethe erfunden, ein Reise-Freak).

Unterwegs könnte man in Feuerland vorbeischauen, kurz Pitcairn überprüfen (Meuterei auf der Bounty, Sie erinnern sich), auch auf der Osterinsel anlanden, später Shanghai nicht vergessen ...

Irgendwann müssen solche Knabenträume auch den Reeder Peter Deilmann aus Neustadt in Holstein geplagt haben. Da er nun einmal ein Reeder ist, Schiffebesitzer, da sich unter diesen Schiffen ein besonders großes, schönes, modernes befindet, das auf den Namen MS Deutschland hört, dachte er sich wohl: Probieren wir's einfach.

Umwege im Gepäck

Einmal hat er die Sache schon getestet. Ging gut. Denn jetzt hat er tatsächlich seine Deutschland wieder um die Welt geschickt. Am 18. Dezember des jüngst vergangenen Jahres ist sie in Las Palmas losgefahren.

Mit den erhofften Umwegen im Gepäck: Feuerland, Pitcairn, Osterinsel ... Und so weiter. Wir vom Glück erwischten Träumer sind übrigens dabei. Oder: an Bord - wie wir jetzt als seefahrendes Volk sagen. Und werden regelmäßig berichten, wie das alles weitergeht, was dabei passiert und wie das endet.

Dieser Text zum Beispiel wurde auf dem Atlantik getippt, an Bord der Deutschland, irgendwo zwischen Afrika und Südamerika. Wo genau, weiß allein der Kapitän.

Wir mitreisenden Landmatrosen sehen nur Wasser, köstliches, sanft sich bewegendes Meer, bei Windstärke 2 und 25 Grad Celsius Lufttemperatur.

Gleich wird auch noch der hier besonders unermüdliche Mond aufsteigen und das Schiff durch die Nacht bis in den hellen Morgen hinein nicht aus seinen Mondgesichtsaugen lassen - beruhigend und stimulierend. War eine gute Idee des Peter Deilmann, diese Umwegerei, die erst am 4. Mai in Venedig enden soll.

Dieses ganze, kühne Weltreiseunternehmen um den südlichen Teil der Erdkugel rum heißt Kreuzfahrt.

Von Verwöhnurlauben und Rentnervergnügen

Wie war das nochmal mit dem zweiten Vorurteil? (Foto: N/A)

Kreuzfahrt, ein Reizwort, das selbst bei reisewilligen, reisewütigen Landbewohnern durchaus ganz unterschiedliche Reiz-Antworten provoziert. Die einen finden Kreuzfahrten toll, auch wenn sie noch nie eine mitgemacht haben: Verwöhnurlaub satt ist die Parole.

Die anderen, junge Leute oft, mäkeln gleich los, besonders heftig übrigens, wenn sie noch nie so ein Schiff aus der Nähe gesehen haben: Langweiliges Rentnervergnügen heißt diese Variante.

Beide Vorverurteilergruppen sollten vielleicht den Satz von Bert Brecht beherzigen: Der Geschmack des Puddings erweist sich beim Essen. Wir kosten ausführlich vom Kreuzfahrtpudding bei dieser Reise - und werden unsere Forschungsergebnisse getreu weitergeben.

Spätestens im Mai wissen wir dann alle Bescheid. Die Meere jedenfalls, das lässt sich jetzt schon sagen, hier mitten auf dem Atlantik, wenn sie denn bei ihrer sanft erregenden, gewissermaßen stillen Unruhe bleiben, sind der Reflexion auf Streitfragen durchaus zugetan.

Eben aber, wenn nicht alles täuscht, trübt sich der Himmel ein über den Wassern, das Mondgesicht scheint auch nicht (noch nicht).

Die Wasserfarben spielen plötzlich rüber ins Stahlblaue. Veränderung kündigt sich an. Doch auch sie wird das Nachdenken fördern. Der Aufmerksamkeitsquotient steigt in einer solchen Umgebung enorm. Außerdem: Man reist ja nicht nur um anzukommen, schrieb Goethe.

Vorm Abenteuer die Bürokratie

Als alles anfing mit dieser Kreuzfahrerei, kam das wie der Blitz aus dem heiteren Himmel, die Anfrage nämlich, ob man denn mitreisen möchte. Viereinhalb Monate? Andererseits: Knabenmorgenblütentraum. Also zwei Tage Bedenkzeit. Dann Sieg der Abenteuerlust.

Kein Mensch, dem es nicht selbst widerfahren ist, ahnt ja auch nur, was es an Ideen braucht (und deren Praktizierungen natürlich), für einen doch stattlichen Zeitraum den festen Boden unter den Füßen aufzugeben, ein, wenn auch nur kurzzeitiges, Leben auf schwankenden Planken zu organisieren.

Wo die Katzen hinkommen und eine gute zweite Heimat finden, das ist nur eines der einfachsten Probleme. Was wird aus der Post? Was macht das böse Finanzamt möglicherweise? Die Bank, die Bankaufträge. Zeitung, Radio, Fernsehen. Telefon. Wer löscht in der fest verschlossenen Wohnung das Zurückgebliebene, wenn das Haus brennt? Wer bekommt den Schlüssel? Jeden lieben Tag fällt einem etwas schrecklich Neues ein. Viel Überflüssiges dabei. Aber auch das muss erst einmal als Überflüssiges identifiziert werden.

Der Traum von der Fahrt um die Welt - je näher es ans Aufwachen (Abfahrt!) geht - gebiert Stress.

Es kommen die Ratschläge der Freunde, oh Gott. Jeder weiß was, sorgt sich, freundschaftlich, will helfen. Am meisten wissen die, die überhaupt nichts wissen.

Haben aber vieles gehört, gesehen, gelesen. Danke, Freunde. Schließlich, da geht es aber fast schon los, die echten, die handfesten Vorbereitungen. Reicht der alte Koffer aus? Was kommt rein? Zu viel natürlich.

Noch ein Koffer muss her. Oder reicht eine Tasche? Bücher? Sind zu schwer. An Bord, hört man, gibt es ja eine kleine Bibliothek. (Nicht schlecht sortiert übrigens, wie eine sofortige Überprüfung ergeben hat)

Soll ein Computer mit? Na klar, wir wollen ja berichten, Tagebuch schreiben. Vielleicht zwei Computer? Einer geht bestimmt kaputt auf der wilden See.

Das endet nie, dieses Sorgen, Besorgen, Entsorgen, endet nicht bis zu dem Tag im Dezember, an dem es schon zu Hause hieß: Jetzt aber Leinen los. Das Schiff fährt morgen ab.

Das tat es dann auch. Aber zuvor musste man rauf. Von den Fachleuten war alles pingelig vorbereitet worden. Dazu im Hafen Blaskapelle, Sekt, Händeschütteln, Bordausweis, Begleitung in die Kabine.

Türe zu und Verschnaufen.

Rundgang in der Reisehöhle

Jedoch auch bald wieder unruhig raus: Man will ja den Start, das Auslaufen, die majestätische Ausrichtung aufs erste (und letzte) Ziel nicht verpassen. Der Puls fliegt, die Seele bebt, die feste Erde sieht uns erst einmal nicht wieder. Ein Rundgang noch.

Mehrere Rundgänge. Wenn unsere Urahnen in der Steinzeit die Höhlen wechselten, dann gingen sie erst einmal auf Erkundung um die neue, irgendwie auch unheimliche, ungewohnte Aufenthaltsstätte: Waren Höhlenbären in der Nähe zu hören? Säbelzahntiger? So ähnlich machen wir es auch. Alle machen das so.

Siehst du, und schon bist du ein anderer Mensch geworden. Als ein noch ganz anderer wirst du den Boden Europas im Mai wieder betreten.

Es kann nicht anders sein nach 137 Tagen völlig veränderten Lebens. Müde - auf merkwürdige Weise zufrieden suchst du jetzt deine Kabinenhöhle. Noch ein Blick aus dem Fenster (ein Fenster, kein Bullauge).

Mitternacht ist vorüber. Da ist er: der Mond.

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