Selbstversuch:Schussfahrt ins Pustertal

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Biathlon sieht ja so einfach aus, verlangt einem aber doch viel Geschicklichkeit ab - ein Selbstversuch in Osttirol. Von Thomas Becker

Schwerer Seegang beim ersten Schuss. Kimme, Korn und diese kleine schwarze Scheibe kommen partout nicht zusammen. Bäuchlings liege ich auf einer Matte, in der Hand ein Kleinkalibergewehr, an den Füßen enge Schuhe samt wackliger Skier, und 50 Meter vor mir wartet eine viel zu weit entfernte Scheibe darauf, getroffen zu werden. Ich versuche mich im Biathlon. In einem richtigen Wettkampf gegen zwar nur zwei Dutzend andere Dilettanten, aber immerhin. Und kaum habe ich diesen im Grunde lächerlichen Weniger-als-ein-Kilometer-Rundkurs hinter mir, pocht der Puls, will das kleine Schwarze auch nach drei Schnaufern einfach nicht ruhig halten: Schuss Nr. 1 daneben, zwo bis vier wunderlicherweise mittenrein, Nr. 5 wieder vorbei - Strafrunde, zefix! Woher rührt eigentlich mein Ehrgeiz?

800 Einwohner, keine Straßennamen, aber natürlich eine Kirche: Obertilliach im Osttiroler Pustertal (Foto: Fotos: Becker / sueddeutsche.de)

Dabei kommt einem anderes in den Sinn, biegt man von der Schnellstraße im Osttiroler Pustertal hinauf nach Obertilliach ab. Ein paar steile Serpentinen, ein Dutzend versprengter Häuser, die sich als das Örtchen Kartitsch entpuppen und oben auf dem Plateau das Haufendorf Obertilliach mit seinen denkmalgeschützten Holzhäusern und den 800 Einwohnern. Es gibt keine Straßennamen, sondern nur Hausnummern. Der Puls des Lebens schlägt langsamer hier, man nimmt sich Zeit, fühlt sich gleich wunderbar entspannt, in Ruhe gelassen. Wenn nicht dieses Nordische Zentrum wäre. Die zwei Millionen Euro teure Schießanlage mit den 30 Scheiben hat aus dem Langlauf- und Wanderdomizil auch noch einen Biathlon-Stützpunkt gemacht. Ein halbes Dutzend Nationalteams trainiert dort, wo auch unsere Debütanten-Truppe durch die Loipe eiert.

Biathlon für jedermann - die Zeiten, als man im Gebirge einfach Ski oder Schlitten fuhr, sind vorbei. Wer nicht mindestens Schneeschuhwandern, Telemark-, Skisprung-, Curling- oder Freeriding-Kurse anbietet, kann im Wettbewerb des Immer-mehr-immer-Ausgefallener kaum mehr mithalten. Nun also auch noch Biathlon. Sieht ja so einfach aus: laufen, stehen bleiben, schießen, weiterlaufen - Kinderspiel, denkt der Fernsehsportler. Dabei beginnen die Probleme schon bei Disziplin eins, zumindest für die, die schon länger nicht mehr Langlaufen waren: Ski kaum breiter als eine Streichholzschachtel, Riesen-Stöcke bis an die Nase und die schwierige Frage von Loipen-Charly, dem Chef-Wachser: skaten oder klassisch? Verdammt, woher soll ich das wissen? Nur gut, dass die Strecke gleich mit einer selektiven Abfahrt beginnt, nach der sich die Stilfrage bei manchen gar nicht mehr stellt.

Man hatte sich natürlich vorbereitet auf den Wettkampf und die Konkurrenz studiert: Die Österreicher checken am Vorabend die Loipen-Konsistenz, die Italiener verschwinden im Wachskeller, ein deutsch-österreichisches Quartett arbeitet hartnäckig an einer 4 x 0,5 Liter-Staffel. "Die Waffe gut einschießen!" hatte der weltbeste Biathlet geraten. Per Telefonschaltung haben die Obertilliacher ihren neuen Mitbürger vor einem Weltcup-Rennen von Finnland aus in die warme Stube des 250 Jahre alten Gasthofs Unterwöger geholt: Der Norweger Ole Einar Björndalen, fünffacher Olympiasieger und Weltmeister, lebt seit Juni hier - nicht nur weil seine Verlobte (Natalie Santer, eine Biathletin, logisch) im nahen Toblach zu Hause ist, sondern auch wegen des frühen Schnees und der Höhenlage auf knapp 1500 Metern: ideale Bedingungen für Ausdauersportler. Für das Sommertraining wünscht er sich noch eine Rollerbahn sowie demnächst die Austragung eines Biathlon-Weltcups in Obertilliach - und uns Anfängern viel Glück.

Dass dieses Glück ein relativer Wert ist, zeigt sich am Schießstand, liegender Anschlag. Beim Probedurchgang treffe ich fünf von fünf - ein Ding der Unmöglichkeit. Zwar zielen wir nicht wie die Profis auf Vier-Zentimeter-Scheiben, sondern auf Elf-Zentimeter-Scheunentore, aber trotzdem! Meine Schützenkarriere bei der Bundeswehr lief durchaus zurecht unter der Rubrik Patronenverschwendung. Als sich der Nächste am vier Kilo schweren Luftgewehr versucht, klärt sich das Volltreffer-Mirakel: Einer der netten Instruktoren, die die Waffe keine Sekunde aus den Augen und uns damit auch nicht auf die Strecke lassen, schießt im Stehen zeitgleich auf dieselbe Scheibe: Erfolgserlebnisse schaffen! Urlaubermotivation! Laufen müssen wir dann doch selbst, des öfteren von hinten mit einem hektischen "Hey, hey" aus der Spur gescheucht von einem dieser Nationaltrikot tragenden Rennmaschinen. Die ignorieren auch die Existenz der mörderischen Sechs-Höhenmeter-Steigung vor dem Schießstand, rennen einfach rauf, wo unsereins mit Grätenschritt und Donnerpuls hinaufstakst. Und jetzt auch noch schießen!

Der Urlauber kann sich all dies antun, muss aber nicht. Er kann auch ohne Gewehr und ganz gemächlich auf der 60 Kilometer langen Grenzlandloipe die sanften Fluren des sonnenreichen Hochtales erkunden, im überschaubaren Skigebiet ungestört carven und um Mitternacht mit dem letzten Nachtwächter Österreichs durchs Dorf ziehen. Dienstags und freitags lädt Helmut Egartner mit Stock, Laterne, Hut und wallendem Mantel zum nächtlichen Gang und setzt so eine Tradition aus dem 14. Jahrhundert fort, als man sich gegen Räuberbanden aus dem nahen Südtirol und die Brandgefahr für die eng beieinander stehenden hölzernen Bauernhäuser schützen musste. Vergangenes Jahr kamen zum 13. Europäischen Türmer- und Nachtwächtertreffen mehr als 80 Zunftbrüder nach Obertilliach und lauschten dem alten Lied: "Loust auf ihr Hearn und Baurn und lasst Euch sagn, der Hammr' andr' Uhr hat zwölf gschlagn. Gebt fleißt acht auf Foir und Liacht, dass uns Gott und unsre liabe Frau behüat. Hot zwölf gschlagn."

Meine zweite Biathlonrunde ist dann schon ein Klacks, die Steigung verdient kaum mehr den Namen. Die Italiener haben verwachst, nur ein Österreicher soll am Ende schneller gewesen sein als ich, was mit Siegerschnapsflaschen belohnt wird, was wiederum die Staffelkollegen freut. Ist halt doch ein Mannschaftssport, gemeinsam lassen sich die Fehlschüsse ja am besten analysieren, am urigsten beim Unterwöger - bis einem dann wieder der Nachtwächter heimleuchtet.

Informationen

Unterkunft: Halbpension im Gasthof Unterwöger (Tel.: 0043 / 48 47 52 21) ab 49 Euro, 7 Tage Halbpension im Hotel Weiler (Tel.: 0043 / 48 47 52 02) inklusive Langlaufausrüstung ab 346 Euro.

Weitere Auskünfte: Tourismusbüro Obertilliach, Dorf 4, A-9942 Obertilliach, Tel.: 0043/48 47/52 55, E-Mail: info@obertilliach.com, Internet: www.obertilliach.at

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