Rückkehr der Austern in die Nordsee:Diva aus Ostasien

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Deutschlands einzige Austernzucht liegt im Sylter Wattenmeer. Vor dreißig Jahren hat Dittmeyer's Austern Compagnie sie wieder angesiedelt. Nun ist die Edel-Muschel eine gefragte Delikatesse.

Von Sven Weniger

Edler geht's nicht. In klaren Linien steht ihr Name auf der schrundigen, beige-braun gefleckten Schale aus Kalziumkarbonat: Sylter Royal. Da liest der Kunde, was er gerade im Begriff ist zu schlürfen: die einzige Auster, die aus heimischer Zucht kommt. Als sei es nicht schon exklusiv genug, auf der deutschen Schickeria-Insel die Königin der Meeresfrüchte zu sich zu nehmen. Wer will, kann sich sogar sein Porträt auf die Schale lasern lassen oder das Foto seines Ferraris. Der Eitelkeit sind keine Grenzen gesetzt. Doch das sind Petitessen, die das Geschäft einfach mit sich bringt, mit denen Bine Pöhner sich aber nicht aufhält. Die Chefin von Dittmeyer's Austern Compagnie in List, dem Ort ganz im Norden der Insel, ist eine geerdete Frau. Sie will vor allem ein tolles Produkt abliefern, auch ohne Aufschrift. Die Voraussetzungen dafür sind blendend. Die Wasserqualität im Sylter Wattenmeer sei eine der besten in Europa, nur wenige Küsten könnten da mithalten, sagt sie.

Austern sind Diven. Zehn Liter Seewasser pro Stunde filtert das ovale, handtellergroße Tier, um an Plankton zu gelangen. Sind Strömung und Gezeiten zu schwach, passen Temperatur, Sauerstoffgehalt und Nahrungsqualität nicht, ist es verstimmt und wächst nicht richtig. Auch Störungen durch Schiffsverkehr mag die Auster nicht. Gleichzeitig verbessert sie durch ihre Spülarbeit selbst das Wasser; keine Kleinigkeit bei den vielen Millionen Tieren, die im Sylter Wattenmeer leben. Eine Win-Win-Situation also, meint Pöhner zufrieden.

Austern waren einst in der ganzen Nordsee bis hoch nach Norwegen verbreitet. Die europäische - Ostrea edulis - wurde aber durch Überfischung nahezu ausgerottet. Riesige Kratzeisen, von Kuttern gezogen, ratterten, um sie zu ernten, über den Meeresgrund und verwüsteten ihn dabei. Für hundert Austern im Netz blieben Tausende zerstört zurück, erklärt Matze, einer von Bines drei Mitarbeitern. Um 1900 verschwand die europäische Auster von den Sylter Küsten. Mitte der Siebzigerjahre begann ein zehnjähriges Forschungsprojekt des Alfred-Wegener-Instituts zur Wiederansiedlung von Austern. Als beste Spezies, auch zur kommerziellen Nutzung, machte die Pazifische Felsenauster - Crassostrea gigas - aus Ostasien das Rennen. 1986 nahm die neu gegründete Dittmeyer's Austern Compagnie ihre Arbeit auf. Bis heute ist sie die einzige Aufzucht Deutschlands. Dass die Felsenauster als invasive Art in neuem Habitat auch für Kritik sorgte, war erwartbar. Aus den Zuchtanlagen verbreitete sie sich rasch und verwilderte. Anders als ihre europäische Schwester lebt sie jedoch im Flachwasser und dockt dort an Felsen und Artgenossen an. Beide Arten kommen sich nicht in die Quere. Inzwischen wird sie sogar privat eingesammelt und verzehrt. Eine Verkaufsgenehmigung hat allerdings nur Pöhners Austern Compagnie.

Ein Euro vierzig pro Stück ist bei dem betriebenen Aufwand nachgerade ein Schnäppchen

Die weite Blidselbucht liegt im bleichen Mittagslicht, am Horizont drehen sich Windräder an der dänischen Küste. Es ist Ebbe. 500 Meter tief im Wattenmeer stehen Eisentische, auf denen die Austern in sogenannten "Poches" liegen, Kunststoff-Netztaschen, die vom Meer durchspült werden. 70 Fußballfelder groß ist das Areal, bei Flut verschwindet alles vollständig im Wasser. Da die Tiere wegen der Gezeiten zweimal am Tag trockenfallen und sich dann verschließen, werden sie kräftig und wachsen gut. Dittmeyer's bezieht die Jungaustern aus Irland, nach zwei bis drei Jahren vor Sylt haben sie dann mit etwa 90 Gramm ihr Verkaufsgewicht. Jede Woche werden 30 000 Stück in die Bassins der Compagnie geholt. Dort filtern sie nochmals Meerwasser, das durch eine Pipeline kommt, spülen Sandreste aus, werden auf Schadstoffe getestet und sind dann verzehrfertig. Im Prinzip. Denn ihrer Natur folgend, halten Austern ohne Wasser die Klappe fest geschlossen, weshalb Matze und seine Kollegen leicht anklopfen müssen. Nur wenn das wie Stein auf Stein klingt, sind die Austern wohlauf.

Da Austern dazu neigen, aneinanderzuwachsen, was auf dem Teller suboptimal aussähe, müssen Pöhners Leute außerdem zweimal pro Woche raus ins Watt und bei Wind und Wetter die Poches schütteln, wenden und Algen abstreifen. Im Winter könnten sich die Tiere zudem durch auf dem Wasser treibendem Eis verletzen. Für fünf Monate ziehen daher alle in Hallenbecken nach List um. Die großen Austern werden weiterverkauft, die kleinen bleiben dort bis zum nächsten Frühjahr. In gut gepolsterten 25er- und 50er-Körbchen gehen die Austern an die Kunden, für 1,40 Euro pro Stück im Versand. Fast eine Million Austern pro Jahr liefert Dittmeyer's, auch nach Österreich und in die Schweiz. Sterneköche und Kreuzfahrtschiffe seien weitere Kunden. Allein ein Drittel der Produktion verbleibt aber auf Sylt.

Austern würden, sagt Pöhner, auch in Deutschland immer beliebter. Sie seien Kraftbomben aus Eiweiß und Zink. In den Strandkörben vor Dittmeyer's Bistro sitzen stramm gebräunte Herrschaften aus Kampen und List im Abendlicht und lassen eine Auster nach der anderen in den Mund gleiten. Vom Bassin durch die Küche auf den Tisch sind es drei Minuten. Frischer geht es nicht. Zehn Tage kann eine Auster unbeschadet lagern, so lange kommt sie mit dem Wasser aus, das sie verschlossen in der Schale hält. Das ermöglicht ihren Lebendversand. Beim Geschmack ist es so wie beim Wein. Jeder fühlt etwas anderes am Gaumen: Gemüsenoten wie Gurke oder Kohlrabi - nun ja. Garantiert ist das Salzwasser auf der Zunge, da kommt die Auster schließlich her. Wichtig sei, sagt Pöhner, sie zu kauen, bevor man sie runterschluckt, dann könne sie gar süßliche Aromen entfalten. Im Bistro wird sie auch gegart serviert. Dann ist sie in Geschmack und Textur einer Muschel ähnlich, aber auch auf deren Größe eingedampft. 500 Tonnen Austern verzehren die Deutschen im Jahr. Das hört sich nach viel an. Doch sei noch viel Luft nach oben, sagt Bine Pöhner. Wir seien halt noch immer eine Currywurst-Nation - die Franzosen verspachteln 500 000 Tonnen.

Information Das Bistro von Dittmeyer's Austern Compagnie ist geöffnet: Montag bis Samstag 11.30 bis 20 Uhr, Sonntag bis 17 Uhr. www.sylter-royal.de.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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