Reisegepäck:Wer billig fliegt, sucht länger

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Reisende, die mit Billigfliegern unterwegs sind, müssen wohl hinnehmen, dass Koffer und Besitzer unterschiedliche Wege einschlagen.

Von Gerhard Matzig

Das Schönste an unserem wohl jüngsten und kleinsten deutschen Flughafen, am "Airport Niederrhein", der aus zivilisierten Resten der Royal Air Force und einem Gepäckförderband sowie mindestens aus den Damen Weingran, Reuters, Kamps, Pistel, Drawer und Schileffski besteht, das Schönste daran ist das Sixties-Gefühl beim Ankommen. Glamour ist hier die Summe aus Gangway und Rollbahn - und sonst nichts.

Koffer einchecken am Flughafen: Und zack, weg ist er. (Foto: Foto: dpa)

Doch legt sich dieses definitive Ankommen-Gefühl sehr bald, wenn man auf einen Koffer wartet. Wartet. Wartet. Und wartet. Im Koffer sind die Ostergeschenke für die Kinder. Dieser Koffer ist WICHTIG.

Das Drama kann beginnen

Also denkt man "Gepäckermittlung" und lernt eine Frau Weingran kennen. Es ist Karfreitag, kurz nach 13 Uhr. Die Maschine aus München, die uns auf eine - im Wortsinn: irrsinnig - preiswerte Billigflieger-Tour mit dem Städtchen Kleve verbinden sollte, ist gelandet. Das Drama des Billigen, das sich als teuer erweisen wird, kann beginnen.

Frau Weingran, die bei der Firma GSI (Groundservice international, mit Hauptsitz in Berlin) tätig und daher zuständig für unauffindbares Gepäck der eher unberühmten, aber konkurrenzlos billigen Fluglinie "V Bird" ist, ist keine böse Frau. Sie ist nur überfordert.

Denn erstens läuft ein sehr rotgesichtiger Flughafenangestellter herum, der sehr lautstark die zur gleichen Zeit eintreffenden Gäste aus Manchester befragt, ob irgendwer eine weiße Plastiktüte gesehen habe.

Herrenkniestrümpfe

Zweitens neige ich dazu, ebenfalls sehr rotgesichtig und sehr lautstark zu werden, wenn ich aus dem Flugzeug steige, meinen Koffer vermisse, sehe, wie sich mein anderthalbjähriger Sohn vom Förderband Richtung Flugzeug nach Kopenhagen schaufeln lässt und bei alldem von Frau Weingran ausführlichst danach befragt werde, wie viele Paar schwarzer Herrenkniestrümpfe fehlen.

Ich brülle: "Was wollen Sie denn noch wissen?" Sie sagt: "Was in dem Koffer ist. Spezifische Kennzeichen." Ich brüll-schreie: "Die Zeit." Sie fragt: "Uhr?" Ich brüll-jerichoe: "Zeit. Zeitung. Aus Hamburg."

Und dann, zugegeben, kollabiere ich ein bisschen. Sie schreibt derweil den "Property Irregularity Report" unter anderem mit dem höchst spezifischen Hinweis "3 x black socks" voll. Auch wollte sie wissen, wer ich sei und wie man mich erreichen könne. Schließlich schreibt sie mir die Nummer auf, unter der ich sie "jederzeit" erreichen könne: 02837/666611. Ich weiß nicht, ob sie zu diesem Zeitpunkt weiß, dass sich seit Menschengedenken noch niemals jemand unter dieser Nummer gemeldet hat.

Es geht um die Würde

Meine Frau zieht mich vom Schalter weg. Man kennt sie am Niederrhein. Aber immerhin geht es hier auch um meine Würde - um die Würde eines erwachsenen Mannes, der es gewohnt ist, auch unterwegs eine Zahnbürste und drei Paar schwarze Herrenkniestrümpfe sein eigen zu nennen.

Schweigend erreichen wir Kleve. Hemdenlos. Strümpfelos. Geschenkelos. Würdelos. Ich stürze ans Telefon, das ich die nächsten 48 Stunden nicht aus der Hand gebe. Ich rufe die GSI-Nummer an. Niemand hebt ab. Ich rufe eine halbe Stunde später an und wieder hebt niemand ab. Ich rufe abermals eine halbe Stunde später an und abermals hebt niemand ab. Also Telefonauskunft. Man kennt dort den Airport Niederrhein nicht. Wohl aber den Flughafen Weeze. Dort aber kennt man die richtige GSI-Nummer nicht.

Eine Frau Pistel will wissen, wer ich sei und wie man mich erreichen könne. Dann wieder die Telefonauskunft: Die GSI in Berlin ist die "Schweißtechnische Versuchs- und Lehranstalt". Anruf beim Flughafen. Man gibt mir die Nummer 02837/666611. Außerdem will man wissen, wer ich sei und wie man mich erreichen könne.

Der Warschauer Pakt

Ich fange an, Radau zu machen. Jetzt bekomme ich eine andere V-Bird-Problemlösungs-Nummer. Es meldet sich eine Frau Reuters. Sie sagt, sie wisse über den Vorgang nicht Bescheid, ich solle ihr aber doch einfach meinen Namen nennen und meine Nummer hinterlassen. Ich tue das. Ich weiß jetzt auch, dass mir VBird 22 Euro ersetzen wird. "In der Stunde?" - "Insgesamt." Frau Reuters sagt übrigens noch etwas anderes sehr, sehr Merkwürdiges. Sie sagt ernsthaft, dass "der Warschauer Pakt" zuständig sei für verlorenes Gepäck bei V Bird.

Und dann geschieht ein Wunder: Ich werde wegen meines Koffers angerufen. Zwar nicht aus Weeze. Wohl aber aus München. Es ist jetzt 21 Uhr 42. Ein Herr Opitz sagt: München sei nicht schuld. Ich rufe Frau Reuters an. Sie sagt: V Bird sei nicht schuld. Ich frage meinen Schwiegervater. Er sagt: Der Niederrhein sei nicht schuld.

Karsamstag, 8 Uhr 39. Die GSI ist nicht erreichbar. Eine Frau Biesen verweist auf eine Frau Kamps und will wissen, wer ich sei und wie man mich erreichen könne. Schließlich ruft mich Frau Kamps an - um 10 Uhr 42. Mein Koffer sei da. Nein, nicht am Niederrhein. Sondern in Izmir. Was tut er dort? Vermutlich irrt er hilflos umher.

"Das geht nicht."

13 Uhr 23. Anruf vom Flughafen Düsseldorf, von Herrn Kalafucz von der AHS, Aviation Handling Services. "Hallo. Ihr Koffer ist jetzt in Düsseldorf. Aus Izmir." - "Ja, schön. Sehr schön. Aber ich bin nicht in Izmir oder Düsseldorf. Ich bin in Kleve. Sie schicken mir jetzt bitte sofort meinen Koffer." - "Das geht nicht." - "Warum?" - "Weil ich nicht weiß, wer das bezahlt. Billigflieger."

Aha.

Herrn Kalafucz' Kollege, der Herr Weißbach, wird einige lautstarke Telefongespräche später noch ergänzen: "Seien Sie mal froh, dass der Koffer überhaupt wieder da ist. Aus Izmir kommt auch nicht alles zurück." Im Übrigen solle ich nochmal meinen Namen und meine Telefonnummer hinterlassen.

Ich rufe die GSI an. Niemand meldet sich. Ich rufe Frau Pistel an und frage sie, ob ich für den Rest meines Lebens die GSI-Nummer am Airport Niederrhein wählen soll - bis irgendjemand abhebt. Sie sagt: "Ja."

Muss eh den Mann abholen

13 Uhr 47. Ich rufe die GSI in Berlin an. Am Telefon ist ein Computer, der mir erklären will, wie ich meine Email-Einstellung ändern kann. Will ich nicht. VBird antwortet ohnehin nicht auf meine E-mails. 14 Uhr 45. Ich rufe die GSI in Weeze an. Frau Kamps meint, dass möglicherweise Frau Drawer, die Traffic Managerin, meinen Koffer spätabends von Düsseldorf nach Weeze mitbringen könnte - die müsste ja eh ihren Mann in Düsseldorf abholen. Ich weiß nicht, wer ihr Mann ist - aber ich verdanke ihm alles.

Ostersonntag, 9 Uhr 33. Eine Frau Schileffski am Airport Niederrhein weiß von dem Fall nichts. Sie will wissen, wer ich sei und wie man mich erreichen könne. Um 12 Uhr 59 ruft schließlich Frau Kamps an, die eine Heilige ist. Sie sagt, dass es sich jetzt ja nicht mehr lohne, den Koffer zuzustellen. Ich solle ihn beim Rückflug nach München mitnehmen. Dort übergibt ihn mir am Abend eine Frau Lechleitner. Großes, unfassbares Glück.

© SZ vom 13.04.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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