Reisebücher:Geblendet im Nebel

Lesezeit: 3 min

Drei Bildbände erzählen je eigene Geschichten über den Wandel auf Grönland, Spitzbergen und Island. Alle haben sie viel mit den Menschen zu tun.

Von Stefan Fischer

Wenn der Wetterdienst meldet, dass eine Nebelbank heraufzieht und die Discobucht bald einhüllen wird, dann bricht Olaf Otto Becker auf. Das ist sein Wetter, sein Licht. Seit 2003 verbringt der deutsche Fotograf viele Sommer an der grönländischen Westküste. Er braucht für seine Aufnahmen das viele Licht im Juni und Juli, das Schatten wirft, "als hätte sie jemand mit Kohle gemalt", wie Becker im Begleittext seines Bildbandes "Ilulissat" schreibt. Und mehr noch braucht er die relative Wärme des Sommers.

Wenn sich die Luft über den Felsen an der Küste erhitzt - in der Stadt Ilulissat wird es sommers mitunter bis zu 20 Grad warm - und anschließend hinauszieht aufs arktische Meer, entstehen teilweise Nebel, teilweise flimmert die Luft am Horizont. Und die Eisberge spiegeln sich dann besonders deutlich im Wasser.

Es geht in diesen Aufnahmen aber nicht in erster Linie um eine Klarheit des Blicks. Olaf Otto Becker sucht nach Szenerien, in denen die Motive ineinander verwischen: der Himmel, das Meer, das Eis, der Nebel. "Wenn die Sonne durch die Wolken und Nebel hindurch mit ihrem Licht alles so diffus zeichnet, dass man nicht sagen kann, ob es Morgen, Mittag oder Abend ist, dann finde ich meine Bilder", schreibt der Fotograf. Er sucht nach den Momenten, in denen Vorstellungen und die Wirklichkeit ineinander verschwimmen. Blau, Grau, Weiß sind die vorherrschenden Farben; manchmal sind noch Gelbtöne dabei, wenn das Licht die feuchte Luft durchdringen kann.

Die vielen Brocken der Eisberge, die in der Discobucht treiben, werden in diesen Aufnahmen zu Skulpturen. Becker erhöht sie zu Kunstwerken; und als Betrachter läuft man Gefahr, geblendet zu werden von dieser Schönheit. Das Eis schmilzt im Sommer längst schon schneller, als es sich im Winter neu bilden kann. Dass Eisblöcke von den Eisbergen abbrechen, ist ein natürlicher Prozess - steigt ihre Zahl, ist das jedoch kein gutes Zeichen. Sie zeugt von zu großer Instabilität des Eises aufgrund zu hoher Temperaturen. So haben die Skulpturen ihre abgründige Seite. Dass Olaf Otto Becker sie häufig in Nebeln verschwinden lässt, hat eine beabsichtigte, übertragene Bedeutung: Da löst sich etwas auf, verschwindet aus der Welt.

Der koreanische Fotograf Han Sungpil ist in seinem Band "Intervention", ebenfalls erschienen bei Hatje Cantz, weitaus weniger subtil in seiner Bildsprache. Drei Fotoserien sind in "Intervention" veröffentlicht, in allen dreien geht es um die Energiegewinnung und die damit verbundenen Eingriffe der Menschen in die Natur. Zwei der Serien hat Sungpil in polaren Regionen aufgenommen: In der ersten geht es um die Hinterlassenschaften der Walfangindustrie auf Spitzbergen, Südgeorgien und den Südlichen Shetlandinseln. In der zweiten um den inzwischen ebenfalls aufgegebenen Kohlebergbau in der Ortschaft Pyramiden auf Spitzbergen. Die dritte Serie befasst sich mit französischen Atommeilern an Loire und Seine.

Vor allem in den polaren Regionen sind die Eingriffe deutlich sichtbar: Primitive Siedlungen sowie Industrieruinen von Anlagen, die noch nicht einmal besonders alt sind, rotten vor sich hin. Sie werden nicht mehr gebraucht. Und doch sind sie womöglich nur ein Vorbote dessen, was diesen Weltgegenden in naher Zukunft bevorsteht, wenn die Ausbeutung der Bodenschätze die von manchen ersehnten und von anderen befürchteten Ausmaße annehmen wird.

Die gestalterische Kraft der Naturgewalten wird in den Polarregionen gut sichtbar

Die Eingriffe in diese Landschaften sind, obwohl sie absolut gesehen gering erscheinen mögen, brutal. Gebaut wurde nach rein funktionalen Gesichtspunkten. Die Inseln haben hier keinen Wert außer dem, was sich verfeuern, also vernichten lässt für vorgeblich höhere Zwecke.

Weitgehend frei von menschlichen Eingriffen sind unterdessen die Szenerien des Fotografen Jürgen Wettke in seinem Band "Iceland. Nature of the North". Wettke hat seine Island-Aufnahmen in vier Kapitel sortiert, besonders hervorstechend sind die Motive, die er der Erde und dem Feuer zurechnet - die also die vulkanisch geprägte Landschaft der Insel in Szene setzen. Die mineralreichen Böden färben die Insel bunt ein, ohne dabei einen Eindruck des Unnatürlichen zu erwecken.

Island befindet sich gewissermaßen in einer Grenzregion, am Übergang zwischen den von den Menschen geformten Kulturlandschaften Nordeuropas und der zivilisationsfeindlichen polaren Sphäre weiter im Norden. Wettke interessiert sich vor allem für die Gestaltungskraft natürlicher Urgewalten. Dazu gehören neben den vulkanischen Aktivitäten auch Wasser und Eis. Diese Kräfte führen mitunter zu sehr sanften, beinahe lieblichen Ergebnissen. Und dann aber auch wieder zu einer groben Schroffheit.

Jürgen Wettke benötigt für seine Fotografien das Licht des Sommers, um die Landschaften zum Leuchten zu bringen. Sein Band bedient eine Island-Sehnsucht, die sich deutlich in den Tourismuszahlen niederschlägt. Dennoch wirkt die Natur noch weniger fragil als weiter im Norden.

Olaf Otto Becker : Ilulissat. Verlag Hatje Cantz, Berlin 2017. 96 Seiten, 35 Euro.

Han Sungpil : Intervention. Verlag Hatje Cantz, Berlin 2017. 176 Seiten, 38 Euro.

Jürgen Wettke : Iceland. Nature of the North. Verlag teNeues, 208 Seiten, 79,90 Euro.

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: