Reisebuch:Unterkühlt

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Die britisch-chinesische Fotografin Yan Wang Preston ist über fünf Jahre hinweg den Jangtse abgereist. Sie war sogar an seiner Quelle auf über 5400 Metern. Ihr Bildband zeigt, wie sehr Chinas längster Fluss schon domestiziert ist.

Von Stefan Fischer

Als Motto steht diesem Bildband ein Liedtext voran, es ist der Titelsong einer dokumentarischen Serie des chinesischen Staatsfernsehens CCTV aus den Achtzigerjahren. "Du hast das Herz einer Mutter", heißt es darin im Refrain über den Jangtse. Die naturgewaltige, urwüchsige Kraft des Flusses wird darin besungen, er wird mit allerhand bombastischen Attributen bedacht. Und so heißt der Fotoband von Yan Wang Preston über den gewaltigen Strom denn ebenfalls "Mother River".

Kunst am Kanal: Die Skulptur steht bei Jangzhong. (Foto: Yan Wang Preston)

Seit der TV-Serie hat es einige brachiale Versuche gegeben, diese unbeugsame Mutter zu domestizieren, durch gewaltige Staudammprojekte, die die Kraft des längsten chinesischen Stroms mancherorts in der Tat gebrochen haben. Doch der mehr als 6000 Kilometer lange, nur zu einem Drittel schiffbare Fluss lässt sich in Gänze wohl niemals bändigen, das jedenfalls legen die Fotografien Yan Wang Prestons nahe.

Sie hat sich für ihr Porträt des Jangtse eine strenge Form auferlegt: Im November 2011 reiste Yan Wang Preston in die Quellregion - auf über 5400 Metern und bei Temperaturen von minus 30 Grad Celsius - am Fuß des Jianggudiru-Gletschers. Wenn es wärmer ist, ist diese Gegend nicht passierbar. Dort begann die britisch-chinesische Fotografin, Jahrgang 1976, ein Projekt, das sie über fünf Jahre hinweg verfolgt hat: Exakt alle 100 Kilometer hat sie, die fernab dieses Flusses in Henan aufgewachsen ist und mittlerweile in Yorkshire lebt, mit einer Großformatkamera eine Aufnahme des Jangtse gemacht. Auf diese Weise sind 63 Porträts von Flusslandschaften entstanden, die zusammen ein wahrhaftiges Panorama des Jangtse ergeben sollen. Nicht die spektakulären Szenerien summieren sich hier zu einem Bild des Flusses, es ergibt sich vielmehr aus der Zufälligkeit des metrischen Systems.

Der Jangtse in seiner unwirtlichen Quellregion. (Foto: Yan Wang Preston)

"Mother River" zeigt die Fotografien in der geografisch exakten Reihenfolge, als Betrachter folgt man also dem Flusslauf - wie man es in der Realität kaum könnte. Oder eben nur unter den Mühen und mit dem großen zeitlichen Aufwand, den Yan Wang Preston betrieben hat.

Am Beginn fließt erst einmal gar nichts. An der Quelle ist eine Schnee- und Eislandschaft zu sehen, der man die Höhe und Abgeschiedenheit nicht unmittelbar ansieht, jedoch die lebensfeindliche Kälte. Aber schon hier hat man kein Rinnsal vor sich, sondern einen Fluss, der die Landschaft in zwei Ufer trennt. Auf den zugleich alles zuläuft, der Orientierung bietet und die Richtung vorgibt.

Bei Kilometer 2400: Das Umland der Tigersprung-Schlucht ist abweisend. (Foto: Yan Wang Preston)

Erste Spuren der Zivilisation zeigen sich nach 700 Flusskilometern, die Pfeiler einer im Bau befindlichen Brücke sind am Horizont zu sehen, der begrenzt ist immer noch von sanft geschwungenen, dennoch trutzigen Bergen. Manchmal wendet sich die Fotografin auch vom Fluss ab, fotografiert sie Ufer - teilweise aus einer Not heraus, wenn sie den errechneten Fotopunkt nicht erreichen kann, weil das Gelände zu unwegsam ist.

Gelegentlich zeigt die Fotografin sogar Fischer. Einmal sogar einen Badende

Was einem recht bald klar wird, ist, dass der Jangtse über lange Strecken seines Laufes ein Gebirgsfluss ist und erst einmal auch nicht jene Lebensader, als die man ihn vor allem kennt. Als Transportweg ist er nur auf dem Unterlauf nutzbar, und über viele Hundert Kilometer fließt er durch Gebirge, in denen an Landwirtschaft und damit auch an eine Besiedelung der Uferregionen nicht zu denken ist.

"Mother River" zeigt ein distanziertes Verhältnis dieses eher abweisenden Flusses und den Bewohnern jener Regionen, durch die er fließt. Ja, man sieht Fischer, einmal sogar einen Badenden, ein bisschen Industrie und Schifffahrt. Mancherorts wirkt die Landschaft entlang des Jangtse jedoch wie von den Menschen aufgegeben: Gebäude verfallen, angefangene Bauten werden nicht fertiggestellt. Das Leben zerbröselt, wird fortgeschwemmt. Auch das zeigt "Mother River": Das Leben verlagert sich in China massiv vom Land in die Millionenstädte.

Yan Wang Preston : Mother River. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2018. 160 Seiten, 58 Euro.

© SZ vom 03.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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