Reisebuch:Sommer in Freiheit

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Geschichten von Sehnsuchtsorten: Daniela Alge und Ursula Dünser erzählen vom modernen Älplerleben in Vorarlberg, das viele Familien als Auszeit vom Alltag nutzen. Trotz der Entbehrungen.

Von Stefan Fischer

Die Alpsaison ist zu Ende, auch in Vorarlberg. Herlinde und Günther Hänsler, die die Alpe Galtsuttis im Hinteren Bregenzerwald bewirtschaften, schildern in dem Vorwort des Buchs "Gamsfreiheit", wie es nach rund 100 Tagen auf 1654 Metern wieder hinunter geht ins Tal: "Noch ein Blick zurück zur Hütte und zu den Gämsen. Sie beobachten das Ganze aus geringer Entfernung. Nun haben sie ihr Revier wieder für sich allein. Gams-Freiheit!"

Es ist jedoch nicht nur eine Freiheit der Tiere hier heroben, sondern auch eine der Menschen. Im Frühsommer, wenn die Hänslers die Alpe herrichten, reagieren die Gämsen erst nervös, dann neugierig und bald gelassen auf die Menschen, ihre knapp 180 Stück Vieh, die drei Hühner und die eine Katze. Die ganze Familie zieht auf die Alpe, die drei Töchter der Hänslers sind auch dabei. "Sie spielen mit dem, was ist", notieren die Eltern. Suchen vierblättrigen Klee, finden sogar einen mit fünf Blättern. Malen eine Tastatur auf einen kantigen Stein, haben somit auch ein Smartphone. Familienmitglieder und Freunde sind häufig zu Gast, helfen bei der Arbeit, bringen Brot. Viel Abstimmung ist nicht nötig. Es sind weitgehend Wochen ohne Termine.

Die Autorin Daniela Alge und die Fotografin Ursula Dünser haben nicht nur die Alpe Galtsuttis besucht, sondern sechzehn weitere in Vorarlberg. Darunter stadtnahe wie die Alpe Büla auf 950 Meter oberhalb von Dornbirn und entlegene wie die Alpe Netza im Montafon. Überall treffen Alge und Dünser auf Menschen, die sich diese Freiheit nehmen, diese Freiheit brauchen. "Älplerfreiheit ist eine Sucht", behauptet Rosmarie Erath sogar, die die Sommer auf der Alpe Monzabon am Arlberg verbringt. Der Preis dieser Freiheit ist ein Verzicht auf Sicherheit und Bequemlichkeit. Eine Alpe zu bewirtschaften, ist trotz inzwischen geteerter Straßen in den Bergen und mancher moderner Hilfsmittel nach wie vor arbeits- und entbehrungsreich.

Daniela Age schildert in den knappen, protokollartigen Porträts der Älpler auch deren Nöte. Immer weniger Landwirte schicken ihr Vieh hinauf in die Berge, teilweise kommen die Tiere, die in Vorarlberg auf den Alpen gehütet werden, mittlerweile aus der Schweiz und aus Deutschland. Der Umgang mit den fremden Rindern, berichtet Rosmarie Erath, werde immer schwieriger: Durch die Laufställe haben die Tiere fast keinen Kontakt mehr zu Menschen. "Daher sind die Viecher ängstlich, scheu und am Anfang kaum zu bändigen."

Manche fürchten um die Zukunft ihrer Alpe. Im Großen Walsertal besitzen sechs Biobauern gemeinsam die Alpe Sera - das bedeutet neben der eigenen Hütte eigene Kühe und Schweine (die bekommen die abgekochte Molke zu fressen), eine eigene Sennerei und eigene Melkerinnen. Das muss man sich leisten können. Es gibt allerdings auch ein politisches Interesse, diese Traditionen und Strukturen aufrecht zu erhalten.

Der Ansatz von Alge und Dünser ist spannend: Sie zeigen und beschreiben die Alpe als jenen Sehnsuchtsort, den er für die Porträtierten darstellt. Man besieht sich die Bilder gerne, schmökert in den mitunter poetischen Texten. Doch beides, die Fotografien ebenso wie die Erzählungen, schieben bewusst die Kulissen immer wieder auch beiseite, um die Schwierigkeiten und die Schattenseiten dieser Bergsommer zu dokumentieren.

Man sieht das vor allem natürlich den Menschen an. Sie stehen im Zentrum des Buches, nicht so sehr die Landschaft und die Nutztiere. Man sieht ihnen den Stolz an, die Zufriedenheit mit dem, was sie da tun. Manchmal auch eine gewisse Entschlossenheit, gar Sturheit. Vor allem bei den Kindern - und es sind durchaus die meisten Älpler, die als komplette Familie hinauf auf die Bergweiden ziehen - kommt eine große Unbeschwertheit hinzu.

Sie erhalten eine Kulturlandschaft, derentwegen viele Urlauber nach Vorarlberg kommen - auch wenn nahezu alle der vorgestellten Alpen selbst keine touristischen Betriebe sind. Berührungspunkte mit den Fremden gibt es vor allem über den Käse, den die Älpler produzieren. In ihm wird ihre Arbeit greifbar.

Daniela Alge, Ursula Dünser : Gamsfreiheit. Vom Älplerleben in Vorarlberg. Bertolini Verlag, Bregenz 2019. 232 Seiten, 34 Euro.

© SZ vom 26.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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