Reisebuch:Frotzelnd durch das Eis

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Ein Franzose reist mit dem Segelschiff an Grönlands Küste entlang: zu Menschen, die Veränderungen durch den Klimawandel unmittelbar erleben.

Von Stefan Fischer

"Ich bin nie enttäuscht worden", schreibt Julien Blanc-Gras über die Methode, wie er sich auf Reisen direkt nach seiner Ankunft mit einem neuen Ort vertraut macht: "Ich verlasse den Flughafen und gehe in die nächste Kneipe." In Grönland hat die Methode jedoch nicht funktioniert. Denn in Kangerlussuaq gibt es keine Kneipe. "Das Konzept von Kangerlussuaq ist durchaus originell", schreibt Blanc-Gras in seinem Buch über einen Segeltörn entlang der Westküste Grönlands mit dem programmatischen Titel "Das Eis brechen": "Der Knotenpunkt des grönländischen Luftverkehrs, das Tor zu diesem Land, leistet sich nicht den Luxus einer Stadt, nicht einmal den einer Straße, die ihn mit der nächsten Stadt verbindet."

Dieser frotzelnde Ton zieht sich durch den ganzen Band. Wobei Blanc-Gras seine Spötteleien genau kalkuliert. Wenn Ernsthaftigkeit geboten ist, verjuxt der französische Reiseautor eine Situation oder ein Thema nicht, sondern benennt die Dinge deutlich. Etwa die Umsiedlungspolitik der dänischen Regierung in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, die für viele soziale Probleme auf Grönland verantwortlich ist. Flapsig wird er vor allem, wenn es um ihn selbst geht oder um aus seiner Sicht kuriose Eindrücke.

Diese Reise in die Arktis ist eine ins Eis und zu Menschen, die Veränderungen durch den Klimawandel unmittelbar erleben. Blanc-Gras ist gemeinsam mit drei Bretonen auf dem Segler Atka unterwegs: nie im offenen Meer, immer das Land und die Eisberge im Blick. In Rodebay, einer Halbinsel bei Ilulissat, trifft er einen Fischer. Er mache sich keine Sorgen wegen des Klimawandels, sagt der Mann: "Was auch passiert, wir werden uns anpassen. Wir haben uns immer angepasst." Blanc-Gras nötigt die Eislandschaft Demut ab. Den Autor zeichnet aus, dass er offen ist für neue Eindrücke. Dass er die Angst einräumt, in die ihn die Eismassen versetzen. Er ist sich im Klaren darüber, dass er hier immer fremd bleiben wird, im Grunde fehl am Platz ist.

Am Ende der Reise begegnet er einer Dänin, die in Grönland ihren Platz gefunden hat auf ihrer Suche nach Ursprünglichkeit, ihrer Flucht vor der Konsumgesellschaft. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, "die Bräuche einer Welt zu erhalten, in der sie nicht aufgewachsen ist". Während jene Grönländer, die inzwischen in den Städten leben, "mehrheitlich nach mit der Globalisierung verbundener Modernität" streben. Die Frage, wer da wem etwas erhalten will und zu welchem Zweck, sie ist heikel. Julien Blanc-Gras jedenfalls maßt sich nicht an, einer Kultur nachzutrauern, die die grönländische Gesellschaft zwangsläufig in einem vorindustriellen Stadium beließe. In Grönland bricht gerade vieles auf, nicht nur das Eis. Blanc-Gras beobachtet das sehr aufmerksam.

Julien Blanc-Gras : Das Eis brechen. Meine Reise in die Arktis. Aus dem Französischen von Annika Klapper. Mare Verlag, Hamburg 2020. 160 Seiten, 20 Euro. Das Buch erscheint am 3. März.

© SZ vom 27.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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