Reisebuch:Entlang der Straße

Lesezeit: 2 min

Der österreichische Schriftsteller Peter Rosei hat schon viel von der Welt gesehen. Und sich trotzdem die Neugier auf Menschen erhalten. Je älter er wurde, desto weiter ist er gereist. Und es ist durchaus vergnüglich, mit ihm durch die Welt zu stromern.

Von Stefan Fischer

Der österreichische Schriftsteller Peter Rosei ist ein Reisender. Immer schon gewesen, und lieber als das Ländliche mag er urbane Zentren. Weil er sich in denen offenkundig besser verlieren kann. Über die Jahrzehnte sind Notizen entstanden, kurze Aufzeichnungen aus aller Welt. Die meisten davon sind bereits irgendwo einmal erschienen. Nun aber hat Rosei sie gebündelt in seinem Band "Die große Straße".

Wo diese losgeht, das lässt sich noch sagen, auch wenn der erste Weg in dem Buch nach China führt: in Wien nämlich. Dort ist Rosei geboren, von dort aus startet er heute noch immer wieder in die Welt. Ob ihm die Stadt noch Heimat ist, bleibt allerdings rätselhaft. Er lebe in Wien und auf Reisen, heißt es in seinem Autorenprofil. Rosei selbst schreibt in einer Notiz aus und über Wien, er habe der Stadt den Rücken gekehrt. Demnach wäre auch jeder Aufenthalt dort: eine Station entlang der großen Straße. Wohin sie führt, ist nicht absehbar. Sie hat kein Ziel, ihr Verlauf ist verspielt, scheinbar zufällig, vielleicht sogar krude.

Peter Rosei hat die Texte nicht chronologisch sortiert. Tendenziell beginnt er in der Gegenwart und reist immer weiter zurück in die eigene Vergangenheit. Je älter er wurde, desto weiter haben ihn seine Reisen geführt, oft nach Asien. Er findet dort keinen Vergleichsmaßstab, speziell in China. Jede Stadt, die er dort besucht, hat mehr Einwohner als ganz Österreich, er sieht nachts keine Sterne und tagsüber die Sonne nur durch einen Dunstschleier. Es gibt selten einen Kern, ein Zentrum, von dem alles ausgeht. Schiere Überwältigung.

Der Autor, der so viel gesehen hat, ist nach wie vor neugierig. Nicht auf das Weltkulturerbe, auf Kunstschätze und Heiligtümer, so sehenswert sie auch seien, sondern darauf, was fremde oder mittlerweile auch vertraute Orte in ihm auslösen - und auf Menschen. Auf die japanische Gesellschaft zum Beispiel, auf die kambodschanische Arbeiterschaft, die sich zu einem Streik rüstet, auf die Lebensbedingungen der Fidschianer.

Immer deutlicher nimmt er im Lauf der Jahre die Rahmenbedingungen und Folgen von Tourismus wahr, erlebt, wie Reisende mitunter als Neo-Kolonialisten gesehen werden und dass Einheimische in Entwicklungsländern oft nur ein paar Münzen abbekommen von dem Geld, das Touristen ausgeben. Das große Geschäft machen einheimische Eliten und internationale Konzerne. In den Aufzeichnungen aus Europa wird der Band besonders anregend, wenn Peter Rosei im ehemaligen Habsburger Reich unterwegs ist, in Budapest, Prag, Bratislava, Triest und Temesvar. Und beobacht, ob und wie sich die k .u. k.-Bürgerlichkeit im Kommunismus gewandelt oder eventuell auch erhalten hat.

Auf den bloßen Augenschein beschränkt Rosei sich nicht. Häufig legen sich Literatur, Malerei, auch Film über seine Beobachtungen. In Paris geht er so weit, dass er sich fragt, ob die Kunstwerke, die Paris zum Gegenstand haben, nicht "die eigentliche Stadt sind".

Manchmal genügen Peter Rosei zwei, drei lapidare Sätze, um ein Problem oder eine Schlussfolgerung auf den Punkt zu bringen. Wobei er nicht dazu neigt, letztgültige Wahrheiten zu verkünden. Seine Perspektive ist eine unter vielen.

Es ist vergnüglich, mit ihm durch die Welt zu stromern. Weil beinahe alles absichtslos geschieht. Weil Rosei ein Auge für kleine Begebenheiten hat, die für etwas Größeres stehen. Und weil er zu unterscheiden weiß. Mit Zürich, zum Beispiel, kann er wenig anfangen. London ist ihm lieber als Paris, denn in Englands Hauptstadt gebe es "keine Stelle, keinen Ort, keine Ecke, wo sie einen mit Absicht beeindrucken will". Dort fühlt er sich am wohlsten: Wo nichts und niemand um ihn buhlt.

Peter Rosei : Die große Straße. Reiseaufzeichnungen. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2019. 256 Seiten, 22 Euro.

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: