Reisebuch:Durchblick im Nebel

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Mit genauem Gespür für eine angemessene Form porträtiert der Fotograf Uli Wiesmeier die Alpen als eine vielfältige Kulturlandschaft, die es zu erkunden gilt.

Von Stefan Fischer

Dörfer und Bauern, Hütten und Seen, Sport und Tourismus - das alles findet man auch im Flachland. Selbst den Steiger trifft man nicht nur in den Bergen, sondern auch im Ruhrgebiet an. Indem der Fotograf Uli Wiesmeier also seinen kraftvollen, ausdrucksstarken Bildband "Berg ..." nennt und dafür insgesamt 16 Begriffe an eben dieses Wort Berg koppelt, stellt er klar, dass er das spezifisch Alpine der Bergdörfer und Bergbauern, der Bergbahnen und des Bergtourismus herausstellen möchte. Im Unterschied zu all den Dörfern und Bauern, Straßen und Führern außerhalb der Bergwelt.

Und eine zweite, schwierigere Aufgabe hat Wiesmeier sich gestellt: Er, der oft auch für die Werbeindustrie tätig gewesen ist, möchte explizit keine Idylle inszenieren. Weder also ein Naturparadies noch eine museale Überhöhung vorindustrieller Lebensweisen. Es geht Uli Wiesmeier - und der Autor Stefan König unterstützt ihn darin klug in seinen pointierten Aufsätzen zu jedem der Kapitel - um das immer noch Besondere der gegenwärtigen Realität in den Alpen. Dazu gehören durchaus auch Seilbahnen, Speicherseen und Schneekanonen. Aber nach wie vor noch Holzrechen, eine teilweise lebensfeindliche Natur und eine Architektur, die sich aus ihrer Umgebung heraus entwickelt hat, anstatt in sie hineingepfropft zu sein.

Das bedeutet keineswegs, dass die Fotografien Uli Wiesmeiers nicht in hohem Maß ästhetisiert und inszeniert wären. Es ist jedoch eine Form der Stilisierung, die dem Ziel des Bildkünstlers sehr nahe kommt: ein wahrhaftiges Abbild der Alpen zu präsentieren. Die maßgebliche Entscheidung Uli Wiesmeiers war es, die Sonne in seinem Band kaum unmittelbar scheinen zu lassen. Nebel, Wolken und Schlechtwetter geben in der Regel die Stimmungen vor; etliche Motive spielen mit Verhüllung und Entdeckung.

In manchen Kapiteln hat Wiesmeier sich für Bildpaare entschieden. Den Bergbauern stellt er ihr Arbeitsgerät bei, den Bergführer ihre wichtigsten Stammkunden. Radikal ist die Entscheidung im Kapitel "Bergspitzen", in dem er Gesteinsformationen kontrastiert mit der Hochhausarchitektur amerikanischer Großstädte - das ist keine originäre Idee Wiesmeiers, darauf weist er hin; bereits Luis Trenker hat von den Dolomiten auf die Skyline Manhattans überblendet in seinem Film "Der verlorene Sohn" (1934), um die Reise des Helden zu erzählen. Die Alpen sind vielerorts weniger eine Natur- als eine Kulturlandschaft, geprägt und geformt durch die Menschen. Die Verbindung von Architektur und Alpinem ist ein Sinnbild dafür. Stark sind daneben die Bergbahn-Fotografien, bei denen Wiesmeier ganz auf die Seile fokussiert, die er im Nichts des Nebels verschwinden lässt. Beeindruckend ist vor allem aber, mit welcher Sorgfalt Wiesmeier seine Protagonisten ausgewählt hat - damit sie jeweils für etwas Grundsätzliches stehen.

Uli Wiesmeier, Stefan König : Berg ... Die Alpen in 16 Begriffen. Knesebeck Verlag, München 2017. 328 Seiten, 75 Euro.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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