Reisebuch:Das kleine Glück

Lesezeit: 2 min

Petra Ahne liebt Hütten und scheut ihre Verherrlichung. Sie schreibt, dass sie Freiheit verheißen, aber auch Entbehrung: "Von einem Leben in der Hütte träumen nur die, die die Freiheit haben, sich dafür zu entscheiden."

Von Stefan Fischer

Petra Ahne erinnert sich daran, wie sie als Kind in ihrem Zimmer ein Tipi aufgebaut hat, "quasi die indianische Variante der Hütte". Das improvisierte Zelt unterteilte die Wohnung in ein Drinnen und ein Draußen. So wie es eine Hütte tut, die einfachste Form des Hauses: Sie schirmt den Bewohner von der ihn umgebenden, potenziell feindseligen Natur ab. Wobei die Natur das Baumaterial liefert. Schon in den frühesten Hütten der Menschheitsgeschichte stecke das ganze Versprechen der Zivilisation, schreibt Petra Ahne: "Der Mensch benutzt die Natur, um sie hinter sich zu lassen."

Die Journalistin hat in Brandenburg gemeinsam mit ihrem Mann selbst eine alte Hütte gekauft, diese abgerissen und eine neue errichtet - die Verwirklichung eines Traumes aus den Tipi-Tagen der Kindheit. Ein typisches Wochenend-Domizil eines Berliner Paares, das in Ahnes charmantem wie klugem Buch "Hütten. Obdach und Sehnsucht" aber scheinbar nur eine Nebenrolle spielt. Die zentrale allerdings, weil diese Hütte der Spiegel ist für alles, was Ahne über das Wesen der Hütte schreibt und was in diese simplen Bleiben hineininterpretiert wird.

Erschienen ist "Hütten" in der von Judith Schalansky herausgegebenen, inzwischen mehr als vier Dutzend Titel umfassenden Reihe "Naturkunden" des Verlags Matthes & Seitz. Schmale, bibliophil gestaltete Bücher sind das, in denen unser Verhältnis zur Natur ausgelotet wird. Die Einfachheit und Behaglichkeit von Hütten, die Naturverbundenheit und die Freiheit, die sie verheißen - all das wird häufig gepriesen. Petra Ahne hat sich dafür etliche Gewährsleute besorgt: Henry David Thoreau natürlich, den alten Vitruv, Le Corbusier, Alexis de Tocqueville. Sie selbst schätzt alle diese Eigenschaften sowie die emotionalen Aufladungen. Unterläuft diese Verherrlichungen aber immer wieder.

Das Leben in einer Hütte bedeutet schließlich in der Regel Elend und Entbehrung. Um ihm positive Seiten abzugewinnen, bedarf es einer Umdeutung. So gehört die Hütte zu den Gründungsmythen der USA, in den Gemälden von Thomas Cole etwa wird sie nicht als Verheißung auf eine bessere Zukunft inszeniert, sondern als das Glück selbst. Doch nur eine Hütte, die man hinter sich lassen kann, so Petra Ahne, wird zu einem heroischen Ort - zum Beispiel jene, in der Abraham Lincoln auf die Welt kam.

"Von einem Leben in der Hütte träumen nur die, die die Freiheit haben, sich dafür zu entscheiden", schlussfolgert die Autorin. Dann komme unter Umständen auch das subversive Potenzial einer Hütte zum Tragen. Nachzulesen etwa in Johanna Spyris "Heidi" oder D. H. Lawrences "Lady Chatterleys Liebhaber".

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: