Reisebuch:Das ist mal wieder typisch

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Auf die schnelle Tour: Beate C. Kirchner eilt im Windschatten der Bewohner durch Rio de Janeiro. Und präsentiert die Stadt dem Leser dabei vor allem als Kuriositätenkabinett.

Von Stefan Fischer

Das Leben findet in Rio de Janeiro auf der Straße statt und an den Stränden. Beate C. Kirchner jedoch schickt potenzielle Besucher der Stadt von einem Museum in die nächste Galerie, von einer Manufaktur ins nächste repräsentative Bauwerk. Rund ein Viertel der "111 Orte in Rio de Janeiro, die man gesehen haben muss", fällt in diese Kategorien. Das hat durchaus Charme, man kann schließlich nicht den ganzen Tag am Strand von Copacabana herumhängen, Rio ist mehr als Sonne und Sand. Dennoch sind etliche der ausgewählten Orte fragwürdig: ein Brücklein aus dem 16. Jahrhundert, das von Jesuiten zugleich als Aquädukt genutzt wurde, 60 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums? Eine alte Feuerwache? Ein nicht einmal zehn Meter hohes Leuchttürmchen an einer Hafenmauer, an dem eine Uhr angebracht ist, was zwar kurios, aber nicht sehenswert ist?

Man kann sich natürlich immer streiten, was in einer Stadt einen Besuch lohnt, und wird kaum einen Konsens herstellen. Die Frage ist allerdings, welches Bild entsteht, wenn man die 111 Orte aus dem Rio-Band der Endlos-Reihe (es gibt sogar eine Folge mit Leverkusens Muss-Orten) zu einem Mosaik fügt. Einerseits erscheint die Stadt vor allem als ein Kuriositätenkabinett: Bewohner der Favela Vidigal haben eine illegale Müllhalde aufgeräumt und so einen Park geschaffen - mit einem Amphitheater, in dem alte Autoreifen von der Deponie als Sitze dienen. Im Palácio do Catete, Regierungssitz bis 1960, als Brasília die neue Hauptstadt wurde, ist der Schlafanzug ausgestellt, in dem sich Präsident Getúlio Vargas 1954 getötet hat (der zugehörige Revolver ist ebenfalls zu sehen).

Andererseits hat Beate C. Kirchner eine Reihe prototypischer Orte aufgenommen, an denen Rio de Janeiro ganz bei sich ist. Vor allem sind das Restaurants, Kneipen und ein Kiosk, Plätze, an denen getanzt und musiziert wird. Diese Schauplätze stehen jedoch unverbunden nebeneinander. Das Viertel, der Straßenzug, die den Kontext bilden, sind nicht einmal als Kulisse existent, die Stadt löst sich auf. Was zählt, ist der einzelne Fleck. Der beste Sundowner, die leckersten Maniok-Crêpes, die coolsten Samba-Events: Kirchner macht Vorschläge, wo man derlei findet. Dennoch bewegt sich diese Handreichung für einen Rio-Besuch wie mit Scheuklappen durch die Stadt: hin, Rio-Gefühl aufsaugen, wieder weg.

Die 111-Orte-Reihe steht damit für eine sehr zeitgemäße Form des Reisens. Das Authentische möchte man sehen, und schnell soll es gehen. Das ist ein Widerspruch in sich. Trotzdem lernt man über eine Stadt auch in wenigen Tagen wohl mehr, wenn man sich unter die Leute mischt, anstatt die repräsentativen Bauten zu besichtigen. Wie versaut vom Tourismus die angeblich stadttypischen Hotspots im Einzelnen dann sind, ist wieder eine andere Frage.

Beate C. Kirchner : 111 Orte in Rio de Janeiro, die man gesehen haben muss. Emons Verlag, Köln 2016. 240 Seiten, 16,95 Euro.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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