Reisebuch:Bei den anderen

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Cristina Mittermeier hat sich vorgenommen, die Welt der bedrohten Völker zu schützen. Sie tut es seit Jahrzehnten, mit der Kamera.

Von Evelyn Pschak

Manch eine Karriere beginnt mit einem Scheitern. So war es auch bei Cristina Mittermeier. Die 51-jährige Fotografin schreibt darüber im Vorwort des Bildbandes "Amaze", der zwei Jahrzehnte ihres Schaffens zusammenfasst. Einer ihrer ersten Aufträge führte sie als junge Fotografin ins Amazonasgebiet - um "den vielen Tausend Indigenen, die vom Bau des geplanten Belo-Monte-Staudamms betroffen sein würden, ein Gesicht und einen Namen zu geben".

Schon seit den Achtzigerjahren regte sich Protest gegen den geplanten Bau eines Wasserkraftwerks am Rio Xingu, einem Nebenarm des Amazonas. "Das war beileibe kein gewöhnlicher Staudamm", schreibt die gebürtige Mexikanerin weiter. Damals schon sei klar gewesen, dass das Wasserkraftwerk als drittgrößtes der Welt "dem Rio Xingu das Wasser nehmen und ein riesiges Regenwaldgebiet überfluten" werde. Seit Mai 2016 laufen die Turbinen des Kraftwerks, das 2019 endgültig fertiggestellt sein und 60 Millionen Brasilianer mit Energie versorgen soll.

Mit der Kamera immer nah dran – so entstehen die Bilder von Cristina Mittermeier. Hier eine Sängerin der Tla’amin am Salish Sea in Kanada. (Foto: Cristina Mittermeier)

Mittermeier berichtet in wenigen, aber pointierten Worten von dramatischen Szenen, die sie damals am Fluss erlebte. Von einer Mutter, die ihr Neugeborenes verloren hat. Doch sie konnte den Moment nicht festhalten; "wie erstarrt" und "mit kalten Fingern" habe sie ihre Kamera umfasst - und kein Foto geschossen, erinnert sich Mittermeier. "Ein paar Monate später erfuhren wir, dass der Damm genehmigt worden war." Seither quäle sie der Gedanke, ob das richtige Bild es womöglich vermocht hätte, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und Entscheidungsträger so von ihrem Vorhaben abzubringen. "Damals schwor ich mir, nie wieder zu zaudern, sondern Aufnahmen zu machen, die etwas bewirken."

Kaugummi kauende Männer aus Papua New Guinea, aufgenommen im Jahr 2006. (Foto: Cristina Mittermeier)

Das tut die studierte Meeresbiologin seither mit Verve. Inzwischen hat Mittermeier 26 Bildbände über Umweltthemen veröffentlicht und 2015 gemeinsam mit ihrem Lebenspartner, dem kanadischen Fotografen Paul Nicklen, die gemeinnützige Umweltorganisation Sea Legacy gegründet, die sich mit fotojournalistischen Mitteln für den Schutz der Ozeane einsetzt. Vor Kurzem verlieh das Magazin National Geographic dem Naturschützerpaar den Ehrentitel "Abenteurer des Jahres 2018" für ihre Fähigkeit, Fotografie und Wissenschaft aussagekräftig und inspirierend zu verbinden.

Ein Krokodil auf Tauchgang, aufgenommen in Kuba, 2017. (Foto: Cristina Mittermeier)

Cristina Mittermeier geht nah ran, ob es sich bei ihrem Gegenüber nun um ein Pantherchamäleon aus Madagaskar handelt oder um die "Lady with the Goose", Titelbild des Fotobandes. In diesem malerischen Moment auf einem Straßenmarkt in der chinesischen Provinz Yunnan trägt eine alte Frau, die zur Minderheit der Lisu gehört, eine Gans auf ihrem Kopf spazieren. Das Tier hat es sich auf der roten Mütze bequem gemacht und richtet, rücklings ruhend und die Schwimmfüße gespreizt, ihr Knopfauge auf den Betrachter. Die "Genügsamkeit" der indigenen Völker fasziniert Mittermeier. Und diese Genügsamkeit will sie einfangen - auf dass sie dem Leser als "Pfad zu einem vollständigeren Leben" dienen möge. In ihrer fokussierten Verknappung geraten die Bildkompositionen oft zu Stillleben: die zum Trocknen ausgelegte Wäsche am Fluss Mandrare im Südosten Madagaskars; die blutigen Finger eines Robbenjägers der Gitga'at First Nation an seinem Messer; die gelb und grün leuchtende Feder-Gloriole eines Stammesmitglieds der Kayapó am Rio Xingu.

Hinter den Gesichtsbemalungen und Masken aus Holzrinde und Muscheln würde sie in den Augen ihres Gegenübers allerdings eines lesen, notiert Mittermeier: "Ich bin nicht 'der andere'. Ich bin genau wie du." Und so begründet sie die Namensfindung des Bildes "Just like you", das ihr 2006 in Papua-Neuguinea gelang. Es zeigt das bunte Gesicht eines Mannes, durch die Nase ist eine Feder gezogen, der Leser mag sich darin nicht gleich erkennen. Aber genau das sei es, sagt Mittermeier, was sie mit ihrer Arbeit darlegen wolle: "Auch wenn wir unterschiedlich aussehen, sind wir doch alle gleich."

Cristina Mittermeier : Amaze. Verlag teNeues, Kempen 2018. 256 Seiten, 80 Euro.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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