Reisebuch:Bahn frei

Lesezeit: 2 min

Leere, wo Platz für Tausende ist: Stefano Cerio fotografiert Freizeitparks in China - wenn sie geschlossen sind.

Von Stefan Fischer

Vermutlich jeder, der schon einmal in einem Vergnügungspark war, wird sich geärgert haben über die vielen anderen Besucher in diesem Park, über das Schlangestehen an Fahrgeschäften und Imbissständen, über das Durch-die-Anlage-geschoben-Werden. Und war sich deshalb sicher: Ohne alle diese anderen Menschen, die gerade auch ein Eis wollen oder Achterbahn fahren, wäre das Vergnügen um vieles größer. Aber das stimmt natürlich nicht. Wer sich bei der guten Fee einen Tag in solch einer künstlichen Welt wünscht, an dem er der einzige Besucher ist, der begeht eine Eselei: Denn ein Freizeitpark oder eine Bäderlandschaft ohne Gedränge und ohne Warterei ist ein sehr spaßfreier Ort.

Die Fotografien des Italieners Stefano Cerio aus seinem Bildband "Chinese Fun" belegen das in geradezu gespenstischer Deutlichkeit. Cerio zeigt auf seinen in Zentralperspektive aufgenommenen Fotografien, dass die Masse das entscheidende Element ist in Spaßbädern, auf Rummelplätzen und in öffentlichen Sportanlagen, auf einer Sommerrodelbahn oder in Fahrgeschäften verschiedenster Art. Blendet man die Masse aus, so wie Cerio, dessen Aufnahmen entstanden sind während der Schließzeiten all dieser Anlagen, dann bleibt wenig übrig: das stumpfsinnige Grau des Himmels, wie der Kurator Walter Guadagnini in seinem Vorwort schreibt; was einem bei Normalbetrieb wahrscheinlich gar nicht auffallen würde. Und der nackte Beton, das blanke Metall dieser Vergnügungsarchitektur, die, nicht in Funktion, schnell lächerlich wirkt. Dass Stefano Cerio diese Leere in China fotografiert hat, spielt im Grunde keine Rolle; jedenfalls sagt sie wenig aus über das Land. Kurios ist nur, dass Menschenleere in China besonders bizarr wirkt.

In der Schäbigkeit vieler dieser Motive entdeckt Nadine Barth, die "Chinese Fun" ediert hat, jedoch auch Trost. Die Gebrauchsspuren, die verblassten Farben, das Abgewohnte der Vergnügungsorte belegt die regelmäßige und massenhafte Anwesenheit von Menschen. Und lässt auf deren Wiederkehr hoffen, am kommenden Tag, in der nächsten Saison.

Auf einer der Aufnahmen ist im Hintergrund das Pekinger Olympiastadion zu sehen - Architektur, die für sich genommen etwas darstellt, die schön und beeindruckend ist. Was aber eben auch bedeutet: die nicht auf den Menschen angewiesen ist. Das Stadion besitzt auch leer eine Aura. Die Orte der Zerstreuung, die Stefano Cerio zeigt, erlangen ihre Strahlkraft indessen erst, wenn Menschen sie beleben mit ihrer Ausgelassenheit, ihren Tagträumen. Und wenn es nur bei einer kleinen Tretbootpartie auf einem künstlichen See ist.

Stefano Cerio : Chinese Fun. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2015. 128 Seiten, 35 Euro.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: