Reisebuch:An der Kippe

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Dres Balmer: Rund ums Schwarze Meer. Eine Radreise durch sieben Länder von Istanbul nach Istanbul. Rotpunktverlag, Zürich 2016. 320 Seiten, 36 Euro. (Foto: Rotpunkverlag)

Dres Balmer radelt rauchend ums Schwarze Meer herum. So entsteht ein Hybrid: einerseits ein Ratgeber für potenzielle Nachahmer, andererseits ein anekdotischer Bericht, der sich zu einer Erzählung über den unbekannten Osten auswächst.

Von Stefan Fischer

Als Dres Balmer im Juni 2013 nach Wochen im Fahrradsattel nach Istanbul zurückkehrt, flammen die Proteste im Gezi-Park auf. Die Krim, über die ihn sein Weg geführt hatte, ist da noch nicht von Russland annektiert. Gerade einmal drei Sommer liegt die Radtour des Schweizers rund ums Schwarze Meer zurück. Mit der aktuellen Gegenwart haben seine Erlebnisse trotzdem nur noch bedingt zu tun. Zu viel ist passiert in dieser Region; mit der Folge, dass solch eine Tour heute schwieriger zu realisieren ist als damals.

Veraltet ist Balmers Bericht "Rund ums Schwarze Meer" deswegen jedoch nicht zwangsläufig. Weil solche Veränderungen und Umstürze, so heftig sie auch immer sind, nicht alles verändern. Nicht die jeweilige Küche, nicht den Musikgeschmack der Leute, nicht die Infrastruktur. Dres Balmer setzt sich diesen jeweiligen Eigenheiten freudig aus. Die mehr als 5000 Kilometer lange Tour ist ein einsames Projekt - der Mittsechziger ist alleine unterwegs, und er trifft unterwegs auch keine Gleichgesinnten. Wann immer er Station macht, sucht er den Kontakt zu den Einheimischen, geht in ihre Restaurants und Bars, folgt ihren Empfehlungen. Das ist es, was ihn am nächsten Tag wieder in den Sattel steigen lässt. Wenn er dann einsam unterwegs ist, muss er sich selbst motivieren; mit Zigaretten, die er sich selbst auslobt als Belohnung, wenn er eine bestimmte Strecke oder Durchschnittsgeschwindigkeit geschafft hat. Oder auch mal mit einem Bier zur Mittagsrast.

"Rund ums Schwarze Meer" ist ein Hybrid - einerseits ein Ratgeber für potenzielle Nachahmer, andererseits ein chronologischer, anekdotischer Bericht, der sich zu einer Erzählung über den unbekannten Osten auswächst. Denn was wissen wir schon über die Republik Moldau - kein Schwarzmeer-Anrainer zwar, doch um das Donaudelta zu umfahren, muss Dres Balmer auch ein Stück durch den jungen Staat - oder über Nordossetien und selbst über die Türkei abseits von Bosporus, Riviera, Kappadokien? Über die Alpen sind schon so viele geradelt, aber durch den Großen Kaukasus und das Pontische Gebirge? Dres Balmer hat ein Abenteuer gewagt, für das er sich zwar einen Plan zurechtgelegt hatte, von dem aber zweifelhaft war, ob er aufgehen würde. Mangelnde Sprachkenntnisse, mangelhaftes Kartenmaterial - irgendwie würde es trotzdem gehen. Und es ist dann ja auch gegangen. Balmer ist wohlbehalten wieder an seinem Startpunkt in Istanbul angekommen. Neugierig bis zum letzten Tag der Tour, was sie ihm im Kleinen wie im Großen bringen würde.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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