Queensland:Über den Meeres-Spiegel

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Mit dem Kajak durch die Gewässer der australischen Whitsunday-Inseln zu schippern, ist ein schweißtreibender Weg zu paradiesischen Stränden. Auch die Schatten unter dem Boot machen nervös.

Ingo Hübner

Beim ersten Mal hat es nicht geklappt. Ist ja nichts Neues. Irgendwo klingelt ein Telefon, vom Schlaf trübe Augen wandern zum Wecker auf dem Nachttisch. 6.54 Uhr.

Am Telefon nuschelt jemand etwas von starken Winden, die vom Festland aufs Meer hinaus wehen. "We don´t want to be blown into the open sea", sagt die Stimme, die sich als Nick zu erkennen gibt. Für heute ist der Kajak-Trip also abgesagt, morgen dann der zweite Versuch. Wie lautet noch die Definition von Abenteuer?

Eine Unternehmung mit nicht immer kalkulierbarem Verlauf und Ausgang. Aber das schon bevor es losgeht?

Schnell wird morgen zu heute und Nick, der Unmengen an Gepäck und Proviant in dem schmalen Rumpf des orangefarbenen Kajaks verschwinden lässt, verkündet nebenbei, dass man nur zu zweit in See steche. Das Wetter und damit der Wellengang sei für die meist ungeübten Touristen immer noch zu unwägbar, um sie an diesem Trip teilnehmen zu lassen. Man selbst habe doch Erfahrung mit dem Kajak bei etwas rauerem Seegang, oder?

Natürlich, was soll in so einer paradiesisch anmutenden Umgebung schon passieren. Der Kerl verströmt die typisch australische "No worries"-Mentalität, und mit seinen langen blonden Haaren, den dürren Lippen und tief liegenden blauen Augen, schaut er auch australisch aus.

Ist er aber nicht.

Nick kommt aus dem kalten regnerischen England. Woher, das ist hier schnell vergessen. Schauen wir lieber auf die Seekarte, die er jetzt vor sich hält.

"Wenn wir den Hafen von Hamilton Island verlassen haben, paddeln wir durch eine Passage und halten uns dann immer im Schutz der Südküste von Whitsunday Island. Bis Whitehaven Beach, dort ist es ganz nett zum Übernachten", sagt Nick. Schlappe 15 Kilometer sind das.

Wir fahren los.

"Die Inseln sind am Ende der letzten Eiszeit, vor etwa 10.000 Jahren entstanden", unterbricht er irgendwann das monotone Glucksen der Paddel. Als der Wasserspiegel gestiegen ist - er steigt übrigens noch immer -, hat er die 110 Millionen Jahre alten Bergketten überflutet, nur deren Spitzen erheben sich noch aus dem Meer.

Die Konzentration auf das Paddeln führt zu recht eigenwilligen philosophischen Interpretationen des Gesehenen: Die Inseln wirken, als würden sie am Rausch ihrer eigenen rauen Schönheit ertrinken.

Dunkelgraue Vulkanmassen, zersplittert, ausgebleicht und ausgehöhlt am Wassersaum, überdeckt von grünen Teppichen aus Eukalypten und Araukarien. Mit mehr als 200 Millionen Jahren auf dem Buckel, sind sie so ziemlich die ältesten auf der Erde vorkommenden Bäume.

Schwitzen, paddeln, schwitzen

Diese sperrigen Urzeitgewächse geben der ganzen Szenerie einen noch archaischeren Anstrich.

Schwitzen, paddeln, schwitzen, und dazwischen noch mal schwitzen - windig und stürmisch war es leider doch nicht -, dann kommt irgendwann Whitehaven Beach in Sicht.

Der Strand fällt eindeutig in die Kategorie "Ich raube Dir den Verstand, wenn Du nicht aufpasst und die Augen öffnest". Grelles, in der Sonne fast gleißendes Weiß, davor gemütliches Meer, nicht sicher, ob es sich für smaragd- oder türkisfarben entscheiden soll. Das Ganze ist eigentlich schon jenseits von perfekt.

Doch das ist verdient, nach 15 Kilometern Schinderei und den lästigen schwarzen Schatten unter dem Kajak, die so verflucht mühelos an dem Gefährt vorbeigezogen sind. Stachelrochen seien das, hat Nick gesagt.

Jetzt sind wir in unserem Reich angelangt. Und was macht man da?

Erst mal warten, bis die Tagesausflügler wieder auf ihren Yachten und Schnellbooten verschwunden sind.

Nick entlädt das Kajak. Viel braucht der Mensch hier nicht, wer tapfer ist, schläft unter dem puren Sternenhimmel. Was er aber auf jeden Fall braucht, ist etwas zu essen, Paddeln macht hungrig. Um das Mahl kümmert sich Nick, der drauf und dran ist, sich den Namen Freitag zu verdienen.

Über der bescheidenen Flamme eines Gaskochers bereitet er Pasta mit Pesto. Feuer ist im Whitsunday Island Nationalpark strengstens verboten. Trotzdem kommt alsbald Robinson-Crusoe-Stimmung auf.

Sie schleicht sich einfach heran, von den Rändern des Bewusstseins. Wir mit unseren lächerlich winzigen Kajaks, der Laune der Natur ausgeliefert, am Strand, unterm Sternenhimmel, alkoholisch entkrampft.

Und dann das Schauspiel: Gemächlich wie ein Koala klettert der Vollmond hinter den schemenhaften Bergketten empor. Gießt einen langen, schmalen Strahl fahles Licht auf die schwarze Wasserfläche. Dort zerbricht er wie auf einem zersplitterten Spiegel.

Es ist fast, als hätte Edvard Munch zum Pinsel gegriffen, nur die Meerjungfrau fehlt. Berauscht bettet man sich schließlich, nur durch eine Isomatte vom anschmiegsamen Sand getrennt.

Mitten in der Nacht wird etwas oder jemand geschlachtet.

Zumindest klingen die unsäglich qualvollen Schreie, die aus dem hinter dem Strand düster aufragenden Busch dringen, so. Kamen bei Robinson Crusoe nicht auch Kannibalen vor? Schlafsack über den Kopf, denselben ausschalten, weiterschlafen!

"Was da nachts so grausam tönt, ist ein kleiner Vogel namens Bush Tucker Curlew", brummt Nick am nächsten Morgen am Gaskocher, auf dem der Topf mit Kaffeewasser brodelt.

Langsam überlagert der Duft des Kaffees in der Nase den morgendlichen Salzgeruch, der sich an dem noch jungfräulichen Strand breitgemacht hat. Bald wird die Sonne brennen, im Schatten der Araukarie stört das jedoch nicht.

"Was wollen wir heute machen?", fragt Nick, nachdem er sein Frühstück doch recht wortkarg zu sich genommen hat. Am Strand liegen, mit den Delfinen spielen, schnorcheln oder auf die andere Seite der langgezogenen Bucht paddeln, eine Anhöhe erklimmen, um Whitehaven Beach und Hill Inlet von oben zu sehen?

So viele Fragen im Paradies.

Schließlich fällt die Entscheidung für den Inselmarsch. "Wir sind früh dran, da haben wir noch keine Tagestouristen im Nacken", legt Nick noch mal nach. Das Kajak wieder klarmachen geht schnell, zu schnell für einen Ort wie diesen. Aber dann erlaubt Nick doch noch ein morgendliches Bad.

"Das erfrischt und bringt die müden Muskeln wieder auf Trab", ist sein lapidarer Kommentar. Als ob es keinen anderen Grund dafür gäbe, sich hier der Natur hinzugeben!

Tatsächlich hat sich in die Arme, die Schultern und die Brust ein lähmendes Gefühl namens Muskelkater geschlichen, das auch, trotz des angenehm kühlen Meeres, nicht daran denkt zu verschwinden.

Aber egal, im mineralwasserklaren Wasser zieht schon wieder ein schwebender Schatten seine Bahnen. "Stachelrochen lieben das seichte Wasser", ruft Nick aus fünf, sechs Metern Entfernung herüber. Die Taucherbrille fliegt auch gleich herüber. Dann geht es dem Rochen hinterher.

Wie ein Raumschiff mit einer organischen Außenhülle gleitet er mit wellenartigen Bewegungen schwerelos durch sein Element. Ziemlich groß ist er, vielleicht hat aber auch die Brille die Wahrnehmung verzerrt.

"Nein, die Rochen können eine Spannweite von über zwei Meter erreichen", behauptet Nick später im Kajak. In angemessener Entfernung zieht links Whitehaven Beach vorbei, der gar nicht mehr aufhören will.

Millionenfacher Mitteilungsdrang der Insekten

Dann geht es um einen Sporn namens Tongue Point herum und die Landschaft wird wieder felsiger. Einzelne Araukarien krallen sich jetzt an dem scheinbar nackten Fels fest.

"Da vorne, wo wieder Sand zu sehen ist, beginnt der Fußweg", Nick deutet mit dem Paddel in die beschriebene Richtung. Eine halbe Stunde später liegt das Kajak wieder am Strand.

Neben einer Hinweistafel der Parkverwaltung führt ein schmaler Pfad in den Busch hinein. Die Luft ist drückend und irgendwie schwer von der Geräuschkulisse eines millionenfachen Mitteilungsdranges der hier lebenden Insekten.

Zum Glück ist der Anstieg nur kurz, schon bald gibt eine Aussichtsplattform den Blick frei auf Whitehaven Beach und im Vordergrund Hill Inlet.

"Das ist der Weg, den wir gepaddelt sind", presst Nick jetzt etwas kurzatmig hervor. Was ihm den Atem nimmt, ist nicht so ganz klar, die Anstrengung oder die umwerfende Sicht. Ein landeinwärts gerichteter Riesen-Axthieb hat den grünen Inselteppich geteilt und dabei eine Schneise hinter einer halbkreisförmigen Bucht geschaffen, die sich mit Wasser gefüllt hat.

Landschaftliche Ikone

Der ständige Strömungs- und Tidenwechsel ordnet seither den dicht unter der Meeresoberfläche lagernden und weiß schimmernden Sand immer wieder neu. So wie bei diesen Drehbildern aus den 90ern, die mit Flüssigkeit und verschiedenfarbigem Sand gefüllt waren.

Hill Inlet sei eine der meistfotografierten landschaftlichen Ikonen Australiens, erklärt Nick. Und ja, es ist schön, der Anblick gehört einem allein.

Die folgende Nacht verläuft ohne Zwischenfälle, es sei denn, es ist erwähnenswert, dass sich andere "Strandschläfer" und Kajaker angeschlichen haben, mit dem Ziel, etwas von den Weinvorräten in Nicks Kajak zu ergattern.

Nett geplaudert wurde auch noch und dabei die Erzählungen vom guten Captain James Cook herumgereicht, wie er 1770 die Inseln erkundet und Bekanntschaft mit den Bewohnern gemacht hat.

Ihre Geschichte näher zu ergründen ist der Plan für den nächsten Tag. Auf Hook Island, der Nachbarinsel von Whitsunday Island, haben die Aboriginies Zeugnis von sich in einer Höhle abgelegt, die über die Bucht von Nara Inlet zu erreichen ist.

Zunächst gilt es aber, das Kajak durch die Meerespassage zwischen den beiden Inseln zu bugsieren. Das ist gar nicht so einfach bei Wind und Wellengang.

Nick brüllt jetzt ein bisschen: "Nicht nachlassen, sonst werden wir abgetrieben." Das Paddeln ist nicht einfach, wenn man bereits das Gefühl hat, dass die Arme abfallen. Auf jeden Fall kann so ein kleiner Seegang unheimlich sein, denn die Verbundenheit mit dem Element schlägt schnell in Ohnmacht um.

Nara Inlet ist dagegen für seine Schutzfunktion vor einer stürmischen See bekannt, deswegen dümpeln hier immer Yachten. Am Ende dieses fjordartigen Einschnittes wartet der Marsch zu den Höhlenzeichnungen der Ngaro-Aboriginies, die die Inseln wohl schon vor 8.000 Jahren bewohnten.

Viel von ihrer Geschichte ist nicht bekannt, und auch die Höhlenzeichnungen, die wie rote Schildkrötenrücken oder Fischernetze aussehen, geben wenig Aufschluss. "Man hat noch nicht einmal herausgefunden, welche Bedeutung die Zeichnungen haben", sagt Nick. Die Ngaro besaßen offenbar aber ganz gute handwerkliche Fähigkeiten.

Knochenfunde von Walen in Höhlen lassen darauf schließen, dass sie bereits Kanus gebaut haben, um die Tiere zur Strecke zu bringen, erzählt er. Auf dem Rückweg kommt der tragische Teil der Geschichte.

"Der Stamm, der hier lebte, wurde von weißen Siedlern massakriert. Eine Mythologie sagt, dass in manchen Nächten die Geister der Toten in den Bäumen raunen." Nick setzt ein ernstes Gesicht auf, "es gibt immer wieder Segler, die von fremdartigen Geräuschen nachts in der Bucht berichten." Das Paddeln zum nächsten Zeltlager geht plötzlich merklich schneller.

Curlew Beach liegt an der "Einfahrt" zum benachbarten Macona Inlet. Hier staksen die Bush Tucker Curlews in ihrem tarnfarbenen Federkleid ganz ungeniert in der Gegend herum.

Mit den Schreien lassen sie sich wieder Zeit, bis es Nacht wird.

Aber dann legen sie los, markerschütternd. Nick bietet Ohrenstöpsel für alle Fälle an.

Nein, wach bleiben und das Sternenmeer bestaunen, ist auch in Ordnung.

Informationen

Anreise: Qantas Airways fliegt täglich von Frankfurt über Singapur nach Brisbane. Von dort weiter zu den Whitsunday Islands (Flughafen: Hamilton Island). Preis inkl. zwei inneraustralische Flüge ab ca. 930 Euro, www.qantas.de

Unterkünfte und Touren: Hamilton Island ist die touristisch am stärksten erschlossene Insel, mit Übernachtungsmöglichkeiten vom einfachen Hotel bis zur Luxusherberge, E-Mail: vacation@hamiltonisland.com.au, www.hamiltonisland.com.au. Auch buchbar über den Veranstalter Best of Travel Group, DZ ab 85 Euro pro Person/Tag, www.botg.de Wer es abgeschieden und luxuriös mag, ist auf Hayman Island gut aufgehoben, E-Mail: reserve@hayman.com.au, www.hayman.com.au. Auch buchbar über den Veranstalter Airtours, DZ ab 184 Euro pro Person/Tag, Tel. 0180 5988 288, www.airtours.de

Seakayaking Whitsunday Islands bietet von Hamilton Island aus Halbtagestouren und Tagestouren an. Mehrtägige Trips nur auf vorherige Anfrage, E-Mail: tourdesk@hamiltonisland.com.au, www.kayakwhitsunday.com

Salty Dog Sea Kayaking in Airlie Beach unternimmt vom Festland aus Tagestouren bis hin zu mehrtägigen Expeditionen. Auf Wunsch auch individuelle Touren, E-Mail: saltydog@mackay.net.au, www.saltydog.com.au

Weitere Informationen: Tourism Australia, Neue Mainzer Str. 22, 60311 Frankfurt, Tel. 069/9509 6173, Queensland, www.queensland-europe.com

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