Potsdamer Platz:Das kühle Herz Berlins

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"Es gibt hier keinen Ort, der so modern ist": Auch wenn nicht mehr viel an das Flair vergangener Zeiten erinnert, der Potsdamer Platz ist eine Verlockung für Investoren - und Besucher aus aller Welt.

Philip Grassmann

Es gibt da diese Bewegung, die fast jeder macht, der das Sony-Center betritt. Automatisch wird der Blick emporgesogen zu der gigantischen, kreisrunden Dachkonstruktion mit den weißen Sonnensegeln. Es gibt Menschen, die so versunken dreinblicken, als stünden sie in einer Kathedrale und nicht auf einem zugigen Platz, der vor allem von Glas und Stahl umschlossen ist.

Sony Center & Co
:Der Potsdamer Platz in Berlin

Nach Jahrzehnten als innenstädtische Brachlandschaft wurde der Potsdamer Platz zur Touristenattraktion in Berlin.

600 Millionen Euro hat der Koloss gekostet, und nun, nach nur acht Jahren, hat Sony das riesige Areal an eine Bank, einen Immobilienfonds und eine US-Gesellschaft verkauft. Ende März wechseln die insgesamt acht Gebäude den Besitzer. Über den Preis wird offiziell nichts gesagt, die Rede ist aber von einem Betrag etwa in Höhe der Baukosten.

Der Daimler-Konzern, zweiter Großbauherr am Potsdamer Platz, hat seine Immobilien schon vor ein paar Monaten losgeschlagen - für 1,4 Milliarden Euro. Der Potsdamer Platz, dessen Wiederaufbau in den neunziger Jahren für die beiden Konzerne auch ein symbolisches Bekenntnis zum wiedervereinten Berlin war, liegt nun in den Händen kühl rechnender Finanzinvestoren, die vor allem eines wollen: ihr Geld verdienen. Auch wenn hier nicht mehr viel an das Flair vergangener Zeiten erinnert.

Im 18. Jahrhundert war der wohl berühmteste Platz Berlins lediglich eine staubige Kreuzung: Alle größeren Straßen aus dem Westen trafen vor dem damaligen Potsdamer Stadttor zusammen. Erst hundert Jahre später entwickelte sich daraus ein Ort, der zu einem Symbol für die wilden zwanziger Jahre in Berlin wurde. Der Potsdamer Platz war Künstler- und Literatentreff, Amüsier- und Rotlichtviertel und nebenbei noch die verkehrsreichste Kreuzung Europas. Diese Kollision war Ursprung für den Mythos vom Potsdamer Platz. Im Kalten Krieg herrschte dort fast dreißig Jahre lang Todesstille; erst nach der Wende wurde die einstige Nahtstelle zwischen Berlin-West und Berlin-Ost mit ihren neuen Gebäuden wieder zu einem Wahrzeichen, diesmal des wiedervereinten, des neuen Berlins.

Rustikales im High-Tech-Turm

IIm dritten Stock des Sony-Centers sitzt Christoph Engler hinter riesigen Glasscheiben und blickt auf den ovalen Platz unter sich. Er trägt kurze, in der Mitte hochgebürstete blonde Haare und sieht ein wenig bleich im Gesicht aus; so wie jemand, der nachts lange arbeitet. Christoph Engler ist Restaurant-Manager im Lindenbräu, dem wohl größten Restaurant im Sony-Center, 450 Plätze gibt es drinnen und nochmal 450 Plätze draußen, natürlich nur im Sommer.

Hinter der anonymen Glasfassade verbirgt sich eine rustikale Bierkneipe: hölzerne Tische, einfache Stühle. Das Sudhaus steht mitten im Lindenbräu, es reicht über zwei Etagen, der Läuterbottich ist sogar mit Sterlingsilber verkleidet. Dort wird in Lizenz bayerisches Weißbier gebraut. Christoph Engler sagt: "Wir sind so etwas wie ein Ruhepol in dieser supermodernen Architektur."

Das Lindenbräu ist ein Ort, an dem man sehen kann, wie dieser Potsdamer Platz funktioniert. 70 Prozent der Gäste sind Touristen. Die Speisekarte ist in sieben Sprachen zu haben. Das Lindenbräu legt Wert darauf, das günstigste Restaurant der Gegend zu sein. Damit das so bleibt, schwärmen zweimal im Jahr Mitarbeiter aus, um Preise zu vergleichen.

Als Christoph Engler als Kellner hier anfing, hatte er in den zehn Jahren davor in 30 verschiedenen Kneipen, Bars und Restaurants gearbeitet. Acht Jahre ist das jetzt her. Anfangs sollte im Lindenbräu hauptsächlich Bier verkauft werden. Inzwischen werden an Spitzentagen 2500 Essen bestellt. "Als wir anfingen, konnte niemand wissen, ob dieser Platz funktioniert", sagt Engler. Diese Frage ist nun geklärt: "Es gibt in Berlin keinen Ort, der gleichzeitig so modern ist und so gut angenommen wird."

Lesen Sie auf der folgenden Seite, warum Berliner und Touristen zum Brunchen in das Ritz-Hotel strömen und dort Hummer zum Frühstück bestellen.

Acht Millionen Besucher pro Jahr strömen in die Kinos, Restaurants und Geschäfte. Der Massenbetrieb im Multiplex-Format, das ist die eine Seite des Potsdamer Platzes. Doch es gibt an diesem Ort mit seiner ebenso kühlen wie funktionalen Architektur auch großstädtische Exklusivität. Das ist die andere Seite: Man muss nur das Sony-Center verlassen, den gläsernen, 103 Meter hohen Bahn-Tower passieren und einmal die Straße überqueren. Dann steht man in der Lobby vom Hotel Ritz-Carlton und fühlt sich nach der zugigen Hightech-Atmosphäre so, als werde man plötzlich sanft in den Arm genommen. In einer Stadt, in der es zum Lebensgefühl gehört, sich ständig gegenseitig herumzuschubsen, ist das zur Abwechslung ein durchaus angenehmer Eindruck.

Hummer zum Frühstück

Man steht also in der Lobby und lässt den Blick schweifen über tiefe Leder-Fauteuils, den offenen Kamin, die marmorierten, goldverzierten Säulen und die elegant geschwungene Treppe. "Die Halle", sagt Thorsten Ries, "ist das Gesicht des Hotels." Er trägt einen perfekt sitzenden dunkelblauen Anzug, dazu ein altrosafarbenes Hemd mit passender Krawatte. "Niemand hat geglaubt, dass sich ein Luxushotel gegen die anderen etablierten Luxushotels durchsetzen kann", sagt der Generaldirektor vom Ritz-Carlton. Eröffnet wurde das Haus vor vier Jahren, damals waren das Adlon oder das heutige Regent längst etabliert. "Aber es ist gelungen. Das zeigt, dass der Potsdamer Platz funktioniert."

Mit Zimmerpreisen ab 400 Euro für eine eines der 302 Zimmer und Suiten gehört das Ritz-Carlton zu den Top-Adressen in der Hauptstadt. Zwar sind 60 Prozent der Gäste Geschäftsleute, die meist bei den umliegenden Anwaltskanzleien, bei der Bahn oder bei Daimler zu tun haben; nirgendwo sonst in der Hauptstadt finden sich wohl mehr leitende Konzernmitarbeiter auf so wenigen Quadratmetern. Das Ritz-Carlton profitiert von der Berlinale und den vielen Filmpremieren im Sony-Center. Robert de Niro, Goldie Hawn, Leonardo di Caprio, Mario Adorf oder die Teenager-Stars von Tokio Hotel sind hier abgestiegen. Die Wachstumsraten sind zweistellig. Im Ritz-Carlton hat man es wegen der guten Geschäftslage nicht nötig zu akzeptieren, was Stars anderswo gerne verlangen: berühmter Name gegen kostenloses Logis. "Wer bei uns wohnt, zahlt dafür auch", sagt Ries. Es gibt da keine Diskussion.

Sonntags ist Brunch im Ritz-Carlton. Es ist einer der teuersten in Berlin, und wer etwas auf sich hält, hält sich an Hummer und Champagner. Man sieht dann Geschäftsleute oder amerikanische Touristen, neureiche Berliner und Vertreter der örtlichen B-Prominenz. Es gibt 165 Plätze, und sie sind immer ausgebucht. Der neue Potsdamer Platz hat ganz offenkundig seine Rolle in der Hauptstadt gefunden. Er hat nichts mehr mit dem alten Mythos zu tun. Einerseits. Aber das ist andererseits auch nicht mehr notwendig.

© SZ vom 11.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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