New York:Stress und die City

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Christmas Shopping in New York? Alles andere als Winterwunderland! Außer es schneit. Eine Einkaufstour.

Tanja Schwarzenbach

Sightseeing

Auf Einkaufstour in New York - nicht immer das reine Vergnügen (Foto: Foto: AFP)

Touristen reisen in der Weihnachtszeit nach New York, um zu shoppen, aber sie sagen, sie sind gekommen, um die Werke von Richard Prince im Guggenheim Museum anzusehen. Tatsächlich gehen sie auch in die Ausstellung, um sich für den Rest ihres Aufenthalts sehr kultiviert zu fühlen.

Danach pilgern sie zu jenem Platz, auf dem einst das World Trade Center stand. Für ein paar Minuten blicken sie auf die trostlose Baustelle, die bei dem grauen New York-Wetter noch trostloser aussieht, und versuchen sich hineinzufühlen, wie es damals war am 11. September.

Doch es ist kalt und laut und die Fotos, die vor einem Jahr noch am Zaun hingen und Gesichter von Betroffenen zeigten, sind weg. Stattdessen eine lange Liste von Namen und Schilder der Hafenbehörde, die für den Neubau wirbt.

Man könnte jetzt eine Führung buchen, bei der alles zu 9/11 erklärt wird und eigentlich würde man das auch gerne machen, ganz ehrlich, aber es ist kalt. Und grau. Und eigentlich wäre man jetzt auch gerne im Warmen.

Century 21

Gegenüber glücklicherweise: "The #1 Discount Store in New York", das Kaufhaus Century 21. Es ist vielleicht ein wenig unpassend, sich von einem Ort des Unglücks zu einem Ort des Einkaufsglücks zu bewegen, aber so liegen die Dinge. Rechts die Baustelle, links das Kaufhaus.

Das Gebäude gilt für New Yorker Verhältnisse als historisch, es ist über 100 Jahre alt und der größte Ableger der Designer-Discount-Kette. Selbst Carrie Bradshaw kam in einer der "Sex and the City"-Folgen hierher. Das Kaufhaus hat also Sightseeing-Charakter.

Unten, in der Bettwäsche- und Kofferabteilung, geht es noch ganz ruhig zu. Die Touristen, die die Rolltreppe hinunter fahren, wissen noch nicht, dass sie einen Koffer kaufen werden. Aber er ist unschlagbar günstig! Also müssen sie ihn von nun an mit sich herumtragen, auch durch die anderen Stockwerke, in denen sie noch nicht waren.

Im Erdgeschoss und in der ersten und zweiten Etage schieben sich Menschen durch die Regalreihen. Sie sehen ein bisschen irre aus und halten alle möglichen Dinge in der Hand: Unterhosen, Ledergürtel, Krawatten, T-Shirts, Pullover, Kleider, ganz egal, Hauptsache irgendwas ergattert - von Dolce & Gabbana, Yves Saint Laurent oder Calvin Klein.

Vom Kleid hängt ein Fetzen weg? Macht nichts, kann man daheim wieder festnähen. Die Schuhe sind eine Nummer zu groß? Müssen eben dicke Socken her. Die Würde schrumpft mit dem Discount. Aus den Lautsprechern dudelt Weihnachtsmusik.

Sale in Soho

Soho liegt ein Stück weit entfernt, doch davon lassen sich ambitionierte Touristen nicht abschrecken. Sie holen sich einen Kaffee bei Starbucks. Er weihnachtet sehr, mit aufgemalten Eiskristallen auf dem Pappbecher.

Reiselustig? Auf der Karte finden Sie Hotels für Familien, Singles und Kulturreisende...

Schon immer mal wollten die Besucher diese vorweihnachtliche Stimmung in New York erleben. Schneegestöber! Schlittschuhlaufen am Rockefeller Center! Eine Liebeserklärung unterm Christbaum! So haben sich das jedenfalls die Frauen vorgestellt.

Die Wirklichkeit sieht erst mal anders aus: Menschenmassen am Broadway, Nieselregen und Dauergebimmel der Heilsarmee. Ihre Mitarbeiter haben sich an allen wichtigen Shoppingposten New Yorks aufgestellt und machen mit einer schrillen Glocke auf sich aufmerksam. Damit die Passanten spenden. Die Passanten aber würden ihnen am liebsten die Glocke um die Ohren hauen.

Die Touristen bahnen sich ihren Weg durch das Gedränge. Meist frieren sie und haben rote Nasen. Die New Yorker hingegen sind sehr dick eingemummelt. Sie tragen warme Mäntel oder rechteckig anmutende Daunenjacken, und schieben sich Schal und Mütze ins Gesicht.

In angesagten Restaurants können sie die unansehnliche Verpackung ohnehin an der Garderobe abgeben. Darunter kommen bei den Frauen zum Vorschein: eng anliegende Hosen mit schwingenden Oberteilen aus Seide. Oder: kurze Strickkleider mit blickdichten Strumpfhosen, gerne aus Kaschmir. Dazu Pullis aus Kaschmir. Selbst die Babys im Kinderwagen tragen Kaschmir.

Östlich des Broadways, an der Lafayette Avenue oder in der Prince Street, gibt es individuelle Läden (und auch Kultur - das New Museum of Contemporary Art an der Bowery), aber die Touristen zieht es in den Westen, zum West Broadway.

Bodenständiges statt Glamour

Dort reihen sich die Boutiquen namhafter Marken aneinander und werben mit Ausverkäufen: Armani, DKNY... Die Modemarke DKNY ist amerikanisch, und da die New York-Besucher ein amerikanisches Weihnachtsgeschenk daheim unter den Christbaum legen möchten, gehen sie in den Shop.

Es stellt sich heraus, dass die Designer von DKNY nicht besonders originell sind, eher bodenständig. Doch weil die Touristen jetzt auch Kaschmir wollen, beschließen sie, dass bodenständiger Kaschmir was hermacht. Der schwarze Kaschmir-Pullunder mit Wasserfallkragen ist reduziert. Ursprünglich 245 Dollar, jetzt 116 Dollar und davon gehen noch mal 30 Prozent weg, steht auf dem Schild.

Eine Frau fragt die Verkäuferin, ob es den wollweißen Pullunder auch in Small gibt. "Nein, aber Sie haben einen schwarzen in Small gefunden? Das ist toll! Small war zuerst weg." Das ist eine Verkaufsstrategie. Vielleicht aber auch nicht.

Die Frau gerät ins Schwitzen, im Kopf poltern offensichtlich Zahlen. Minus 30 Prozent macht 84 Dollar. Umgerechnet: 57 Euro! Die Dame sieht recht k.o. aus. Die Frisur ist längst im Eimer, das Make-up hat sich aufgelöst - und wen sieht sie da bei den Stiefeln? Einen Bekannten aus Deutschland, das hat gerade noch gefehlt. Unauffällig stellt sie sich hinter den Kaschmir-Ständer.

Bergdorf Goodman

Es geht weiter zur 5th Avenue - ein bisschen Romantik, etwas Luxus, sich einmal fühlen wie eine Lady von der Upper East Side! Vielleicht kommt dieses Gefühl an einem warmen Frühlingstag auf, nicht aber kurz vor Weihnachten.

An jedem Straßenübergang stehen Polizisten, um die Touristenmassen sicher über die Kreuzung zu bringen. Das einzig Erheiternde: Ein riesiges, dreidimensionales, leuchtendes Schneekristall, das über der Kreuzung an der Ecke 57. Straße hängt.

Lange Warteschlange vor dem Shopping-Erlebnis

Auch hier stauen sich Autos und Busse, es riecht nach Abgasen. Wegen Überfüllung versperrt ein Türsteher vor dem Abercrombie&Fitch-Geschäft potentiellen Kunden den Eingang. Es hat sich eine lange Warteschlange gebildet. Geht jemand hinaus, darf auch wieder jemand rein.

Das muss dokumentiert werden für die Freunde daheim. Klick! Auf zwei Drittel des Fotos werden Köpfe von Menschen zu sehen sein, die sich just in diesem Moment vorbeigeschoben haben.

Ein paar Häuser weiter das Luxuskaufhaus Bergdorf Goodman. Die Weihnachtsdekoration ist gewöhnungsbedürftig: weißgefärbtes Astgestrüpp und goldfarbene Leuchter. Eine kleine Ledertasche kostet hier 3000 Dollar, ein Lidschatten von Shu Uemura nur 20.

Deshalb drehen die wenigen Touristen, die sich hineingetraut haben, eine kurze Runde bei den Accessoires im Erdgeschoss und verschwinden dann auf flauschigem Teppich ins Beauty Level im Tiefparterre.

Dort sitzen perfekt gekleidete New Yorkerinnen auf Hochstühlen und lassen sich von Mitarbeitern edler Kosmetiklinien wie Chanel schminken. Die Verkäuferinnen haben indes ihr schönstes Lächeln aufgesetzt. Denn mitten im Raum steht plötzlich: Dustin Hoffman. Er hat silbergraues Haar und trägt ein weißes Hemd zum schwarzen Anzug.

Keiner weiß, warum er hier ist. Den feinen, nun sehr aufgeregten Damen New Yorks fallen auf die Schnelle auch keine besseren Sätze ein als "Mister Hoffman, Sie sind mein Lieblingsschauspieler!" Dann kurzes Händeschütteln, und die Nächste in der Reihe ist dran. Man denkt, Hofmann sei der einzige Mann im Beauty Level, aber es gibt noch einen. Er drückt dem Schauspieler gerade einen Kuss auf die Wange. Hoffman schaut verkniffen.

Apple

Am liebsten würden deutsche Touristen jetzt nach Hause simsen "Rate mal, wen ich gerade gesehen habe", doch Zuhause ist es schon nach Mitternacht.

Es gäbe noch eine Menge anderer Luxuskaufhäuser zu besichtigen, Barneys zum Beispiel, aber da es davon auch Ableger in weniger überfüllten Vierteln wie Chelsea gibt, mit Mode, die erschwinglicher ist (Marc by Marc Jacobs, Kate Moss for Topshop), wird das Luxusshoppen vertagt.

Nur einen Block entfernt, leuchtet dafür in der 5th Avenue der gläserne Apple-Pavillon. Er sieht aus wie ein Eiswürfel - und so fühlen sich auch die Touristen, die aus der Kälte hereinkommen.

Sie haben eine lange Wunschliste aus Deutschland bei sich, denn die schlauen Freunde daheim haben kurz vor dem Abflug herausgefunden, dass der iPod nano in den USA nicht 149 Euro, sondern 149 Dollar, also etwa ein Drittel weniger kostet.

Der eigentliche Laden ist unterirdisch und hat 24 Stunden täglich geöffnet, sieben Tage die Woche. Natürlich kann man dort auch das iPhone ausprobieren und es zehn Mal um die eigene Achse drehen. Es ist toll! Weil es aber 399 Dollar kostet, beschließt man, dass es zu unhandlich ist für ein Telefon.

Der Weihnachtsbaum

Ein richtiges Weihnachtsgefühl ist bisher nicht aufgekommen, deshalb gehen die New York-Besucher zum Rockefeller Center. Wo sonst auf der Welt könnte man sich weihnachtlicher fühlen als dort - beim Öko-Christbaum und der Schlittschuhlaufbahn?

Es wird schnell klar: überall. Der Baum sieht weniger imposant aus als im Fernsehen, eigentlich mickrig. Es drängen sich auf dem Platz davor unzählige Menschen und halten mit ausgestreckten Armen ihre Kameras in die Luft, um wenigstens den Wipfel aufs Bild zu bekommen. Jetzt könnte man Schlittschuhlaufen gehen, doch die Füße schmerzen. Man könnte ausrasten.

Aber plötzlich schneit es.

Dicke, schöne Flocken.

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