Es gibt eine Grundregel, die Urlauber an deutschen Küsten besser beherzigen: Das Wetter gilt es im Auge zu behalten. Immer und überall. Wenn man sich etwa an der Ostsee im Strandkorb fläzt und der Himmel wird dunkel - schleunigst die Sachen packen und zusehen, vor dem gewaltigen Guss nach Hause zu kommen.
Nur ich bleibe heute mal faul liegen, als es düster wird. Es kommt auch kein Regen, sondern die Nacht. Mit etwas Glück sogar der eine oder andere Stern. Und auf alle Fälle die nötige Bettschwere. Seeluft macht verdammt müde. Aber das ist Sinn der Sache. Ich liege schließlich im ersten Schlafstrandkorb der Welt. Auf einer dicken Matratze, die jeder Prinzessin auf der Erbse gefallen könnte.
Am Strand schlafen. Mehr Freiheit geht nicht. Vor 25 Jahren hatten mein Freund und ich zuletzt die Isomatten ausgerollt, am Strand von Tulum in Mexiko. Das Meer rauschte, die Milchstraße leuchtete mit dem Mond um die Wette und wir fühlten uns jung, verwegen, eins mit der Natur. Der Rücken freilich verzieh noch alles, da wäre ich mir heute nicht mehr so sicher. Auf pikende Sandfliegen und Kriechtiere verzichte ich auch gerne. Ein Fall für den Schlafstrandkorb. Fürs gedeckelte Abenteuer. Dafür checke ich um 17 Uhr in Scharbeutz ein, schreite mit meiner Reisetasche durch den weichen Sand und entdecke mein Quartier sofort: ein wie platt auf den Rücken gefallener Riesenkorb, gleich hinter der Düne. Die Persenning, eine Art Cabriodach. Darunter: die Liegehöhle.
Der Strandkorb macht echt noch Karriere. Seit er 1882 in Rostock eigentlich als Sonnen- und Windschutz für eine Rheumapatientin erfunden und als Wäschekorb verspottet wurde, seit zu DDR-Zeiten sogar die "Strand-Platte" auftauchte, eine Sperrholz-Version mit Phenolharz-Haube. Und jetzt der Schlafkorb. Ich hopse Probe auf der gut 40 Zentimeter dicken Matratze, schmeiße mich zwischen die Bettdecken, schaue durch die zwei Bullaugen in den Seitenteilen, knipse die eingebauten Nachttisch-LEDs an und aus. Ein paar Spaziergänger lugen neugierig in mein Schlafzimmer. Sie in Anoraks und wetterfesten Wanderhosen. Ich im Federbett am Strand. Himmel, wie dekadent. Ein Anflug von Scham überkommt mich. Ich wische ihn weg, zusammen mit ein paar Sandkörnern auf der Hotelbettwäsche. Außerdem: Glamping - Camping mit Glamourfaktor in schicken Baumhäusern oder Wohnwagen - ist total angesagt. Die Wildnis im Luxuslook. Und überdies: Muss ich denn die Heldin sein? Ich liebe Bequemlichkeit.
Die hat hier allerdings ihre natürlichen Grenzen: Nach dem Joggen gibt es nur die Stranddusche, und die ist ziemlich kühl. Dafür kann die Ostsee nichts. Über mangelndes Frischegefühl danach kann ich jedenfalls nicht klagen. Zum Essen beim Italiener auf der Düne nehme ich Nachtcreme und Zahnbürste mit. Ein zweites Wasser nach der Pizza verkneife ich mir. Die Nacht ist lang, das öffentliche Klo steht an der Promenade.
Die Sonne ist untergegangen, im Abenddämmerlicht klettere ich in meinen Korb. Die letzten Spaziergänger verlassen den Strand. Einfach so am Strand zu schlafen ist verboten. Ich dagegen habe die Lizenz zu bleiben. Die Ostsee gehört uns: den Möwen, Enten und mir.
Mein Meer, mein Strand, mein Königreich. Mein Alles. Aus meinem Kissenpanzer heraus betrachte ich die Wellen. Das Meer rauscht ganz schön laut, wenn sonst nichts mehr zu hören ist. "Hast du keine Angst?", haben mich meine Freunde gefragt. Ich frage mich gerade das Gleiche. Bisschen spät für Pfefferspray oder Küchenmesser. Und für die Zusatzbuchung eines Bodyguards. Noch habe ich selbst alles im Blick, ein paar Sterne inklusive. Mit offenem Verdeck zu schlafen, traue ich mich allerdings doch nicht. Ich ziehe die Persenning über den Korb, befestige sie von innen mit ein paar Gurten. Ein paar Tropfen fallen. Das Dach hält dicht. Es schüttet jetzt sogar ganz ordentlich. Durch das runde Panoramafenster am Fußende schaue ich aufs Meer, die Schaumkronen leuchten im Mondlicht. Hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber: So ein Schauer am Strand hat was.
Kuschelig, gemütlich. Herrlich. Ein Kojengefühl. Gut, die Ostsee ist nicht die Südsee, die dicken Decken sind sinnvoll, die fette Matratze ist es auch. Aber das Meer ist herrlich nah, die Wellen, der Sand. Ein paar Möwen schreien. Wo ist eigentlich meine Schlafmaske? Himmel, ich werde alt.
Die Nacht ist kurz, das macht das helle Licht im Norden. Es ist sechs Uhr, als ich aufwache. Irgendwann laufen die ersten Jogger vorbei und ein paar Strandwanderer. Die meisten wollen wissen, wie die Nacht so war. Eine nette Dame bringt mir sogar einen Kaffee und ein Croissant vorbei. Eine gute Tat: Frühstück beim Italiener auf der Düne ist inbegriffen, gibt es aber erst ab neun Uhr.
Whatsapp-Nachricht an meine erwachsenen Kinder: "Mutter hat am Strand geschlafen. Mit Meeresrauschen und Sternegucken." Dürfen mich ruhig mal cool finden. Ist ja immerhin die halbe Wahrheit. Der Rest hat Zeit bis morgen.
Eine Nacht im Schlafstrandkorb kostet zwischen 39 und 85 Euro, je nach Paket. Alle Standorte im Internet: www.ostsee-schleswig-holstein.de/strandschlafen-ostsee.html