Neulich in Franken:Mein Kekskumpel

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Nils ist vier, man trifft ihn in Sommerach im Gasthof des Hotels Weißes Lamm. Mit ihm kann man sich prima übers Älterwerden unterhalten. Und übers Daheimsein in der weiten Welt. Er weiß Bescheid - und gibt gerne Tipps.

Von Stefan Fischer

Diese Geschichte handelt von einer Freundschaft, und sie beginnt auf einer Herrentoilette. Nils steht mit heruntergelassener Hose vor mir. Mit der lässigen Unbedarftheit eines Vierjährigen, der noch keinen Schambegriff hat, zieht er sie hoch. Wenig später rumpelt es zwei, drei Mal im angrenzenden Waschraum, dann steht Nils wieder neben mir. Ob ich ihm helfen könne beim Händewaschen, er reiche nicht bis zum Wasserhahn hinauf. Mit der nicht ganz so lässigen Unbedarftheit eines Mittvierzigers knöpfe ich meine Hose zu, dann gehen wir Händewaschen. "Ich bin der Nils", stellt sich der Bub vor, dann flitzt er in die Gaststube.

Ich sitze an diesem Abend in diesem nicht enden wollenden warmen Herbst vor dem "Weißen Lamm", beobachte das dörfliche Treiben in dem fränkischen Weindorf Sommerach und warte auf mein Essen. Noch vor der Kellnerin kommt jedoch Nils ins Freie, stromert ein wenig zwischen den Tischen umher und kommt schließlich an meinen. "Ich hab' Spätzle mit Soße gegessen", rapportiert er. Ich würde auch Spätzle mit Soße bekommen, entgegne ich, dazu noch Fleisch und Pilze. "Ich mag keine Pilze", sagt Nils. Und nach einer Pause: "Wie schauen Pilze aus?"

Wir reden dann ein wenig übers Älterwerden. Nils ist im Kindergarten jetzt bei den Großen. Seine Lieblingsspielecke soll umgestaltet werden. Die Polster, auf die er bislang immer geklettert und von denen er dann heruntergehüpft ist, "die kommen weg". Das gefällt ihm nicht - Nils kommt offensichtlich in das Alter, in dem man sich nur noch schwer an Veränderungen gewöhnen kann. Nils geht, mein Essen kommt.

Als der Teller abgeräumt wird, taucht Nils wieder auf. Er wohne in Volkach, erzählt er mir, das ist ein Nachbarort von Sommerach, und ergänzt: "in Deutschland". Wohl ahnend, dass sich dieser Fremde nicht so genau auskenne. Weil ich behaupte, ebenfalls in Deutschland zu wohnen, möchte Nils wissen, ob ich mit dem Fahrrad gekommen sei. Er unterschätzt Deutschland. Und überschätzt mich.

Aber wenn ich schon in sportlicher Hinsicht versage, soll ich wenigstens eine kleine Mutprobe bestehen. Dieser Gedanke kommt mir, als Nils hinter mich deutet und sagt, ich solle diesen Mann da fotografieren. Es wäre nicht der erste Mensch, der sich provoziert fühlt, fotografierte man ihn ungefragt. Womöglich ist Nils auf Spektakel aus. Ich drehe mich um. Nein, dieser Mann wird sich nicht belästigt fühlen: Brunnenfiguren sind von eher stoischem Gemüt.

So geht das noch ein paar Mal über den Nachtisch hinweg. Nils flitzt hinein ins "Weiße Lamm", flitzt wieder heraus. Lässt sich von dem Fremden aus der weiten Welt erzählen. Sagt ihm, was hier Sache ist. Als mein Kaffee kommt, schielt er nach dem Karamellkeks. Ich packe ihn aus und reiche ihn Nils. Der bricht ihn entzwei und gibt mir eine Hälfte zurück. Männer müssen in so einem Moment keine Worte machen. Die schweigende Übereinkunft: Wir sind jetzt Blutsbrüder.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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