Neulich in Berlin:Voll auf Bohne

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Alkohol und Drogen waren gestern. In der Hauptstadt wird jetzt mit Kakao gefeiert - denn der besitzt angeblich heilsame Kräfte. Die Party mit Elektromusik findet einmal im Monat statt, die Fans treffen dort auf stadtbekannte DJs.

Von Friederike Ostermeyer

Im Keller eines ehemaligen Fabrikgebäudes im Wedding steht ein großer Topf aus Metall. Eine junge Frau mit dunklen Locken schöpft etwas von dem öligen Inhalt in ein Glas und sagt lächelnd: "Du kannst den Kakao alleine trinken, oder dir jemanden suchen, mit dem du ein Ritual machen willst."

Es ist Sonntagnachmittag. Kerzen und Lichterketten erleuchten den großen Industrie-Raum. Die Backsteinwände sind mit Tüchern und Federn dekoriert. Sofas stehen herum, an der Bar gibt es veganen Käsekuchen. Auf der Tanzfläche sitzen rund 200 Menschen, vor sich Gläser mit Kakao, der Duft von Bitterschokolade und Räuchersalbei liegt in der Luft.

Ruby May, eine der Veranstalterinnen, greift zum Mikrofon: "Imbolc ist ein altes keltisches Mondfest. Es ist die Zeit, in der die Tage langsam heller werden und Dinge in Bewegung kommen." Sie hält kurz inne und fährt dann fort: "Was möchtet ihr loslassen, was soll wachsen? Spürt dafür tief in euch hinein und fragt euer Herz nach seinen Wünschen."

Stille. Nach zwei Minuten hört man tiefes Ein- und Ausatmen. Augen öffnen sich, Blicke treffen sich. Jeder muss nun seinem Gegenüber mit Asche einen Punkt auf die Stirn drücken. Allgemeines Grinsen. Damit ist das Ritual zu Ende. Am DJ-Pult wird der Regler hochgeschoben. Elektro-Klänge und tiefe Bässe erfüllen den Raum.

Die Idee, Menschen mit Kakao in Party-Stimmung zu bringen, kam Melissa Gorbett, als ihr bewusst wurde, dass mit der Feierkultur etwas nicht stimmt. "Ich liebe Partys und tanze gerne zu elektronischer Musik. Doch die destruktive Kraft von Alkohol und Drogen ist mittlerweile fast überall zu spüren", sagt sie. Über die Klubszene lernte sie Gleichgesinnte kennen. Alle um die Dreißig, alle mit Party-Drogen-Erfahrung. "Zu viel zerstört die Verbindung zur Musik und zu einem selbst", sagt Gorbett. Gemeinsam beschlossen sie deshalb, etwas Neues zu schaffen. So entstand Lucid.

Seit September findet die Party einmal im Monat statt (www.lucid.dance), immer sonntags, immer mit bekannten Berliner DJs auf dem Programm. Sie machen keine Werbung, doch die Sache mit dem Kakao, der angeblich heilsame Kräfte besitzen soll, hat sich herumgesprochen. Das aus frisch gemahlenen Bohnen, Wasser und Gewürzen hergestellte Getränk ist dickflüssig, fast ölig und hinterlässt ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Dabei schmeckt es so bitter und intensiv, dass man nach einem Becher gut bedient ist.

Trotzdem ist der große Topf nun leer und die Tanzfläche voll. Drei Männer schunkeln, zwei junge Frauen wirbeln stürmisch durch den Raum, ein Mädchen tanzt Hula-Hoop im Takt der Musik. Dazwischen ein Kind und ein Mann im Tigerkostüm. Nüchtern geht es hier keineswegs zu.

Etwas abseits vom Trubel liegen Kissen auf Matratzen. Räucherstäbchen-Schwaden wabern zwischen herabhängenden Tüchern. "Empathie Station" steht auf einem Schild. Darunter sitzt Kristian Kuhlmann, ein bärtiger Mann mit grauem Zopf und sanftem Blick. "Ich bin für alle da, die jemanden zum Reden brauchen", erklärt er. Die eine will über ihre Drogenvergangenheit sprechen, ein anderer einfach nur locker plaudern. Jede größere Party brauche so eine Zufluchtsecke, findet der Coach, "damit sich keiner verloren fühlt".

© SZ vom 18.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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