Neuer Terminal für Heathrow:Ein Schuhkarton zum Abheben

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"Ich kann euch vom Badezimmerfenster aus sehen": Der Londoner Flughafen Heathrow eröffnet ein neues Terminal mit gigantischen Ausmaßen für Passagiere und Boutiquen.

Wolfgang Koydl

Wenn jemand aus Lego eine ganz, ganz schrecklich lange, breite und hohe Scheune bauen will und dafür nur Fenster, aber keine Mauersteine hat, dann wird das Ergebnis seiner Anstrengungen wahrscheinlich so aussehen, wie der neue Terminal fünf des Londoner Flughafens Heathrow.

Der neue Terminal: "Eine Tour de Force der Architektur" (Foto: Foto: Bloomberg)

So wie er da neben der Ringautobahn M25 auf der grünen Wiese steht, ist er im wesentlichen ein gigantisch großer umbauter Raum in Gestalt eines Schuhkartons mit eingedelltem Deckel - nur eben wesentlich heller und lichter wegen der vielen Fenster.

Mit den üblichen Vergleichen von der Anzahl der Space Shuttles, die sich in seinem Inneren verlieren könnten, hält sich der Architekt Mike Davies denn auch gar nicht auf. Drei Empire State Buildings, so hat er der britischen Presse ohne falsche Bescheidenheit mitgeteilt, könnte man flach reinschieben, und man hätte noch immer Raum übrig. Knapp 400 Meter lang, 176 Meter breit und 40 Meter hoch ist das Bauwerk, und damit zwar nicht vom Weltraum aus sichtbar, aber immerhin von Schloss Windsor.

"Ich kann euch vom Badezimmerfenster aus sehen", teilte Prinzgemahl Philip dem Design-Direktor der Fluggesellschaft British Airways mit. Aus dem gedruckten Zitat ging freilich nicht hervor, ob Bewunderung oder Abscheu in den Worten des Royals mitschwang.

Die Ausmaße des Abfertigungsgebäudes sind gleich noch beeindruckender, wenn man weiß, dass man in seinem Inneren den vollen Durchblick von einem Ende zum anderen hat: das von Großraumbüros bekannte Prinzip - ins Gigantomanische ausgeweitet. Der einzelne Passagier wird sich vermutlich ähnlich bedeutungslos winzig vorkommen wie sein ferner, gläubiger Vorfahr im Mittelalter in einer himmelstürmenden gotischen Kathedrale.

Das Massenblatt Mirror lag denn auch gar nicht so weit daneben, als es den Terminal einen "ehrfurchtgebietenden Tempel für die Zwillingsgottheiten Luftfahrt und Shopping" nannte. Dem ein wenig seriöseren Guardian blieb buchstäblich die Luft weg: "Einen der atemberaubendsten Räume von Menschenhand im modernen Britannien", fand der Reporter. "Eine Tour de Force der Architektur und der Ingenieurkunst, die den Standard britischen Airport-Designs um 100 Prozent erhöht."

Etwas prosaischer betrachtet, ist Terminal fünf vor allem die vorläufige Apotheose einer Entwicklung, die schon vor einiger Zeit begonnen hat und in welcher Ankunft und Abflug von Passagiermaschinen in derartigen Abfertigungsgebäuden nur mehr eine marginale Rolle spielen. Denn moderne Terminals sind nur deshalb so ausladend gestaltet, weil man schließlich irgendwo all die Ladengeschäfte und Restaurants unterbringen muss, die moderne Flughäfen in Shopping Malls mit Bahnanschluss und Flugsteig verwandeln.

Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Reisende halten sich - aufwändigen Sicherheitskontrollen und chronischen Verspätungen sei dank - immer länger im Flughafen auf. Und Flughafenbetreiber verdienen mittlerweile mehr Geld mit der Verpachtung von Ladenfläche als mit Start- und Landegebühren. Daher wird der Fluggast auch eine Rekordzahl von 112 Geschäften und Restaurants in dem neuen Terminal antreffen, der am 27. März mit der Ankunft eines British-Airways-Fluges aus Hongkong nach siebenjähriger Bauzeit seiner Bestimmung übergeben wird.

Fast schon überraschend mutet es an, dass man auch weiterhin so banale Dinge wie Zeitungen, Kekse und Toilettenartikel kaufen kann. Denn die weitaus meisten Geschäfte sind nichts für schmale Brieftaschen: Die Spitzenjuweliere Bulgari und Tiffanys sind ebenso vertreten wie das Nobelkaufhaus Harrods, der Schuh-Tempel Prada oder der Top-Textilhersteller Paul Smith.

Gesundheitsbewusste Fluggäste wird die Nachricht freuen, dass kein einziges Fast-Food-Restaurant die Luft in den hohen Terminalhallen mit dem Geruch von altem Frittenöl beschmutzen wird. Das Hochgefühl wird freilich bald Beklommenheit weichen, wenn man sieht, wo man stattdessen seinen Hunger stillen kann: Prominentenkoch Gordon Ramsay hat ebenso ein Lokal im neuen Airport wie das Caviar House und der Schickeria-Italiener Carluccio's.

First- und Business-Class-Passagiere können sich zudem in luxuriösen Lounges in einem eigenen Wellness Center verwöhnen lassen. Stolz kann BAA, der spanische Betreiber von Heathrow, darauf hinweisen, dass Terminal fünf weder die Bauzeit noch die Baukosten in Höhe von 4,2 Milliarden Pfund (5,6 Milliarden Euro) überschritten hat.

Weniger befriedigend ist freilich die Erkenntnis, dass auch der neue Koloss bald nicht mehr ausreichen wird, um die Zahl der Flüge (480.000 im Jahr) und Fluggäste (67 Millionen) zu bewältigen. Erst kürzlich deutete ein BAA-Sprecher an, dass bis 2030 zwei weitere Abfertigungsgebäude und zwei zusätzliche Start- und Landebahnen notwendig sein würden.

© SZ vom 05.02.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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